StartseiteMagazinGesellschaftIsidor, der Mann im Wald

Isidor, der Mann im Wald

Er lebt im Wald – im Sommer und Winter. Jetzt kommt er ins Kino.

Da steht er plötzlich vor dem Einkaufszentrum – mit seinem alten Velo, den Gepäckständer hoch beladen mit Plastiksäcken, obendrauf ein Kopfkissen ohne Bezug: Isidor, der Mann aus dem Wald um Winterthur. Die grüne Fleecejacke mit kleinen Löchern, die sportliche Hose vermutlich ebenfalls mit «Lüftung», wehrhafte alte Militärschuhe an den Füssen. Das Gesicht glatt, die Haare schulterlang und erstaunlich gepflegt, die Hände kräftig, rau und geschwärzt. Bei flüchtigem Hinsehen sieht er aus wie ein Waldarbeiter.

Isidor zeigt, wie man Zunder mit einem Brennglas entzündet

Ein leere Tube Zahnpasta ist aus dem umfangreichen Gepäck gefallen. Isidor hebt sie auf. Den Rest will er noch herausquetschen. In seinen Plastiksäcken hat er die Ausbeute seiner Tour durch Winterthur gehortet. Es sind nützliche Funde aus dem Abfall: Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände, Kleidung – Dinge, die er braucht, um im Wald zu überleben. Und jetzt möchte er zurück in die Einsamkeit, weg von der lauten, anstrengenden Stadt.

Wir sprechen ihn an wie einen alten Bekannten. Mein Mann hat Isidor schon früher auf dem Hundespaziergang im Wald kennengelernt. Ich selber durfte kürzlich – aufgrund eines Inserats in Rent a Rentner – an der hochdeutschen Untertitelung eines Dokumentarfilms über den Einsiedler mitarbeiten und freue mich, dass das Schicksal mir dieses Zufallstreffen beschert hat.

Isidor schüttelt uns die Hände. Eigentlich wollte er vor der Abfahrt noch einen Kaffee im Einkaufszentrum trinken, erklärt er uns. Dummerweise jedoch habe er in seinen Taschen nur noch CHF 1.70 gefunden – zu wenig. Ehrensache, dass wir ihn einladen! Nein, essen möchte er nicht. Aber einen Kaffee akzeptiert er gern.

Feuer machen mit einem Feuerstein

Wir fragen, wie er es anstellt, im Wald zu leben und trotzdem so glatt rasiert in der Stadt unterwegs zu sein. «Rasiermesser, kein Problem», sagt er. Zwei hat er dabei, ebenfalls Fundstücke aus dem Abfall. Auf das Messer englischer Fabrikation ist Isidor besonders stolz. Aber das deutsche Messer ist nicht minder scharf, wie uns Isidor am Kaffeetisch an seiner Backe demonstriert.

Weitere Schätze kommen aus seinen Taschen zum Vorschein, ein grünlicher Schleifstein und ein Rasierpinsel «mit echten Dachshaaren», wie Isidor anerkennend betont. Dann stellt er uns eine kleine, aufstellbare Lupe mit Fadenzähler vor, selbst vollkommen fasziniert von der ausgeklügelten Technik und Präzision, mit der das kleine Metallgestell mit Vergrösserungsglas gefertigt ist. Jeden Fund hatte er sorgfältig in weisses Papier eingewickelt. Auf dem Tisch türmt sich jetzt das Papier, und es entsteht eine Auslegeordnung der neusten Schätze aus dem Müll.

Der Zunder in der Blechbüchse hat Feuer gefangen. Jetzt gilt es, zu blasen.

Auch ein Kamasutra über die indische Liebeskunst habe er schon einmal gefunden und mit Interesse gelesen, berichtet Isidor: «Überhaupt lese ich viel – am liebsten Sachbücher.» Gern würde er einmal ein Buch über die Erfindungen von Leonardo da Vinci finden. Wie kommt er an die Bücher? Er fischt sie aus dem Abfall. Und wenn er mal ein paar Franken von einem «Sponsor» erhalten hat, stöbert er im Brockenhaus und kauft sich eins. Zum Beispiel ein Buch über das alte Ägypten mit entsprechenden Fotos, oder ein kleines Vogelbüchlein, um Kindern die Vögel im Wald zu erklären, wenn sie zufällig mit den Eltern oder Grosseltern an seiner «Hütte» vorbeikommen. Für Kinder hat er übrigens an seinem Wohnort eine Art Seilwinde gebaut aus einem kräftigen Seil, Ästen und Steinen, um zu demonstrieren, wie man mit einer aus einem Ast geformten Kurbel und wenig Kraft einen schweren «Rugel »von A nach B bewegt. Das Gleiche demonstriert er auch am Beispiel eines schweren Holzrugels, der auf zwei kleineren Rundhölzern schon von einem kleinen Kind bewegt werden kann.

