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Sterben – Schicksal oder Entscheidung

Leben ist endlich. – Sind Lebensende und die Aussicht darauf leichter anzunehmen, wenn wir für diese Phase Sterbebegleitung planen?

Themen wie Altern und Sterben waren früher durch Traditionen und Tabus geregelt, die nie oder nur selten in Frage gestellt wurden. Die westliche Gesellschaft nimmt heute für sich in Anspruch, dass sie über alles selbstbestimmt entscheiden will. Viele Menschen fühlen sich heute mehr unter Druck; der Einfluss der Religion auf Alltag und eben auch auf das Lebensende nimmt ab; man ist heute weniger bereit, mit Schmerzen zu leben, auch angesichts der Tatsache, dass die Medizin für alles ein Medikament zu haben scheint. Und schliesslich fühlen sich in unserem Kulturkreis viele moderne Menschen mündig und informiert genug, um auch über ihr Lebensende selbst bestimmen zu können.

Aus diesen Tendenzen heraus ist vor gut dreissig Jahren EXIT, die Vereinigung für humanes Sterben entstanden. Ihr Geschäftsführer Bernhard Sutter (Bild rechts) berichtete innerhalb der Vorlesungsreihe des Zentrums für Gerontologie der Universität Zürich über diese Organisation, ihre Tätigkeit, ihre Ziele, ihre Grundsätze. Diese Vereinigung ist heute, gemessen an der Mitgliederzahl, die grösste in der Welt. Während in den Anfangsjahren ca. 0,25 Prozent der Sterbenden die Dienste von EXIT in Anspruch nahmen, ist es heute ungefähr ein Prozent, auch heute noch keine bedeutende Zahl, aber der Grad der Bekanntheit von EXIT in der Schweiz und darüber hinaus ist enorm gewachsen – und damit die Mitgliederzahl. Im Jahre 1990 sind dreissig Menschen in einen von EXIT begleiteten Tod gegangen, 2015 werden es über 600 sein. Demografische Untersuchungen haben ergeben, dass sich beispielsweise vier Fünftel aller Befragten die Option offenhalten wollen, aus eigener Entscheidung sterben zu wollen, zwei Drittel sehen im Altersfreitod eine gerechtfertigte Möglichkeit. Sutter illustriert das an zwei Zitaten: Als 1990 eine über 90-jährige Frau gestorben war, sagte der Pfarrer in der Abdankungspredigt: «Der Herrgott hat F.B. zu sich gerufen.» – 2015 sagte der Partner einer in Begleitung von EXIT gestorbenen Frau in diesem Zusammenhang: «Den Todeszeitpunkt selbst entscheiden zu können, ist ein Menschenrecht.» – Zwei sich diametral unterscheidende Haltungen. Die Meinung, der Tod und damit auch der Zeitpunkt seines Eintretens seien heute wie so vieles in unserer Welt beherrschbar geworden, verbreitet sich mehr und mehr.

EXIT ist von Menschen gegründet worden, die der Meinung sind, dass nicht alles, was die Medizin am Lebensende tut oder tun kann, auch in den Augen der Betroffenen wirklich sinnvoll und wünschenswert ist. Daraus haben sich für EXIT im Laufe der Jahre vier Tätigkeitsbereiche entwickelt:

  1. Patientenverfügung, schon 1982 eingeführt, eine Pionierleistung von EXIT.
  2. Beratung: Die am häufigsten geforderte Tätigkeit im Rahmen dieser Organisation, in schwierigen Situationen unterschiedlicher Art werden Wege aufgezeigt – solche Beratungen können auch Suizide abwenden.
  3. Förderung der Palliativmedizin, die Sorge für todgeweihte Menschen hat sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt.
  4. Begleitung beim selbstbestimmten Sterben, der bekannteste Bereich der Arbeit von EXIT.

Sterbebegleitung – nicht Sterbehilfe, auf diesen Begriff legt die Vereinigung Wert – findet meistens zu Hause statt. Sie kann nur in Anspruch genommen werden, wenn die Person über ihre volle Urteilsfähigkeit verfügt, sich ihren Sterbewunsch autonom und reiflich überlegt hat und dauerhaft daran festhält. Zudem wird erwartet, dass diese Person EXIT-Mitglied ist, wobei es nicht schwierig ist, Mitglied zu werden. Es sind 55 Prozent Frauen und 45 Prozent Männer, Menschen, die ihr Leben bewusst gestaltet haben und gewohnt sind vorauszuplanen. Seit den Anfangsjahren sind es die gleichen Krankheiten, die zu Sterbebegleitung führen: 40 % leiden unter Formen von Krebs, 20 % an Altersbeschwerden, 13 % an Schmerzen, 10 % an motorisch-neuronalen Erkrankungen, 10 % an Lungenkrankheiten und 7 % an anderen nicht mehr behandelbaren Beschwerden.

Ferdinand Hodler: Valentine Godé-Darel einen Tag vor ihrem Tod, 1915,
Kunstmuseum Basel / wikimedia.commons.org

Auch die Meinung der Ärzte hat sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt: Heute halten drei Viertel der Ärzte Sterbebegleitung für vertretbar, die Hälfte von ihnen könnte sich vorstellen, ein Rezept für ein Sterbemedikament auszustellen. In ihrer Bereitschaft, selbst bei Sterbebegleitung mitzuwirken, sind Ärzte jedoch sehr zurückhaltend. Ganz allmählich zeichnet sich auch in Heimen und Spitälern ein Wandel ab, obwohl der Fall des bekannten Politikers This Jenny immer noch eine Ausnahme ist. Während man früher seine Mitgliedschaft bei EXIT geheim hielt, kann sie heute offen in der Todesanzeige erwähnt werden. Die grössere Akzeptanz führt auch dazu, dass viele Sterbewillige erst sehr kurzfristig zu EXIT kommen, was deshalb Schwierigkeiten verursacht, da ohne wichtige, zeitraubende Abklärungen keine Begleitung möglich ist.

Albrecht Dürer: Bildnis der Mutter, 1514,   Kupferstichkabinett Berlin /   wikimedia.commons.org

Es gibt auch andere selbstbestimmte Formen wie Sterbefasten. Seniorweb berichtete darüber. Zugunsten der Hinterbliebenen von Menschen, die nach dem Anschlag im September 2001 aus den brennenden Twin Towers gesprungen waren, hat ein US-amerikanisches Gericht entschieden, dass diese nicht durch Suizid gestorben sind, was Leistungen von Versicherungen ermöglichte. Besonders schwierig ist die Entscheidung bei Demenzkranken, denn sie sind zumeist nicht mehr in der Lage, klar und bewusst zu entscheiden. – Wie weit kann dann eine im Voraus niedergelegte Verfügung massgebend sein? Auch in unserer Zeit bleiben Sterben und Tod einschneidend und endgültig. Wir müssen uns damit auseinandersetzen.

Die Vorlesungsreihe «Altern, Sterben, Tod» wird jeweils vierzehntäglich, mittwochs 18:15, fortgesetzt:
7.10.: Vor dem Tod sind nicht alle gleich. Überlegungen zur sozialen Frage am Lebensende.

Ein Buch zum Thema:
Hans Wehrli, Bernhard Sutter, Peter Kaufmann, Der organisierte Tod
ISBN 978-3-280-05591-5. Orell-Füssli Verlag. 296 Seiten 2. Aufl. Sept. 2015

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