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Bergwandern und Kunst schauen

Das Oberengadin ist spektakuläre Natur und bietet fast so viel Kultur wie eine Stadt.

Während der Herbstferien verbringen traditionell viele Schweizer Familien Wander- oder heutzutage eher Aktivferien in den Alpen, und davor, zum Altweibersommer, fahren jene, die sich nicht um Schulferien kümmern müssen, in die Berge. Ein besonderer Anziehungspunkt ist das Oberengadin mit Aktivitäten für jeden Geschmack; vom Biken und Bergsteigen übers Flanieren in den Shoppingmeilen von St. Moritz bis zum Nachtleben nach Wunsch.

St. Moritz im goldenen Herbst © swiss-image.ch/Christof Sonderegger

Der Engadinbus oder unsere Beine bringen uns vom zahlbaren Hotel in St. Moritz (doch, so was gibt es) nahe dem schiefen Turm abwärts zur nächsten Talstufe nach Celerina. Neben der Strasse, auch als Wanderweg ohne spektakuläre Aussicht zu benützen, sind die sommers diskreten Spuren des Crestarun und der Bobbahn auszumachen. Ein grasüberwachsener Pfad durch den Wald, ab und zu die massiven Kurven-Ausbauten, hier und da ein Plakat vom Bob- oder Skeletonfahren, Vorschau oder Erinnerung an den Rennbetrieb, eine spezielle Sehenswürdigkeit während der schneefreien Zeit.

Gian Pedrettis radikale Sicht auf den Berg im goldenen Licht © E. Caflisch

Nach dem (freiwilligen) Besuch des Bob-Museums geht es (mit oder ohne Pause in einem Celeriner Gasthaus) weiter nach Samedan. Es ist ein kurzer Spaziergang. Von der Kirche San Gian aus führt der Weg dem Inn entlang bis ins nächste Dorf. Sofern das Klima altweibersömmerlich mild ist, liegt auch der Barfusstrail als kleiner Umweg drin.

Filigran und riesig – ein Flügelobjekt von Erica Pedretti © R. Hänny

In Samedan ist diesen Sommer und Herbst eine ganz besondere Kunstausstellung zu geniessen: Erica Pedretti, preisgekrönte Autorin und Künstlerin und ihr Mann Gian Pedretti, Künstler und Schriftsteller, zeigen ihre Werke in einer Retrospektive glüsch e sumbriva – Schatten und Licht. Die Stuben und Treppenaufgänge des Wohnmuseums Chesa Planta sind gewiss keine idealen Räume, um Bilder zu hängen oder Objekte und Skulpturen zu präsentieren, aber die Strahlkraft der Arbeiten lässt jede Störung vergessen. Erica (*1930) kam als Flüchtling in die Schweiz, seit 1952 ist sie mit Gian (*1926) Pedretti verheiratet. Das Paar hat fünf Kinder und lebt doppelbegabt ein jeder für die Literatur und die Kunst.

Das Künstlerpaar vor einer Vitrine mit frühen Werken © E. Caflisch

Gian Pedretti, der einst Silberschmid lernte, viele Jahre als Bildhauer arbeitete, daneben zeichnete und malte, wird in seinen grossen Landschaften zugleich archaisch und immer radikaler. Erica Pedrettis Entwicklung als bildende Künstlerin (ihre literarischen Bücher liegen zum Kauf bereit), von ersten Illustrationen eines Kinderbuchs bis zu ihren jüngsten, beschrifteten Flügeln und den verstörenden Arbeiten auf übermalten Zeitungsseiten, die das Grauen der alltäglichen Nachrichten ins Bewusstsein bringen. Nach vielen Jahren in la Neuveville leben und arbeiten Pedrettis wieder in Celerina wie in den Anfängen.

