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Sterben verstehen lernen

Der Film «Being There – Da Sein» von Thomas Lüchinger stellt vier Menschen vor, die Sterbende begleiten, und lehrt, das Sterben besser zu verstehen. Ein Film, der berührt.

Im Dokumentarfilm «Being There – Da Sein» geht es um Menschen, die Sterbende in verschiedenen Kulturen begleiten. In der Konfrontation mit ihrer eigenen Sterblichkeit zeigen sie Möglichkeiten, wie sie für Sterbende in ihrer letzten Lebensphase da sind, dabei immer neu mit dem eigenen Leben in Beziehung treten und ihr Verhältnis zu Tod und Sterben reflektieren. Die Protagonisten sind Sonam Dölma, Hospizschwester in Kathmandu; Alcio Braz, Psychotherapeut, Zen-Lehrer und Leiter einer Stiftung für unheilbar Kranken in Rio de Janeiro; Elisabeth Würmli, ehemalige Sportlehrerin aus St. Gallen und heute Sterbebegleiterin sowie Ron Hoffmann, USA. Diese Lebenskünstlerinnen und Lebenskünstler aus vier Kontinenten werfen die Frage auf, ob wir heute nicht eine neue «ars moriendi», eine neue Kunst des Sterbens, bräuchten, die, wie im späten Mittelalter, das Sterben als Teil des Lebens und die Auseinandersetzung mit dem Sterben als Bereicherung des Leben versteht.

Den Tod erlebt der moderne Mensch vor allem aus Kriegs- und Katastrophenbildern, bei welchen das Sterben jedoch meist ausgespart wird. Ältere Menschen nehmen den Tod vor allem als Todesanzeigen wahr, in welchen das Sterben auch bloss in wenigen Worten erwähnt wird. Gute Filme thematisieren gelegentlich diesen ausgesparten Teil des Lebens. Der-andere-film.ch stellt unter dem Thema «Sterben» Filme vor, die sich dieses Themas annehmen. Hier drei Titel: «Das Ende ist der Anfang» von Jo Baier schildert den bewussten Umgang mit dem Sterben des italienischen Journalisten Tiziano Terzani. «Amour» von Michael Haneke behandelt den Tod aus Liebe, das Sterben eines geliebten Menschen. In «Fragments du paradis» fragt Stéphane Goël alte Menschen nach ihren Fantasien über das Leben nach dem Tode, auch hier nur mit wenigen Bemerkungen über das Sterben. Thomas Lüchinger konzentriert sich in seinem Film «Being There – Da Sein» auf das Dazwischen zwischen Tod und Leben: das Sterben – als Teil des Lebens.

Sonam Dölma pflegt Todkranke aus dem Geist des Buddhismus

Vier Lebenskünstler über das Sterben

Sonam Dölmas Handeln und Denken ist von ihren kulturellen Werten aus dem Buddhismus geprägt. Bei ihr steht die Pflege sterbenskranker Menschen im Vordergrund. Und das bedeutet für sie, dass wir bloss Gäste sind im Universum, was uns verpflichtet, für andere da zu sein. – Der Psychiater und Zen-Lehrer Alcio Braz bildet junge Menschen zu Sterbebegleitern aus. Bei ihm steht der Gedanke im Vordergrund, dass wir «nichts besitzen – nicht einmal unseren Körper», und dass Sterbebegleitung keine Technik, sondern eine Philosophie ist. – Ron Hoffman erlebte eine traumatische Kindheit. Mit zehn Jahren wurde er von seinem Vater angeschossen, als dieser aus Eifersucht versuchte, seine Mutter zu töten. Dieses Erlebnis beeinflusste sein Leben, das er heute mit Leidenschaft den unheilbar Kranken widmet. – Nach einem Burnout entschied sich Elisabeth Würmli für eine Ausbildung als Sterbebegleiterin. Heute betreut sie als Freiwillige sterbende Menschen zu Hause oder auf der Palliativstation. «Ich bin zur Erkenntnis gekommen, dass ich, wenn ich etwas für die Welt tun will, bei mir anfangen muss.»

Alcio Braz: Arzt, Psychiater und Zen-Meister

Anmerkungen des Regisseurs: Eine Reise in die Räume des Übergangs

«Meine Mutter starb vor drei Jahren in einem Alters- und Pflegeheim. Ihre letzte Phase, die sie im Heim verbrachte, hat mir nicht nur die Zerbrechlichkeit des Lebens, auch meines eigenen, bewusst gemacht. Es hat mir auch gezeigt, wie sehr Menschen in dieser Lebensphase auf die Unterstützung durch andere angewiesen sind. … Solange ich denken kann, betrachte ich Autonomie als ein Grundrecht des Menschen, habe aber nie daran gedacht, wie durch Gebrechlichkeit eigenständiges Handeln und Entscheiden in Frage gestellt, ja verhindert werden können. Das mag auch ein Grund sein, warum bei Umfragen, wo Menschen sterben möchten, 90 Prozent sagen, dass sie zu Hause sterben möchten. … Die Wirklichkeit sieht anders aus. Es stellt sich die Frage, wieso Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinanderklaffen. Kann es sein, dass es zu wenig Menschen gibt, die genügend ausgebildet sind, um sterbende Menschen zu Hause zu betreuen, dass ihnen dort ein würdiger Tod ermöglicht wird? Können wir es uns überhaupt leisten, zu Hause zu sterben und dabei intensive Betreuung zu beanspruchen?

Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen in Form eines Films, der Emotionen transportieren kann, schien mir eine Möglichkeit zu sein, um über das Sterben und damit auch das Leben nachzudenken.»

Elisabeth Würmli war früher Turnlehrerin, ist heute Sterbegleiterin

Eine Lektion «Sterben verstehen lernen»

Viele Gespräche und Worte in «Being There – Da Sein» berühren und machen betroffen, kommen bei jedem und jeder wohl anders an. Deshalb wären gerade hier private Gespräche und öffentliche Diskurse wertvoll. Zusätzlich zu den Worten bringt Tomas Lüchinger seine Botschaften aber über die Bilder, beispielsweise Landschaften, die zum Teil mit Überblendungen und Schnitten zusätzliche Assoziationen auslösen, ans Publikum. Dass solche Bilder Bedeutung haben, bringt die amerikanische Fotografin Diane Arbus in einem Diktum auf den Punkt: «Ein Bild ist ein Geheimnis über ein Geheimnis. Je mehr es einem sagt, desto weniger weiss man.» Dieser Film birgt solche Geheimnisse, bei denen einem nur Fragen und Ahnen bleiben. Denn wir begegnen anderen als unseren alltäglichen Welten. Bekannt ist: «Alle müssen sterben.» Wie dieses Sterben jedoch ablaufen und wie man einen Zugang zu diesem Prozess finden kann, ist für viele unbekannt. Der Film von Tomas Lüchinger bietet einem dazu eine schöne Einführung unter dem Titel «Sterben verstehen leben». Und dafür, so meine ich, 96 Minuten seines Lebens einsetzen, lohnt sich.

Titelbild: Ron Hoffman wurde einst traumatisiert, engagiert sich heute für Sterbende

Regie: Tomas Lüchinger, Produktion: 2016, Länge: 96 min, Verleih: Roses for You Film

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