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Die dramatische Funktion von Wasser

BERN 21SEP15 - Theater an der Effingerstrasse, Spielzeit 2015/2016. 'La Stazione' von Umberto Marino. Inszenierung Alexander Kratzer. Spielerinnen, Christoph Kail (Stationsvorsteher), Sophie Prusa (Flavia) und Hans Danner (Danilo). Premiere Samstag 26. September 2015. Probefotos, Montag 21. September 2015. © SEVERIN NOWACKI Fotograf BR Postfach CH-3001 Bern Switzerland +41 79 761 33 46 PC 30-455681-8 info@nowacki.ch www.nowacki.ch

„La Stazione“ im Theater an der Effingerstrasse Bern. Draussen Dauerregen, drinnen Wetterleuchten der Gefühle

Nein, das Stück handelt weder von der Seefahrt, noch droht jemand zu ertrinken. Aber schöner und nachhaltiger hat es meines Wissens noch auf keiner Theaterbühne je geregnet! Die perlenden Silberfäden zaubern einen glitzernden Effekt hinter den Fenstergläsern des muffigen Stationsbüros irgendeines italienischen Städtchens. Der strömende Wasserschnur- Vorhang vermittelt auch die Illusion, dass von aussen nichts Fremdes oder sogar Feindseliges den pedantischen Frieden stören kann, in welchem sich der Stationsvorstand für seinen Nachtdienst einrichtet. Jedes Ding an seinem Ort, ärmlich zwar, aber sauber und ordentlich. Auch wenn die nach vorn herunterklappende Öffnung des schweren Schranks immer wieder kippt: Der Stationsvorstand hat wenigstens den Rhythmus vom Schliessen bis zum nächsten Kippen zeitlich im Griff und stört sich nur, wenn die durchschnittliche Sekundenzahl zu sehr schwankt. Seine Manie sind Uhr und Zeit – von der Dauer des Zubereitens von Kaffee bis zum Feststellen der Pünktlichkeit der Züge. – Sind wir in den Fünfzigerjahren des Zwanzigsten Jahrhunderts? Jedenfalls in einer heilen, sehr ordentlich zurechtgerückten Welt. (Bühne: Peter Aeschbacher mit Verena Dietze).

Pünktlich und pedantisch: Der Stationsvorsteher (Christoph Kail)

Christoph Kail mimt ärmliches Einerlei, erträglich geworden durch Gewohnheiten, eine dauernde leise Resignation und unbedingte gewissenhafte Genauigkeit, Gründlichkeit und Verlässlichkeit. Seine Sehnsüchte beschränken sich auf den Wunsch, mit der Eisenbahn nach Frankfurt zu fahren, auf die Freude an seinem alten Fiat und darauf, dass seine ihn unerbittlich kontrollierende, ans Bett gefesselte Mutter sterben darf, damit er vielleicht dennoch eines Tages heiraten kann – oder darf. Dass er dabei keinesfalls verdriesslich wirkt, sondern sozusagen umsichtig seinen ganzen Mann zu stellen scheint, macht ihn sympathisch und achtenswert. Durch und durch ein Bahnbeamter, wie ihn das letzte Jahrhundert kannte!

Und Flavia, seine Gegenspielerin? Offensichtlich entfloh sie ihrem Geliebten Danilo, mit dem sie am Fest in der erleuchteten Villa teilnahm. Über den Grund erfahren wir weniger als über den Egoprotz selbst, der seine Braut empört aus der Station zurückholen will, unter Einsatz seines ganzen Negativcharmes. Hans Danner zeichnet den Poltergeist mit bescheidenem Einfühlungsvermögen, dafür umso grösserem Hang zur Gewalt, recht wirksam, theatralisch und als lautstarken Kontrast zu den immer wieder leisen Zwischentönen.

Von rechts: Christoph Kail (Stationsvorsteher), Hans Danner (Danilo), am Boden Sophie Prusa (Flavia)

Diese wiegen sich im Ungesagten, ganz und gar Unsentimentalen der Wechselbeziehung, die zwischen den beiden auf den Frühzug Wartenden entsteht. Die persönlichen Veränderungen im Weltbild und in der Persönlichkeit der Flavia angesichts des gesprochenen wie des ungesagten Dialogs der beiden bringt Sophie Prusa mit differenziertem Ausdruck der Sprache und Mimik zur Geltung. Von befreiender Wirkung sind die locker ausgelassenen Show-Szenen der beiden, losgelöst von gesellschaftlichen Kümmernissen einerseits und pedantischer Steifheit andererseits.

Nun – der Frühzug kommt, der Gastgeber lässt los, Flavia besteigt zögernd ihren Zug, und was weiter kommt, erfahren wir nicht. Wir sehen nur: Nichts ist mehr wie vorher.

(Und der Regen schnürt stetig zu Boden und spielt mit…)

Umberto Marinos (geb. 1952) Bühnenstück, aus dem Italienischen übersetzt von Verena Listl, ist 1985 uraufgeführt und später auch erfolgreich verfilmt worden. Das Theater an der Effingerstrasse zeigt es als eine seiner vier „Jubiläums-Neuaufführungen“ der 20. Spielzeit (erstmals 2001-2002). Das Stück hat zu Recht eine höchst erfolgreiche Aufführungsgeschichte, auch als Film.

Die Inszenierung von Alexander Kratzer besticht durch Tempo, Ausgewogenheit der Charaktere (vor allem von Flavia und ihrem nächtlichen Gastgeber) und kongenialer Umsetzung des Inhalts und Gehalts, von wirkungsstarker Deutung des Textes und was dahinter aufscheint an Gefühl, an Stimmung und Dramatik.

Selbst der verknöcherte Steifling wird von Flavia zum Leben erweckt (Christoph Kail, Sophie Prusa)

Alle Bilder © Severin Nowacki

La Stazione. DAS Theater an der Effingerstrasse

Aufführungen bis 23. Oktober

 

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