Nach dem Ausstellungsbesuch wird es Zeit für Erholung und Rückzug, dank des Engadinbus kein Problem, wieder zum Hotel zurückzufahren. Der Kulturabstecher am zweiten Tag sind die Kunstwege an Pontresinas Hauptstrasse. Davor soll jedoch gewandert werden zum Beispiel ganz gemütlich vom St. Moritzersee zum Laj da Staz, dem Kleinod der Seenlandschaft, und von da aus Richtung Pontresina. Wer es lieber hochalpin hätte, fährt zur Talstation der Standseilbahn Muottas Muragl, um auf den Panoramaweg zu kommen, der auf den Spuren des Kunstmalers Giovanni Segantini zur Alb Languard führt, wo wiederum eine Sesselbahn bereitsteht. Nur eins ist (bündnerische Wanderweg-Norm) weniger angenehm: jeder Fuss-Wanderweg ist auch eine Mountainbikepiste. Wer mag, nimmt am besten gleich das Velo.

Blick auf den Morteratschgletscher mit dem Piz Bernina © swiss-image.ch 

Nach einem stärkenden Zvieri, beispielsweise in Gianottis Zuckerbäckerei, einem Familienbetrieb mit bald 150jähriger Geschichte, geht es auf Stadtwanderung. 26 Kunstinstallationen und -Objekte von 15 Künstlerinnen und Künstlern zwischen, an und in Häusern warten auf Begutachtung. Alle sind eine Auseinandersetzung mit dem Geist der Region, der Geschichte Pontresinas und der Menschen, die hier lebten, arbeiteten und Ferien machten: «Aufgabe war es, dem Authentischen, dem Echten in der heutigen Wirklichkeit des Engadins nachzugehen», sagt Benno Conrad, der die Kunstwege 2017 «…mit fremden Augen sehen kuratierte.«

Ursula Pallas Video-Installation «bird’s tale»: Gipsfüsse halten den Video-Adler flugunfähig. Foto zVg

Ohne das kleine Heft, das im Tourismusbüro bezogen werden kann, aber auch an manchen der 26 Stationen aufliegt, findet man schwerlich alle. Die Video-Installation bird‘s tale von Ursula Palla basiert auf der Geschichte eines aus dem Nest geklauten Adlerkükens, das aufgepäppelt wurde, um am Ende ausgestopft über dem Speisesaal des Hotels Rosatsch zu thronen.

Arno Oehris Figur zum Gletscherrequiem installiert in einer Telefonkabine beim Hotel Post. Foto zVg

Geschichten von Auswanderern, den Randulins (Schwalben) erzählen die Objekte von Notta Caflisch hoch über der Strasse. Geschichten von Dienstboten, die möglichst unsichtbar die Gäste umsorgen, vom Klimawandel und dem Tourismus sind in kreative Ideen verpackt: Da liegt ein Paar alte Bergschuhe wie abgeworfen an einer Betontreppe, einer ist gar mit der Spitze drin. Wegtschutten würde schmerzen – das Objekt von Jan Kaeser ist aus Bronze. In der Kirche widmet Arno Oehri dem schmelzenden Morteratschgletscher ein Requiem: die Originaltöne wurden von Touristen vor Ort in s Mikrophon gesungen, woraus der Soundtüftler zusammen mit Gletschergeräuschen seine Toncollage erstellte. Aufwendig auch für Kunstwanderer ist die Arbeit von Hannes und Petruschka Vogel: Ohne Lektüre im bei der Plakatwand am Tenniscourt mit dem Joyce-Satz Here Comes Everybody aufgelegten Buch, versteht man nicht, dass hier an berühmte Gäste des Ferienorts erinnert wird von C.F. Meyer über Lenin bis zum Freejazzer Werner Lüdi, Menschen, die Pontresina mit fremden Augen sahen.

Notta Caflischs Randulins – Schwalben, dargestellt mit schwarzen Handschuhen © E. Caflisch

Wer es nur auf die beiden hier bespochenen Kunstausstellungen abgesehen hat, kann das ganze locker als Tagesausflug erleben, „Rentabel“ ist es aber, zumindest zweimal zu übernachten, dann offerieren die meisten Hotels das Bergbahnticket und die Busfahrkarten. Selbstverständlich geht es auch im Privatauto, aber Parkplätze im Oberengadin können preislich mit Zürich konkurrieren. Kein Wunder bei den vielen Autos, vor allem SUVs und Sportwagen auf der Talstrasse.

Die Pedretti-Retrospektive «glüsch e sumbriva» dauert bis zum 15. Oktober
Die Kunstwege 2017 in Pontresina dauert bis zum 19. Oktober 

Teaserbild: Jan Kaeser «eigentlich» 

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