StartseiteMagazinGesellschaftGrossbaustelle Pflege im Alter

Grossbaustelle Pflege im Alter

Mit dem Bericht „Care-Arbeit unter Druck“ beschreibt die Manifestgruppe der GrossmütterRevolution die Situation der Pflege im hohen Alter und nennt sechs Empfehlungen.

Wer zu den Grossmüttern oder zu den Grossvätern gehört, weiss, dass sie oder er sich in Kürze zu den Pflegebedürftigen zählen könnten. Wer pflegebedürftig wird, gerät in ein Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Umgebung. Die zwar allerseits anerkannte Autonomie der Alten eckt an an der Belastungsfähigkeit der Familie, am Angebot an Pflege und Betreuung und an den finanziellen Möglichkeiten. Diese Situation macht Angst.

Elisabeth Ryter und Marie-Louise Barben haben die Studie «Care-Arbeit unter Druck» geschaffen (v.l.).

Die Manifestgruppe der GrossmütterRevolution hat als Beitrag zum Jahr der Hochaltrigkeit eine Studie in Auftrag gegeben zur Situation „eines guten Lebens im hohen Alter“. Elisabeth Ryter und Marie-Luise Barben haben die Studie erarbeitet. Das Ergebnis wurde am 20. Mai im Migros-Hochhaus am Limmatplatz vorgestellt.

Der Bericht soll aufzeigen wie es wirklich ist, im Spannungsfeld der Diskussionen über Autonomie und Würde der hochaltrigen Menschen und über die Ökonomisierung von Pflege und Betreuung, erklärt Monika Stocker als Vertreterin der Manifestgruppe.

Warum ist Care-Arbeit unter Druck?

Care heisst, sich um die Bedürfnisse von Menschen kümmern. Der grösste Teil der Care-Arbeit wird heute von Angehörigen in Privathaushalten geleistet – unbezahlt. Wie lange Angehörige für immer mehr hochaltrige Menschen sorgen können, ist unklar.

Aus den Interviews erfährt man, dass der Begriff Care im Alltag den meisten Pflegenden unbekannt ist. Was Care beinhaltet hingegen, das wird von den Pflegenden gelebt. Care umfasst jeden Fürsorgedienst. Care-Arbeit kann nicht rationalisiert werden, die Zeitstruktur ist nur beschränkt planbar und es ist keine Produktivitätssteigerung möglich.

Der politische Auftrag, die Leistungen im Gesundheitsbereich zu ökonomisieren, hat zur Trennung der Kosten für Pflege und Betreuung geführt. Die Krankenkassen bezahlen nur noch die Pflegekosten. Eine unrühmliche Sackgasse, welche die Krankenkassen begünstigt und den Leistungserbringern eine aufwändige administrative Arbeit zumutet, mit einem Zeitaufwand, der besser in Pflege und Betreuung investiert werden sollte. In diesem Jahr wird ein Bericht des BAG zur Evaluation der Pflegefinanzierung erwartet.

Care-Arbeit-unter-Druck-BerichtVorstellen der Studie im Migros-Hochhaus am Limmatplatz, auf dem Podium die Autorinnen Elisabeth Ryter und Marie-Louise Barben, Anette Stade als Projektleiterin der GrossmütterRevolution und Monika Stocker für die Manifestgruppe (v.l.)

Der Bericht

Der Bericht gliedert sich in die drei Bereiche Ausgangslage, Veränderungen und Fazit. Im ersten Teil werden Begriffe, statistische Grundlagen, die Pflegefinanzierung und die Care-Arbeit erklärt. Durch die Zunahme hochaltriger Menschen und die Tatsache, dass Frauen vermehrt erwerbstätig sind, wird eine Care-Krise befürchtet. In Gesundheits- und Pflegeberufen herrscht ein Fachkräftemangel. Es fehlen vor allem Mitarbeitende mit guter Ausbildung im tertiären Bereich, Fachleute mit Hochschulausbildung. Die Schweiz ist auf die Rekrutierung von Ausländerinnen angewiesen.

Die so genannten Care-Migrantinnen werden im Bericht als Lückenbüsserinnen kritisiert, ihre Arbeitgeberinnen der Duldung von Schwarzarbeit, der Verstösse gegen das eidgenössische Arbeitsrecht oder gegen kantonale Vorgaben verdächtigt.

Hohe Qualität in Pflege und Betreuung

Für den zweiten Teil des Berichtes wurden 21 Personen nach den grössten Veränderungen gefragt, welche sie in ihrem Berufsleben in Alterspflege und Betreuung erlebt haben. Alle Befragten arbeiten in öffentlich-rechtlichen Institutionen.

