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Perlen aus dem Bündnerland

In seiner Jubiläumsreihe Wege der Sammlung zeigt das Kunsthaus Zug Bilder und Objekte aus dem Bündner Kunstmuseum

Was tun, wenn das Zuhause vorübergehend wegen Bauarbeiten nicht bewohnbar ist? Am besten zu Freunden ziehen. So ähnlich hält es die Sammlung des Bündner Kunstmuseums in Chur. Wenn im Juni wieder eröffnet wird, sind alle Bilder und Objekte wieder da. Aber ab morgen ist die Sammlung aus Chur zu Gast im Kunsthaus Zug. Museumsdirektor Stephan Kunz zielt auf ein „Charakterbild der Sammlung“ im Hinblick auf die grosse Eröffnung von Villa Planta und Neubau im Juni. Die Ausstellung in Zug ist also der Apéro vor dem Bankett in Chur.

Möbel von Diego Giacometti vor Bildern seines Vaters Giovanni

Der Anfang ist der Moderne gewidmet, Giovanni Segantini und den Giacometti, Augusto, dem Farbvisionär und Giovanni, dem spätimpressionistischen Landschaftsmaler und Vater von Diego, der mit einer Möbelgruppe vertreten ist und von Alberto, dem berühmtesten der Familie. Ihm ist ein spezielles Kabinett gewidmet, wo eine Bronzefigur und mehrere Papierarbeiten ausgestellt sind.

Alberto Giacometti: Eli Lotar III. 1965
© Succession Giacometti / 2014 ProLitteris

In die lichte Bergwelt hat der Zug Kuratur mit einer düster-unheimliche Wiener Stadtlandschaft, genannt Waldandacht von Eugen Schiele einen Steilpass gespielt – direkt gegenüber von Giovannis Frühlingsallegorie I figli della luce. Einen Dialog ergibt sich ausserdem zwischen HandArbeit einem Video von Evelina Cajacob, über das Falten von Küchentüchern, und Segantinis Bäuerinnen-Porträts.

Kleine Museen wie Chur, Zug, aber auch Solothurn oder Luzern können nicht Kunstgeschichte schreiben, das bleibt den grossen wie etwa Basel vorbehalten. Also werden Schwerpunkte gesetzt. Auf die Moderne folgt in der Churer Sammlung der Expressionismus; Ernst Ludwig Kirchner wurde in seinen Davoser Jahren ab 1919 bis zu seinem Freitod 1938 die Vaterfigur der Schweizer Expressionisten. Sie reisten öfters zu ihm, beispielsweise Albert Müller oder Hermann Scherer. Das Selbstbildnis Kirchners und zwei Wandteppiche, sowie eine Malerei des jung gestorbenen Andreas Walser ergänzen die Zeichnungen und Grafiken, darunter Aktstudien und Porträts, teils aus Davos (Chur), teils aus Berlin oder Dresden, Zentren des deutschen Expressionismus (Zug).

Jean Frédéric Schnyder: Sinnbild, 2010 © Künstler

Während Segantini aus Italien, Kirchner aus Deutschland in die Bündner Alpentäler einwanderten, emigrierte einer der bedeutendsten Bündner nach Paris, Alberto Giacometti. Aber ohne seine Landschaft, ohne Graubünden konnte er ebensowenig existieren wie viele zeitgenössische Bündner Literaten, Musiker sowie Künstlerinnen und Künstler – die Fotokünstler Guido Baselgia oder Hans Danuser, die Maler Corsin Fontana und Gaspare O. Melcher oder auch Not Vital und Zilla Leutenegger, deren Frau mit Teppichklopfer (Delete 5) alle Besucher gleich beim Eintreten ins Museum empfängt. Graumaler seien sie, die Bündner Künstler, das mag für die Fotografie – weiterer Sammlungsschwerpunkt des Bündner Kunstmuseums – weitgehend zutreffen.

Guido Baselgia Weltraum XLII 2003 © Guido Baselgia, und Ester Vonplon Gletscherfahrt 2014. © Künsterin

Zentral im Raum die Bodeninstallation Erosion V von Hans Danuser, umgeben von Guido Baselgias grossartig leeren Landstrichen mit Fels und Wasser, von Ester Vonplons Auseinandersetzung mit der Gletscherschmelze und damit der Klimaerwärmung. Ästhetisch und beunruhigend. Hintergründig sind auch die Objekte von Mirko Baselgia, dem jüngsten Künstler in der Ausstellung: Sie sehen aus wie ihre industriellen Verwandten für die Verpackung von Gütern aller Art, auch Kunst, sind aber aus Edelhölzern gefertigt. Ihr Name: Bett des Prokrustes. Der Churer Museumsdirektor Stephan Kunz interpretiert: „Es ist Kritik an der Normierung; ein Palett muss durch die Türe gehen, dann kann man auch ein Museum drum herum bauen…“

Bilder von Mathias Spescha im Dialog mit Skulpturen von Fritz Wotruba

Neben Ausgewanderten gibt es nach wie vor Einwanderer. So sind Miriam Cahn und Heiner Kiehlholz Wahl-Bündner geworden. Kurze Zeit war auch ein Zuger Künstler im Bündnerland, Jean-Frédéric Schnyer. Seine Serie Zugersee bei Sonnenaufgang, jüngst angekauft vom Kantons Zug, wird erstmals gezeigt – in einem „Raum mit Freunden“, darunter eben Heiner Kielholz. Die Bündner Sammlung konnte nebst Kielholz-Werken auch einen Schnyder beisteuern, die Schnitzerei einer Alphütte mit Vanitas-Elementen, Sinnbild geheissen.

Im letzten Raum hat sich der Zuger Kunsthaus-Direktor Matthias Haldemann „einen kleinen Traum“ erfüllt, nämlich die Meister Gustav Klimt und Augusto Giacometti die ihre Struktur aus der Farbe schöpfen, mit einer gelben den Raum spiegelnden Lacktafel von Adrian Schiess zusammenzubringen. Alle drei suchten ihre Inspiration oft in Gärten.

Gustav Klimt Gartenlandschaft mit Bergkuppe 1916. Kunsthaus Zug, Stiftung Sammlung Kamm, und Augusto Giacometti Fantasie über eine Kartoffelblüte 1917 © Bündner Kunstmuseum Chur

Mit dem Gast Chur schliesst das Kunsthaus Zug sein 25jähriges Jubiläum ab. Zuvor waren die Luzerner, Solothurner und Lausanner Kunstinstitute zu Gast. Hatte der Zuger Kurator Marco Obrist in deren Sammlungen Werke ausgewählt, konnten die Bündner aus dem Vollen schöpfen, da ihr Museum geschlossen und eine Baustelle ist. Sowohl Auswahl als auch Präsentation überzeugen, einige Räume lösen Freude aus, beispielsweise der Dialog zwischen Mathias Spescha (auch ein Graumaler) und dem Bildhauer Fritz Wotruba, der vor dem Naziregime nach Zug geflohen war und der dortigen Sammlung beeindruckende Skulpturen bescherte. Die Ausstellung Charaktere – Das Bündner Kunstmuseum zu Gast im Kunsthaus Zug – bietet die Chance, vermeintlich Bekanntes neu zu sehen.

Titelbild: Giovanni Giacometti, Il ponte al sole, 1907 © Bündner Kunstmuseum (Ausschnitt)

Bis 21. Februar 2016

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