Die selbst gebaute Seilwinde, an deren Beispiel Isidor demonstriert, wie die Schwerkraft überlistet werden kann.

Vom Nebentisch im Einkaufszentrum werden schräge Blicke zu uns herübergeworfen. Denn wir haben verdächtig viel Spass miteinander am Kaffeetisch. Isidor weiss viel, und er teilt es gern mit. Er ist humorvoll und liebenswert. Man muss allerdings etwas Geduld mitbringen, wenn man dem eloquenten Aussenseiter lauscht und die manchmal etwas assoziativ vorgetragenen Versatzstücke seiner Beobachtungen im Kopf zusammensetzt. Der Obrigkeit und Otto Normalverbraucher gegenüber fühlt sich Isidor gern überlegen – Kunststück, wenn man es fertigbringt, so bedürfnislos und quasi ohne Geld im Wald zu leben.

Sein Redefluss scheint durch die Einsamkeit im Wald beflügelt. Seit schon etwa acht Jahren lebt er unter dem Dach eines offenen Grillplatzes, mit vielen Decken und dem gesammelten und selbst gebastelten Haushalt ringsherum. Gegenüber am Wegesrand hat er einen Teil seiner Schätze ausgestellt, von interessanten Steinen über einen besonders schönen Tannenzapfen oder einen alten Lederhut bis zu schönen, getrockneten Baumpilzen.

Ausstellung am Wegesrand und «Herd» (siehe Blechbüchse)

Am Wegesrand steht auch seine «Küche». Hier erzeugt er – wie weiland unsere Vorfahren – Feuer mit einem Feuerstein und Zunder, oder mit dem Brennglas über einer mit Zunder gefüllten Blechbüchse, um sich Kaffee zu kochen, oder etwas warm zu machen. Der Förster kennt und toleriert ihn nolens volens, wobei es gelegentlich zu Wortgefechten kommt.

Als mein Mann Isidor vor mindestens sechs Jahren erstmals auf dem Hundespaziergang begegnete, hat er sich von ihm erklären lassen, wie man einen Bogen baut und Pfeile dafür schnitzt. Isidor ist ein Lebenskünstler. Seine Meinung von der modernen Gesellschaft, in der er nicht leben möchte, ist nicht ganz ungetrübt. Gleichzeitig aber scheint Isidor im Reinen zu sein mit sich und seiner Situation. Er lebt im Hier und Jetzt. Die Freiheit von allen Zwängen scheint ihm alles zu bedeuten.

Isidor spaltet einen Baumstamm mit Hilfe eines Keils

Wer Isidor näher kennenlernen möchte, hat Gelegenheit, einen Dokumentarfilm über Isidor, den Mann im Wald, zu sehen. Der Winterthurer Jungfilmer und Regisseur Lukas Schwarzenbacher von Islandart GmbH hat Isidor viele Male in seiner «Hütte» im Wald mit einer Kamera aufgesucht und zahlreiche Stunden mit ihm verbracht. Aus dieser Zweisamkeit ist ein ruhiges und stimmungsvolles Porträt entstanden.

Isidor – Wohnen im Wald.

Sonntag, 3. Mai und Montag, 4. Mai 2015, 19:30 Uhr, im Kino Nische; Eintritt CHF 12. Kulturzentrum Gaswerk, Untere Schöntalstr. 19, 8406 Winterthur.

Sonntag, 10. Mai 2015, 17:15 und 19:30 Uhr, im Kino Loge; Eintritt CHF 18. Oberer Graben 6, 8400 Winterthur.

Tickets können unter www.islandart.ch/isidor reserviert werden.

Ab Montag, 11. Mai, läuft «Isidor» im regulären Kinoprogramm in der Loge, und die Tickets werden über die Kiwi-Kinos reserviert.

Trailer: Isidor – Wohnen im Wald from Islandart GmbH on Vimeo.

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