StartseiteMagazinKulturLeere Bühne voller Emotionen

Leere Bühne voller Emotionen

Kaum eine Epoche, kaum eine Kunstgattung, die sich nicht mit dem Stoff auseinandergesetzt hat: mit der fatalen Leidenschaft zweier junger Menschen, die bereit sind für ihre von einer Familienfehde verunmöglichte Liebe zu sterben. Klar, die Rede ist von Shakespeares «Most Excellent and Lamentable Tragedy of Romeo and Juliet», entstanden in den frühen 1590er Jahren.

Ted Huffmans aktuelle Inszenierung von Charles Gounods Oper «Roméo et Juliette» am Zürcher Opernhaus fokussiert auf die Intimität der Tragödie. Er folgt damit den vier bedeutungsvollen Duetten, die über die ganze Oper hinweg einen Bogen vom Hohelied der Liebe zum Grabgesang spannen.

Dazu schuf Andrew Lieberman ein karges, aber stimmiges Einheitsbühnenbild: einen rechteckigen Raum in pudrigem Blaugrau. Links und rechts zwei akkurat ausgerichtete Stuhlreihen, zeichenhaft für eine patriarchale, rigide Gesellschaftsordnung, die im Verlauf des Abends allerdings gehörig umgestellt, gekippt, gestört wird. Gleichzeitig bewegt sich der rückwärtige Prospekt von Akt zu Akt weiter nach vorne, sodass am Ende nur noch ein schmaler Streifen bleibt: die enge Grabesgruft. Diese konsequent reduzierte Bühne schafft rein räumlich viel Platz für die darstellerische Aktion. Und mehr noch bietet sie Raum für konzentrierte Leidenschaft und Emotion, sodass sich die Magie des Theaters wunderbar entfalten kann.

Die Ballgäste, dargestellt vom Chor der Oper Zürich, feiern sich im Prolog selber. (alle Bilder Opernhaus Zürich/Herwig Prammer) 

Während des Vorspiels öffnen sich beidseits zuvor fast unsichtbare (Tapeten-)Türen. Durch sie strömen die elegant gekleideten Ballgäste (Kostüme: Annemarie Woods), in den Raum und stellen sich zum Prolog auf, der das Drama vorwegnimmt, ausgezeichnet dargeboten vom Chor, der auch die weiteren unterschiedlichen Aufgaben souverän meistert.

Suggestive Klangräume

Ebenso die Philharmonia Zürich. Unter dem Gastdirigenten Roberto Forés Veres schafft sie suggestive Klangräume: vom martialisch-forschen Vorspiel zum schwungvollen Walzertaumel. Von der aggressiven Raufszene zur sakralen Stimmung. Vom ironisch-heiterem Couplet zur lyrisch grundierten Liebes- und Todesnacht.

Nach dem Prolog ordnet Graf Capulet – David Soar mit elegantem Bass gibt den umsichtigen, aber auch unerbittlichen pater familias – die Gäste paarweise zum Tanz: Eine hinreissende Ballszene, die Pim Veulings hochpräzis und musikalisch stringent choreografiert hat, genauso wie später die von Testosteron, Präpotenz und Aggression dominierte Keilerei.

Eine hochpräzis choreografierte Ballszene (Pim Veulings) artet bald aus.

Ausgelöst wird der fatale Streit durch Stéphano, Roméos Freund, indem er die Capulets mit seinem unverfrorenen Trällern reizt. Die Mezzosopranistin Svetlina Stojanova brilliert in dieser Hosenrolle mit anmutiger Gestalt und facettenreichem Silberklang, was für einen der wenigen heiteren Momente sorgt.

Da kippt die Ballszene in eine von Testeron und Aggression geprägte Keilerei.

Eine solche Note bringt auch Mercutio mit seiner Ballade über die kapriziöse Feenkönigin Mab ins Spiel. Der schlanke, wendige Bariton des Ukrainers Yuriy Hadzetskyy findet eine aparte Balance zwischen Nonchalance und juvenilem Draufgängertum. Als sein gefährlicher Kontrahent, Julias Cousin Tybalt, profiliert sich Omer Kobiljak; ganz der Familienehre verpflichtet, verleiht er seinem Tenor mitunter stählerne Wucht und unterstreicht dies mit entsprechendem Machogehabe. Brent Michael Smith gibt den Pater Lorenzo mit balsamischem, etwas eindimensionalem Bass und liebenswürdiger Erscheinung – für einmal kein weiser, alter Klosterbruder, sondern ein jugendlicher Geistlicher, der wohl ahnt, wie Liebe tut.

Mit untrüglichem Theatersinn hat Gounod die Nebenrollen musikalisch charakterisiert, die hier nicht einzeln genannt seien, die aber alle stimmlich wie darstellerisch zum überzeugenden Resultat beitragen.

Ein ideales Paar

Bleiben die Titelrollen – und für einmal sei der inflationäre Ausdruck des «Traumpaars» gestattet, beide genuin französisch. Julie Fuchs bezaubert mit strahlendem, unangestrengtem Sopran bereits beim ersten Auftritt als junge Frau, die sich nicht in die Ehe mit dem vom Vater ausgewählten Gatten schicken will. Im Verlauf des Abends wird sie ihrer Stimme zunehmend ein wärmeres, innigeres Timbre verleihen. Fürs erste aber unterfüttert sie die gleissenden Skalen des berühmten Walzers mit rebellischem Aufbegehren. Unmissverständlich formuliert sie ihren Anspruch ans Leben und entledigt sich dazu ihrer Schuhe, balanciert keck über die Stuhlreihen und bringt ihre Amme Gertrude (Katia Ledoux) arg ins Schnaufen – eines der vielen feinen Signale, die Huffmans sorgfältige Personenführung auszeichnen.

Julia (Julie Fuchs), Roméo (Benjamin Bernheim) und Pater Lorenzo (Brent Michael Smith) in einer berührenden Szene.

Anders als Julie Fuchs hat Benjamin Bernheim die Rolle des Roméo bereits verkörpert, hat sie sich im besten Sinn des Worts zu eigen gemacht. Die totale Hingabe, die ungezügelte Wut, die bodenlose Verzweiflung – der formidable Tenor durchlebt die unterschiedlichen Seelenzustände mit Schmelz, Schärfe und schonungsloser Intensität, die schaudern macht.

Die dräuende Rückwand steht nun fast an der Rampe: Für die Liebenden bleibt kein Platz in dieser in Streit und Hass verhafteten Welt. Sie singen sich sterbend in eine bessere Welt. Und obwohl wir den brutalen Schluss natürlich längst kennen, haben wir einmal mehr gehofft, dass es diesmal, nur dieses einzige Mal, gnädiger enden würde…

Weitere Aufführungen bis 18. Mai

Rabatt über Seniorweb

Beim Kauf einer Limmex-Notruf-Uhr erhalten Sie CHF 100.—Rabatt.

Verlangen Sie unter info@seniorweb.ch einen Gutschein Code. Diesen können Sie im Limmex-Online-Shop einlösen.

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein