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Natur und Mensch portraitiert

Gräser I 1995/96 240 x 340 cm Mineralpigmente (in Damarharz und Bienenwachs gebunden) auf ungrundierter Leinwand

Das Museum in Burgdorf zeigt einige Gemälde und einen neuen Holzschnitt von Franz Gertsch, denen vier Siebdrucke von Andy Warhol gegenüberstehen.

Würde ein Käfer, wenn er einen Halm hochkrabbelt, die Gräser so sehen, wie Franz Gertsch sie malt? Und ein Kolibri, der über einer Bromelienblüte auf Guadeloupe schwirrte – übernehmen wir seine Perspektive, wenn wir das Bild betrachten? Wohlgemerkt, Gertsch fügt weder Käfer noch Kolibri in seine Gemälde ein, allein das Format lässt die Museumsbesucherinnen und -besucher scheinbar zu winzigen Beobachtenden schrumpfen angesichts der Grösse der Bilder. Ein ungewohnter Blick, der je länger je mehr fasziniert. Denn wann sonst machen wir uns die Mühe, Gräser mit der Lupe anzuschauen. Und auch dann hätten wir nur den kleinen runden Ausschnitt der Lupe, nicht das ganze Wiesenstück.

Franz Gertsch: Gräser I, 1995/1996 Mineralpigmente (in Dammarharz und Bienenwachs gebunden) auf ungrundierter Baumwolle 240 x 340 cm Museum Franz Gertsch, Burgdorf © Franz Gertsch

Überlebensgross sind auch die Portraits, seit Jahrzehnten der zweite Schwerpunkt des Künstlers, zumeist sind es junge Frauen oder Mädchen, die Gertsch jeweils nach einem Foto malt. Dabei fasziniert vor allem der Ausdruck, der das Individuelle jeder der Frauen aufscheinen lässt. Der Titel der gegenwärtigen Schau «Franz Gertsch. Johanna & Co. feat. Andy Warhol» nimmt darauf Bezug. Sowohl der Berner Maler als auch der Weltstar hatten anfangs der 1980er Jahre in Wien das junge Modell Johanna fotografiert. Warhol hatte aufgrund von zwei Polaroid-Aufnahmen vier Siebdrucke angefertigt, je zwei gleiche. Im Burgdorfer Museum werden nun erstmals diese vier Blätter von 1981 ausgestellt. Daneben zwei der drei Gemälde von Johanna, die Franz Gertsch in diesen Jahren schuf.

Franz Gertsch: Johanna I, 1983/84 Acryl auf ungrundierter Baumwolle 330 x 340 cm Museum Franz Gertsch, Burgdorf (Dauerleihgabe aus Privatbesitz) © Franz Gertsch

Im Gegensatz zum New Yorker Künstler tendierte Gertsch zunächst dazu, die Bitte des Vaters abzulehnen, da er prinzipiell keine Aufträge übernehmen wollte. Johanna zu portraitieren, reizte ihn jedoch, und er erhielt die Zusicherung, dass das fertige Gemälde als Leihgabe im Palais Lichtenstein in Wien hängen würde. So entstand zuerst ein Werk in typisch Gertsch’schen Massen: 330 x 340 cm. Anschliessend fertigte der Maler noch ein kleineres Portrait «Johanna III» auf Papier an, damit der Auftraggeber das Werk auch in seinem Haus anschauen konnte.

Das kleinere der beiden Gertsch-Portraits hängt an der Stirnwand des Ausstellungsraumes, in rechtem Winkel dazu die Warhol-Siebdrucke. Aus urheberrechtlichen Gründen sind diese nur auf der Webseite des Museums zu sehen, nicht innerhalb dieses Berichtes. Während Warhol Wert auf Wirkung nach aussen legte, den Mund mit knalligem Rot, die Augen himmelblau heraushob, den Schwung der Haare betonte, arbeitete Gertsch mit Acryl auf Baumwolle mit feinsten Pinselstrichen. So erhält Johanna ein individuelles Gesicht, in ihrer Jugendlichkeit sich selbst und ihrer Schönheit bewusst, aber mit einer feinen Aura tieferer, vielleicht noch unbewusster Gefühle.

Franz Gertsch: Silvia I, 1998 Tempera auf  ungrundierter Leinwand 290 x 280 cm Museum Franz Gertsch, Burgdorf © Franz Gertsch

In den 1980er Jahren hatte Gertsch verschiedene Frauenportraits geschaffen, zum Vergleich ist das späte Portrait «Silvia I» ausgestellt, 1998 entstanden, und eines der wenigen Selbstportraits (1980).

 

Der Lieblingsaal der Schreibenden ist, es sei zugegeben, der grösste im Museum, der durch ein Oberlicht angenehmes Licht erhält. Dort hängen die Vier Jahreszeiten-Gemälde, ein Zyklus von vier Bildern, mit denen sich der Künstler 2007 bis 2011 beschäftigte. Auch hier stand am Anfang eine vorhandene Fotografie, ein Waldweg an einem leichten Hang im herbstlich gefärbten Wald in der Umgebung des Wohnortes von Gertsch. Nachdem die Idee, eine Reihe im Ablauf der Jahreszeiten zu schaffen, einmal geboren war, fotografierte der Maler den gleichen Ort in den anderen drei Jahreszeiten. Entgegen seinem üblichen Vorgehen, das Dia auf die Leinwand zu projizieren, entschied sich Gertsch hier, direkt zu malen.

Franz Gertsch: Herbst, 2007/08 Acryl auf ungrundierter Baumwolle / acrylic on unprimed cotton 325 x 490 cm Sammlung Dr. h.c. Willy Michel © Franz Gertsch

Jedes der Werke strahlt eine andere Stimmung aus: die bewegliche, farbige Pracht des Herbstwaldes, die starre, schlafende Kälte des Winters, die strahlende Frische des Frühlings und das satte Leben der sommerlichen Natur. Wenn man die Bilder aus wechselnder Distanz betrachtet, fallen frappierende Unterschiede auf. Aus der Nähe verwirren die Farbpartikel in flirrender Unschärfe. Die Genauigkeit und präzise Gestaltung des Malers wird jedoch aus der Ferne erkennbar, denn dann erscheint der Wald real, jedes Blatt, jeder Zweig sichtbar – bereit für einen Spaziergang. Hier dreht sich der Effekt fotorealistischer Arbeiten um. Diese vier Gemälde des heute 85-jährigen Künstlers zählen zu seinen Hauptwerken.

Franz Gertsch: Bromelia (Guadeloupe), 2012 Eitempera auf ungrundierter Baumwolle 250 x 370 cm Besitz des Künstlers © Franz Gertsch

Die Ausstellung wurde kuratiert von Anna Wesle in Zusammenarbeit mit Franz Gertsch selbst.
Sie ist noch bis 28. Februar 2016 zu sehen.

Museum Franz Gertsch in Burgdorf BE

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