StartseiteMagazinKultur"Mahagonny" tanzt ins Verderben

«Mahagonny» tanzt ins Verderben

„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ heisst die Brecht/Weill-Oper, die am Opernhaus Zürich Premiere hatte: ein Fall für die Geschichtsbücher.

Eine ZDF-Fernsehreihe trug den Titel: „Aufstieg und Fall des Kommunismus“, und genau so gut liesse sich „Mahagonny“ mit dem Wort „Kommunismus“ austauschen, denn was Brecht/Weill vor 90 Jahren in Baden-Baden als aufmüpfig-provokative Musikrevue auf die Bretter zauberten und daraufhin 1930 in Leipzig zur Opern-Uraufführung brachten, ist politischer Schnee von vorgestern und inzwischen ziemlich lendenlahm geworden.

Worum geht es? Drei gestrandete Flüchtlinge beschliessen eine Stadt zu gründen, in der Milch und Honig fliessen sollen. Daraus resultiert erst ein bisschen Spiesser-Glück und dann der nackte Revolverkapitalismus „alle gegen alle“. Das grösste Verbrechen ist es, kein Geld zu haben. Und da die Galionsfigur Paule Ackermann eine Zeche nicht mehr begleichen kann, wird er kurzerhand zum Tod verurteil und über den Haufen geschossen.

Opernhaus Zürich – Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny – 2017/18
© T + T Fotografie – Tanja Dorendorf

Bademäntel hecheln Jenny Hill (Annette Dasch) nach / Fotos © T+T Tanja Dorendorf

Nun, die Schwarz-Weiss-Malerei war schon immer das Vehikel, mit der Brecht mittels epischem Theater die Illusion zur Desillusion umformte. Die papierene Zeigefingermoral, die dem einfachen Bürger und Arbeiter die Mechanismen der Ausbeutung und Dekadenz vorführen wollte, zeigte durchaus Parallelen zu den „roaring twenties“ der Weltstadt Berlin mit seiner hässlichen „alles oder nichts“-Fratze. Doch schon damals lief die Botschaft ziemlich ins Leere, da die Unterschichten gar keine Theatergänger waren und die intellektuellen Künstler mehr Misstrauen als Wohlwollen ernteten. Die gleiche Ernüchterung brachte dann 1968 der intendierte Schulterschluss zwischen der gebildeten Utopia-Oberschicht und der Arbeiterschaft, welcher der Spatz in der Hand lieber war als die Taube auf dem Dach.

Fressen – Lieben – Kämpfen – Saufen

«Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.» So heisst es schon in Brechts berühmterer Dreigroschenoper. In „Mahagonny“ wiederholt und erweitert er stereotyp und refrainartig, dass neben dem Fressen die Wollust, die rohe Gewalt (hier ein allerdings köstlicher Slapstick-Boxkampf zwischen Ruben Drole und Christopher Purves) und das Rundum-Saufen zur Glamourstadt gehören wie das Amen in der Kirche. „Wenn man alles dürfen darf“ führt es allenthalben in die Sinnentleerung, und die Ware Geld wird zum Heilsbringer, zu der natürlich in erster Linie die käufliche Liebe zählt. Logisch, dass mit Leokadja Begbick eine Puffmutter das Szepter schwingt und Sodom und Gomorrha, Babylon oder Las Vegas (gleichviel) heraufbeschwört. Der Niedergang der Traumstadt ist demnach vorprogrammiert, Flämmchengalerien zeugen wenigstens davon.

Opernhaus Zürich – Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny – 2017/18
© T + T Fotografie – Tanja Dorendorf

Umwerfender Boxkampf mit Christopher Purves, Michael Laurenz und Ruben Drole (v.l.)

Weiche Landung zwischen Stuhl und Bank

Seit Weill und Brecht hat das Musical ein eigenes Genre mit Sängerdarstellern entwickelt, die singen, sprechen und tanzen können müssen. Da tut sich die traditionelle Oper schwer, denn ihr Schöngesang und ihre zwei linken Beine sind weder für die Ohren noch die Augen tauglich. Die Herren des Opernhauses tanzen zu sehen, ist zwar eine Lachnummer, aber eher unfreiwillig. Natürlich kittet die Regie den Mangel mit professionell Tanzenden, die den Musical-Schmiss ein bisschen im Blut haben. Aber der Herrenchor tänzelt in seinen Bademänteln aus der Sauna und singt, als sei er eben der „Zauberflöte“ entstiegen (Einstudierung Janko Kastelic).

Sebastian Baumgarten hätte man nach seiner durchgeknallten Zürcher „Don Giovanni“-Regie zugetraut, ordentlich auf den Putz zu hauen, aber diese weichgespülte Inszenierung hat kaum je Biss, provoziert nicht und bleibt harmlos. Das hat allerdings auch mit zwei Fehlbesetzungen zu tun. Die rabaukige Puffmutter Begbick muss ein männerverzehrendes, ziemlich ordinäres Kaliber abgeben, wie sie seinerzeit Martha Mödl und Astrid Varnay verkörperten. Karita Mattila ist leider nur eine alternde Diva, der man die Verruchtheit weder in der Erscheinung noch im fahl-blassen Tonumfang abnimmt. Und Annette Dasch, welche als Kurtisane Jenny Hill das „Alter Ego“ der Begbick spiegeln sollte, singt viel zu schön und kann sich in den Tutti gegen Chor und Orchester kaum je durchsetzen.

Bleibt von den Hauptrollen der Wagner-Tenor Christopher Ventris, der zum Glück genau die leicht schrille, immer präsente Mischfärbung und sprachliche Artikulation mitbringt, die für den Paule Ackermann gefordert sind. In Nebenrollen überzeugen Michael Laurenz (als Willy), Christopher Purves (Dreieinigkeitsmoses) und Ruben Drole (Alaskawolfjoe), ein Ausnahmekönner, dem man gerne wieder einmal in einer wirklich ausfüllenden Paraderolle begegnen möchte.

Wenig inspirierend ist das Bühnenbild von Barbara Ehlers. Statt einer Kultstadt à la Las Vegas begegnen wir einem nüchternen Stundenhotel mit wechselnden Leuchttafeln und einer „Pool“-Schale, der das „Swimming“ abhanden kam. Was die Inszenierung aber rettet, ist das Video-Design von Chris Kondek, das mit ungemein suggestiven Einblendern fesselt und z.B. den herannahenden Hurrikan wie aus dem Bilderbuch auf die Wände zaubert. Das hat grosse Klasse.

 

Weitere Vorstellungen: November 9, 12, 14, 17, 19, 22, 24

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