Positiv wird von allen festgestellt, dass das Personal besser ausgebildet ist, dass neue Ausbildungen entstanden sind und mehr Wissen vorhanden ist. Die Qualität der Leistungen ist gestiegen. Heime sind offener gestaltet. Die Bedürfnisse der Patienten und der Bewohner werden differenzierter wahrgenommen. Positiv vermerkt werden auch Zusammenschlüsse und Verbandsgründungen wie der Spitex Verband Schweiz und CURAVIVA, der nationale Dachverband von 2500 Heimen und sozialen Institutionen.

Als negativ beurteilt werden Kosten- und Zeitdruck, die administrative Mehrbelastung und bei den Krankenkassen die restriktive Haltung bei der Bezahlung von Betreuungsleistungen, vor allem für Demenzpatienten.

Care-Arbeit-unter-Druck-DiskussionEngagierte Diskussion auf Grund eigener Erfahrungen

Wichtig im Alter ist das Wohlbefinden

Als Fazit wird festgestellt, dass für ein gutes Leben im Alter das Wohlbefinden der Hochaltrigen im Vordergrund steht. Parallel dazu sollen die Professionellen gute Arbeit leisten können und das Umfeld soll nicht überfordert werden. Die sechs Empfehlungen dazu lauten:

1. Pflegefinanzierung: Nicht trennen, was zusammengehört
Die Trennung von Pflege und Betreuung ist auf dem Hintergrund der Lebens- und Pflegequalität zu überdenken.

2. Ausreichende Zeitbudgets für Demenzkranke und Palliative Care

3. Die Ergänzungsleistungen sichern
Zur Zeit sind rund 12 % der AHV-Bezügerinnen auf Ergänzungsleistungen (EL) angewiesen, vor allem Frauen mit kleinen Renten. Geplant wird eine Gesamtrevision des EL-Gesetzes. Befürchtet werden Sparmassnahmen.

4. Ambulante Versorgung nicht auf Pflege reduzieren
Es braucht eine ausreichende öffentliche finanzielle Unterstützung von sozialen und hauswirtschaftlichen Leistungen in der ambulanten Versorgung von Hochaltrigen.

5. Anreizsystem für Langzeitpflege
Zur Sicherung der Langzeitpflege braucht es gute Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung.

6. Care-Migrantinnen legalisieren
In Privathaushalten arbeitende Care-Migrantinnen sollen zu korrekten Arbeitsbedingungen angestellt, auf ihre Aufgabe vorbereitet und über ihre Rechte und Pflichten orientiert werden.

Care-Arbeit unter Druck-Heidi-WitzigHeidi Witzig: Bei allem Respekt für Selbstbestimmung im Alter darf nicht geduldet werden, dass Nachkommen ihren pflegebedürftigen Eltern einen Exit nahelegen.

Rückmeldungen

Der 70-seitige Bericht wurde frisch gedruckt aufgelegt. Da ihn die Zuhörerinnen noch nicht gelesen hatten, war eine Diskussion über den Inhalt nur für informierte Fachleute möglich.

In der Befragung zur Studie wurden die so genannten profitorientierten oder selbsttragenden Organisationen nicht berücksichtigt, die heute einen wichtigen Teil von Pflege und Betreuung übernehmen und die ihre pflegerischen Leistungen auch über die Krankenkassen abrechnen können.

Fragen nach vereinfachtem Zugang zu Hilfeleistungen in Haushalt und Betreuung hätten den Rahmen der Veranstaltung gesprengt. Wer heute eine Hilfe für Betreuung oder Hausarbeit braucht, wird mit einem Wust von Vorschriften konfrontiert und muss sich dem Schweizer Föderalismus beugen. Asylbewerber dürfen in der Stadt Basel arbeiten, nicht aber im Kanton Basel-Land und auch nicht im Kanton Zürich. Monika Stocker wird sich für eine Arbeitsbewilligung für Sans-Papiers in Zürich einsetzen.

Eine Mitarbeiterin der Manifestgruppe verwies auf Grund mehrerer Informationen auf die Gefahr, dass Angehörige ihre Langzeitpatienten mit sanftem Druck zum Exit führen.

Die Manifestgruppe der GrossmütterRevolution wird ihre Empfehlungen auf politischer Ebene einbringen. Der Bericht „Care-Arbeit unter Druck“ wird veröffentlicht unter www.grossmuetter.ch.

Bericht «Care-Arbeit unter Druck» als pdf

Die GrossmütterRevolution ist Netzwerk, Plattform und Think Tank für gesellschaftliches und politisches Engagement von Frauen der Grossmütter-Generation (die selber keine Grossmütter sein müssen). Die „Manifestgruppe“ ist der politische Arm der GrossmütterRevolution. Die GrossmütterRevolution wird vom Migros-Kulturprozent unterstützt.

Bilder: kathrin schulthess fotografie, basel

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