StartseiteMagazinKulturEwige Jugend - ein Alterstraum

Ewige Jugend – ein Alterstraum

«Youth»: Virtuos inszeniertes und eindrücklich gespieltes ironisch-melancholisches Melodrama von Paulo Sorrentino mit zwei Achtzigjährigen, die über das Alter sinnieren.

Michael Caine und Harvey Keitel sind zwei grossartige Schauspieler, die in «Youth» von Paolo Sorrentino zwei alte Männer spielen: Fred Ballinger, den berühmten Dirigenten und Komponisten im Ruhestand, und Mick Boyle, den bekannten Filmemacher mit seinem neuen Projekt. Die beiden kennen sich seit Langem, ihre Freundschaft ist selbstverständlich. Jedes Jahr verbringen sie gemeinsame Tage in einem Kurhotel in den Schweizer Alpen, aufgenommen im Waldhaus Flims und im Sanatorium Schatzalp ob Davos, wo Thomas Mann einst seinen «Zauberberg» geschrieben hatte. Ihre gegenseitige Vertrautheit gewährt uns intime Einblicke in zwei Männerseelen, wie sie im Kino und im Leben nur selten gewährt werden. In dieser luxuriösen und etwas künstlichen Welt geniessen die beiden es, über ihre Vergangenheit und ihre Zukunft zu philosophieren.

«Zukunft bedeutet, Möglichkeiten haben», sagte der Regisseur Paolo Sorrentino nach der Vorführung seines Films in Cannes, und fuhr fort: «Möglichkeiten zu sehen, ist das Wesen der Jugend.» Und worin besteht die Zukunft der Alten, welche Möglichkeiten hat der alte Mensch? Fred will nichts mehr mit Musik zu tun haben, betont er gleich zu Beginn, selbst das Angebot, seine bekannten «Simple Songs» vor der Queen in London spielen zu können, lehnt er kategorisch ab. Er lässt seine Karriere hinter sich und hätte am liebsten, dass auch sein Erfolgsstück in Vergessenheit geraten würde. Anders hält es sein Freund Mick, der jeden Tag mit der jungen Crew an seinem neuen Film «Der letzte Tag meines Lebens» arbeitet und sich über die Besetzung der Schlussszene Gedanken macht.

In der Natur kommen die beiden sich näher

Die Vergangenheit des Alters und die Zukunft der Jugend

Umgeben sind die zwei Alten von Freds Tochter, einem jungen Schauspieler, der sich auf seine nächste Rolle vorbereitet, weiteren Hotelgästen und viel Personal, die alle auf ihre Weise Ideen und Bilder beisteuern, was das Alter und was die Jugend bedeuten können. Wie in seinem letzten Film «La grande bellezza» hat Sorrentino auch hier die Dialoge ins Zentrum gestellt und die Kamera wieder Luca Bigazzi anvertraut, der vermehrt mit ruhigen Tableaus arbeitet, um den Aufenthalt der beiden in den Bädern und Massageräumen des Hotels, im Garten und auf den Spaziergängen als bedeutungsvolle Lebensräume einzufangen.

War es im letzten Film eher ein Schlendern und Flanieren, nähern sich die Personen in «Youth» dem Stillstand, einem Auf-der-Stelle-Treten: in den Bildern wie den Emotionen. Ob dieses auch als Stillstand des künstlerischen Schaffens zu bewertet ist, hängt davon ab, wie wir persönlich, angelehnt an Kierkegaards «Krankheit zum Tode», das Leben zum Tod verstehen. Fred und Mick sind in ein nobles Hotel mit Kurbetrieb geflohen und haben sich aus dem Alltag der Welt zurückgezogen. Während der Komponist seine aktive Karriere beendet hat, arbeitet der Filmemacher weiter intensiv an seinem mutmasslich letzten Werk. Dass Mick nicht dazu kommt, erwirkt seine ehemalige Frau; dass Fred am Schluss den Dirigentenstab nochmals erhebt, war das Ergebnis eines längeren Prozesses – beide ergänzen sich als Bilder des Alters.

Fred (hinten) und Mick als Zeugen eines stürmischen Liebesaktes

Schauspieler der Sonderklasse

Vieles in «Youth» erinnert an «La grande bellezza»: die ergrauten Männer, die Wehmut nach den guten alten Schürzenjäger-Zeiten, ein etwas ältliches Konzept von Dekadenz. Das alles hat einen gewissen Charme. Abgesehen davon sind die Nebenrollen wie auch der Auftritt von Jane Fonda in ihrer Mini-Rolle als Micks Ex-Frau brillant. Wenn sein letzter Film ein exaltiertes Fest war, ist der neue die Ernüchterung danach, mit weniger Fellini und mehr Visconti, weniger «Dolce Vita» in Rom, mehr Rehaklinik in den Bergen. Der siebte Film Sorrentinos wirkt gelegentlich etwas abgehoben, artifiziell, und dennoch wachsen einem die beiden Altherren ans Herz. Michael Caine wirkt besonnen und abgeklärt, ohne dass wir an den Leidenschaften zweifelt, die er einst pflegte oder womöglich noch immer pflegt, für die Frauen und die Musik. Harvey Keitel verkörpert leidenschaftliches Festhalten an seinem Schaffen, bis er daran zerbricht. Beide Figuren bieten nachvollziehbare Lebensformen des Alterns. Für die Musik, die die verschiedenen Welten suggeriert, hat Sorrentino den amerikanischer Komponist und Pulitzer-Musikpreisträger David Lang, für die Kamera wiederum Luca Bigazzi gewonnen, der Stimmungen schafft, die gelegentlich an «Der Tod in Venedig» erinnern.

Schön aufgereiht wie Vögel auf dem Draht oder Sardinen in der Büchse

Apathie als Bodensatz des Lebens

Er leide unter Apathie, meint Fred und trifft damit das Gefühl, das als Stimmung über grossen Teilen des Filmes liegt. Die ausgesuchten Dekors, die künstlichen Bilder, der Einsatz der Musik, die Körper, die nur Schönheit oder Hässlichkeit, kein Dazwischen, nämlich Normalität und Alltäglichkeit, kennen, all das ist nicht nur schön anzuschauen, kann auch ermüden – wie das Altern selbst, wenn ihm Ziele und Absichten abhanden gekommen sind. Das wirkt im Film auf Dauer etwas selbstverliebt – wie die Selbstverliebtheit, die bei alten Menschen im realen Leben zu beobachten ist. Ein gewisses Gefühl des Erstarrens liegt auch auf den Hauptpersonen, die am Ende ihres Lebensweges angekommen sind. Beide blicken auf ein reiches und erfülltes Leben zurück und müssen sich nun mit ihrer Sterblichkeit und mit der Frage auseinandersetzen, ob sie nicht an manchen Wegkreuzungen die falsche Abzweigung genommen haben. Die schwindende Schaffenskraft, die nachlassende Gesundheit, die nicht zu korrigierenden Fehler der Vergangenheit lähmen und rauben die Lebenskraft, schränken ihre Blicke, vor allem in ihren Rückblicke, ein.

Titelbild: Fred und Mick mit Miss Universe
Regie: Paolo Sorrentino, Produktion: 2015, Länge 118 min., Verleih: Präsens

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