Der Samichlaus-Vers

Kleine Recherche nach einem lange verlorenen Mundartgedicht

Zum ersten Advent schiebt sich jeweils ein Gedicht für den Samichlaus in mein Gedächtnis. Aber demselben begegne ich heutzutage nur noch in seiner Kommerzvariante, importiert aus Amerika – hohoho – dann mache ich jeweils einen Bogen um ihn. Einst kam der Samichlaus an unsere Tür, schellte laut (war das nicht genau jenes Glöggli, mit dem wir uns aus dem Krankenbett melden durften jahrsüber?), brachte Kälte in den Hausflur, stellte den schweren Sack ab und winkte mit der Rute.

Da ich gern rezitierte, sagte ich ihm das lange Gedicht s Christchindli und de Samichlaus auf, das uns Mutter beim Abwaschen lehrte, während wir Teller und Löffel trockneten. In den übrigen Jahreszeiten waren Balladen wie Das MunotglöckleinDes Sängers Fluch oder die Loreley angesagt. Woher sie das Klausgedicht hatte, war mir damals einerlei, aber in späteren Jahren wurde es mir ein Rätsel: unsere Familiensprache war kein Zürcher Dialekt, den sprach ich nur draussen. Irgendwann wusste ich zu meinem Bedauern nur noch den Anfang und die ersten paar Zeilen.

s christchindli titelNach dem Aufräumen im ehemaligen Elternhaus fand ich die Quelle: eine äusserst populäre Broschur mit vielen Auflagen: ‘s Christchindli. Schwizerdütschi Gidichtli, Liedli und Sprüchli vum Christchindli, vum Samichlaus und vum Neujahr. Zsämmeträid und püschelet von Ernst Eschmann. Meine Mutter besass die Feufti Uflag von 1929. Ernst Eschmann (1886 – 1953) war einer der fleissigsten Mundartdichter seiner Zeit, er verfasste Jugendliteratur und Theaterstücke, er war als Volksschriftsteller über die Grenzen bekannt. Seine Doktorarbeit hatte er über den Zürcher Schriftsteller David Hess (1770 – 1843) verfasst, danach unterrichtete er an der Höheren Töchterschule. Sein Nachlass liegt in der Zentralbibliothek.

Die Erstausgabe der gesammelten Gedichte zu Weihnachten und Neujahr hatte Eschmann 1913 publiziert, letztmals erschienen die Mundartgedichte um 1982. Seine Autorinnen- und Autorenliste liest sich wie ein Who-is-who der Mundartliteratur von damals: Ernst Zahn, Alfred Huggenberger, die Aargauerin Sophie Hämmerli-Marti, Traugott Schmid, der Solothurner Bestseller-Autor Josef Reinhart, Meinrad Lienert und andere. „Mein“ Gedicht schrieb der Winterthurer Sekundarlehrer und Mundartdichter Rudolf Ziegler (1861 – 1926). Und zu meiner Überraschung ist es in Samichlaus-Kreisen noch heute populär. Die St. Nikolaus Gesellschaft Urdorf hat es auf ihre Homepage gestellt, andere Samichlaus-Seiten ebenfalls, oft freilich nicht vollständig. Wer weiss, ob es Ihre Enkel und Urenkel noch kennen? Hier ist es – zitiert nach dem Büchlein von 1929:

s‘Christchindli und de Samichlaus

von Rudolf Ziegler

Es dunklet scho im Tannewald
Und schneielet ganz lisli.
Was isch das für es Liechtli det
I säbem chline Hüsli?
Da isch de Samichlaus dehei
Mit sine guete Sache!
Er hät scho s Lämpeli azündt
Und tuet grad s Kafi mache.

Da pöpperlet s am Lädeli,
Und s Glöggli ghört er lüte!
Jetz weiss er scho, wer dusse-n-isch,
Und was das söll bedüte:
s Christchindli chunt na zabig spat,
Es wird en welle stupfe,
Er mües de Sack bald fürenäh
und sini Finke lupfe!

S Christchindli sait: „Herr Samichlaus,
E schöni Ornig händ er!
De Christtag staht ja vor der Tür –
Händ ihr denn kein Kaländer?
S brucht Wiehnachtbäum i jedes Hus,
Für vili hundert Chinde –
Ihr müend s im Wald na haue hüt,
De Vollmond söll eu zünde!“

De Samichlaus stellt d Tasse-n-ab:
„Nu nid so gsprengt, Christchindli –
Die Bäumli müend gwüss bsorget si,
Das hät na Ziit es Stündli.
Ich möcht jetz emel na in Rueh
Min Zabig fertig chäue –
Und wänn es Tässli gfellig wär,
So würd s mi herzli freue!“

s Christchindli lachet: „Nu so dänn,
Da bin i nüd dergäge;
E bitzli öppis Warms tuet guet
Uf mine wiite Wege!
Me cha ja denn na allerlei
Abrede und usmache,
Was jedes Chind sell übercho
Vo dene schöe Sache.“

Si sitzed gmüetli binenand
Im chline Stübli hine.
De Vollmond zünt d Laterne-n-a
Und lueget heimli ine;
Er loset lang am Fensterli
Und uf der Hustürschwelle –
Wenn er nu besser schwätze chönnt,
Er müesst mer s gwüss verzelle.  

Das Büchlein s Christchindli von Ernst Eschmann ist für Interessierte in diversen Ausgaben aniquarisch erhältlich. Einfach nach Titel und Autor im Internet suchen.

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