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Geschichte eines Lebens

„Losfahren“ lautet der Titel des Buches von Manal al-Sharif. Wer es liest, wird auf eine atemlose Fahrt durch das ereignisreiche Leben der 38jährigen Autorin mitgenommen.

Anfangs Oktober sah ich Manal al-Sharif an einer Präsentation ihres Buches in den «Kaufleuten» in Zürich. Das Buch hatte ich vorher gelesen und war beeindruckt, auch bedrückt über vieles, was ich gelesen hatte. Ihre Erziehung war streng und einengend gewesen. Weil sie sich als erwachsene Frau an das Steuer eines Autos setzte, kam sie ins Gefängnis. Eine erste Ehe zerbrach. Der Sohn wurde dem Vater zugesprochen. Mit ihrem zweiten Mann und dem Sohn aus dieser Ehe lebt Manal al-Sharif gegenwärtig in Australien, in Sydney. Aber nichts an der schlanken, lebhaften Frau, die offen und klar die Fragen der Interviewerin beantwortete, deutete darauf hin, dass sie bereits ein „schweres Schicksal“ hinter sich gebracht hatte. Durch ihren persönlichen Einsatz hatte sie in ihrem Heimatland für die Frauen einen Durchbruch geschafft. Das ist ihr Lebenselixier, das beflügelt sie, weiter zu kämpfen für die Rechte der Frauen!

Es ging durch alle Medien: Ab Sommer 2018 sollen sich in Saudi-Arabien auch die Frauen selbst ans Steuer eines Autos setzen dürfen. Es wird ein Verbot aus der Welt geschafft, das keine rechtliche Grundlage gehabt hat, wohl aber auf gesellschaftlicher Übereinkunft gründete.

Im ärmsten Viertel der Stadt aufgewachsen

Manal al-Sharif wurde 1979 in Mekka geboren und wuchs im ärmsten Viertel der Stadt auf. Ihr Elternhaus war salafistisch, einer strengen Version des Islam, geprägt. Sie besuchte die erste staatliche Mädchenschule, von der sie schreibt, dass diese sich auf die Kernfächer beschränkte. Es gab keinen Sportunterricht, kein Theaterspielen, keinen Musikunterricht, keine Kunsterziehung, keine Schulbibliothek, wohl aber zusätzlich Zeichenunterricht, Nähen und Hauswirtschaft. Die Erwartung an die Mädchen sei gewesen, dass sie „später heirateten und im Hause blieben“. In der Schule wie auch im Elternhaus wurden die Kinder geschlagen.

Was ich an Manal al-Sharifs Buch besonders beeindruckend finde, ist die nüchterne, sachliche Beschreibung ihres bisherigen Lebens. Ihre Erziehung war in unsern Augen äusserst hart und von religiösen Regeln geleitet. Manal al-Sharif beschreibt ausführlich und lebendig. Leserinnen und Leser können sich gut in die geschilderten Situationen versetzen. Das ist häufig beklemmend, weil hier auch über Schläge, Beschneidung, Gefängnisaufenthalt geschrieben wird.

Ein Video, das um die Welt ging

Aber das Buch ist auch ein Buch des Erfolgs. Die Autorin, die immer eine der besten Schülerinnen war, studierte in Dschidda, einer Nachbarstadt von Mekka, Informatik. Als erste Frau wurde sie bei Aramco, dem staatlichen Oelkonzern, als IT-Expertin für Datensicherheit eingestellt. Sie arbeitete mit Männern zusammen und konnte sich auf dem Firmengelände, auf dem sie auch wohnte, frei bewegen, auch selbst ein Auto fahren.

Aus Protest gegen das Fahrverbot für Frauen liess sie sich 2011 am Steuer eines Autos filmen und stellte die Aufnahme auf Youtube. Das Video ging um die Welt. Es brachte ihr im eigenen Land Hass bis zu Morddrohungen ein. Im Ausland wurde sie für ihren Mut gefeiert und geehrt. Sie verlegte ihren Wohnsitz zusammen mit ihrem zweiten Mann und dem gemeinsamen Sohn zuerst nach Dubai, dann nach Sydney, Australien.

Schon lange habe ich mich gefragt, wie es in einer Familie zugeht, die nach strengen Regeln des Islams lebt. Niemand konnte mir z.B. darüber Auskunft geben, wie eine Mutter ihrer Tochter den Übergang vom Mädchen zur Frau und die entsprechende Veränderung des Lebensstils erklärt. Manal al-Sharif beschreibt auch diese Erfahrung in ihrem jungen Leben in aller Ausführlichkeit.

Wer sich auf das Buch einlässt, kann über das Leben der Frauen, der Familien in Saudi-Arabien sehr viel lernen. Und wird die aktuellen Zeichen, die auf eine langsame, aber stetige Veränderung dieser Gesellschaft hindeuten, mit grosser Erleichterung zur Kenntnis nehmen!

Manal al-Sharif: „Losfahren“. Secession, Verlag für Literatur, Zürich, 2017. ISBN 978-3-906910-10-9

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