StartseiteMagazinKulturVom Strassentheater zum Theaterpreis

Vom Strassentheater zum Theaterpreis

Modernes Volkstheater für ein breites Publikum — das ist Karl’s kühner Gassenschau. Jetzt hat die Truppe den Schweizer Theaterpreis 2015 erhalten.

Die Preisverleihung der Schweizer Theaterpreise fand gestern Abend in Winterthur statt. Der Reinhard-Ring, dotiert mit 100’000 Franken ging an Stefan Kaegi vom Rimini Protokoll, einem schweizerisch-deutschen Kollektiv, das immer wieder versucht, die Grenzen des Theaters zu überschreiten, den Alltag zu hinterfragen und mit dem Einsatz von Laien partizipative Formen zu entwickeln. In seiner Rede nannte Bundesrat Alain Berset diese Theatermacher, die Realität und Fiktion amalgamieren „Experten des Alltags.“

Den Alltag hinterfragen mit dem Ohr am Volk und seinen Vertretern, Grenzen des Machbaren sprengen, das tut auch Karl’s kühne Gassenschau, immer aber mit viel Klamauk, Musik, Akrobatik und Pyromantie. Sie spielten eben gern mit dem Feuer, sagte Brigitt Maag in ihren Dankesworten, an die Anfänge auf der Strasse erinnernd.

Ur-Karl Ernesto Graf, doktorierter Mathematiker, war in eine Artistin bei einem Zirkus im Welschland verliebt und besuchte sie oft. „Vor der Manege war einmal ein Seil gespannt,“ Graf bat um Erlaubnis, probieren zu dürfen. „Da wollte ich Seiltänzer werden,“ berichtet er. Es folgte die Ausbildung an der Zürcher Mimenschule Ilg, wo er Brigitt Maag, Paul Weilenmann und Markus Heller begegnete: das Quartett ist immer noch der Kern der Gassenschau, wenn sich auch so langsam ein Generationswechsel ergibt. Sogar der Traum, in einem Zirkus aufzutreten, erfüllte sich für Ernesto Graf, der unter anderem kaufmännischer Kopf der Gassenschau war: eine Saison konnten sie im Zirkus Knie auftreten, wenn auch nicht als Akrobaten, aber „es war sehr schön, einfach da sein für die Vorstellungen, in der Schweiz herumreisen, mal nicht planen und an Finanzen und Bewilligungen denken müssen“.

Ernesto Graf, Mathematiker und Seiltänzer in den Gründerjahren der Gassenschau

Seit den Achtziger Jahren sind sie unterwegs, die Akrobaten, Jongleure, Feuerschlucker, die einst auf der Gasse in Zürich loslegten. Damals, zu einer Zeit als ein deutscher Name für eine Kleinkunsttruppe nicht drinlag, als es im Grunde nur italienisch oder französich passte, probierten die Ur-Karle vieles aus und blieben bei der Wahrheit: ihre Schau zeigten sie auf der Gasse, es brauchte viel Kühnheit, und von kühn bis zum Karl zu assiziieren, ist für jene, die alle siegreichen Schlachten der alten Eidgenossen auswendig können, ein gedanklicher Katzensprung. Karl’s kühne Gassenschau (der Apostroph im Namen „hatte von Anfang an nur die Aufgabe, die Deutschlehrer zu ärgern“) erwies sich als nachhaltig und einprägend. Aus der Gaukler-und Komödiantentruppe wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten eine gigantische Theatermaschine, welche trotz atemraubender Luft- und Wassernummern durchaus am Boden bleibt und mit satirischem Zeigefinger auf die Abgründe der Gesellschaft hinweist.

Eine Saison beim Zirkus Knie zu Gast

Die Preissumme geht nun direkt in „Forschung und Entwicklung“ für das nächste Stück, möglicherweise wiederum mit dem Standort Winterthur. Diese Saison freilich ist Karl mit Fabrikk im Welschland, in St. Triphon. Da geht es um die Globalisierung: eine Schoggifabrik will ihre Produkte nach China exportieren. Wie immer wird die Geschichte mit Musik und Gesang, mit Komödianten und fantastischen Choreographien, mit waghalsigen Stunts und viel Feuer erzählt.

SILO 8 – das futuristische Altersheim mit der Waschanlage

Seit in den Neunziger Jahren die Marktplätze und Theaterfestivals von Jongleuren und Feuerschluckern überflutet wurden, zogen sich die Karle von den Strassen mit einer runden Geschichte an einen Spielstandort zurück – zunächst ein Bergwerk, dann Kiesgruben und Wasserlandschaften. Immer spektakulärer wurden diese Produktionen, aber immer erreichten sie das Publikum: Allein Silo 8 , die Story vom Altersheim der Zukunft sah weit mehr als eine halbe Million Zuschauer. Theater fürs Volk im besten Sinne.

So war der Theaterpreis „eine Überraschung, weil wir ja Erfolg haben,“ sagte Brigitt Maag – eingedenks der typisch schweizerischen Idologie, dass Kunst wenig mit Publikumserfolg zu tun habe. Und doch ist es ein Wunder, hohe Kunst des Theatermachens, wenn das Ziel, die Zuschauer zum Lachen, zum Staunen und zum Weinen zu bringen, immer neu erreicht wird. Das gelingt Karl’s kühner Gassenschau auch nach drei Jahrzehnten.

In der FABRIKK, der aktuellen Produktion wird auch heftig gefeuerwerkt

Ebenfalls ausgezeichnet mit dem Theaterpreis 2015 wurde der Dramenprozessor, 2000 als Werkstatt für szenisches Schreiben gegründet, seither ein wichtiger Impulsgeber für die freie Theaterszene und ein Steigbügelhalter für zahlreiche junge Dramatiker und Dialogschreiberinnen.

Einen Theaterpreis gibt es für die Szenografin Margherita Palli, geboren in Mendrisio, welche seit Jahren die wichtigste Bühnenbildnerin Italien ist. Ausgezeichnet wurde auch Maya Bösch, schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin mit internationaler Ausstrahlung, die mit ihren Performances, mit Kunst, Tanz, Musik experimentiert.

Zur herausragenden Schauspielerin wurde Brigitte Rosset gekürt, zum herausragenden Schauspieler Robert Hunger-Bühler. Der Preisträger des Schweizer Kleinkunstpreises 2015, Pedro Lenz, gab zwischen den vielen Laudatien und Dankesworten zwei Texte zum besten. Er hat den Preis bereits am 9. April bei der Eröffnung der Kleinkunstbörse erhalten.

Am Theater Winterthur schliesst sich an diese Eröffnungsgala das Schweizer Theatertreffen bis zum 6. Juni an. Hier geht es zum Programm.

Teaser-Bild: von links Martin Heller, Ernesto Graf, Brigitt Maag, Paul Weilenmann © BAK/Geoffrey Cottenceau & Romain Rousset
Bilder: Courtesy of 
Karl’s kühne Gassenschau

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