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Warum wir das Zeitliche segnen

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Die Beschäftigung mit Sterben und Tod gehört zum Altern, ob wir es wollen oder nicht. Dass wir dies nicht nur schmerzlich erfahren müssen, zeigt Ralph Kunz in seinem Vortrag auf.

«Leben ist endlich. Im aktuellen Altersdiskurs wird dies – im achtenswerten Bemühen um ein ressourcenorientiertes Altersbild statt eines an Defiziten orientierten – gelegentlich ausgeblendet. Doch kann man dem Alter den Schrecken nehmen, indem man dessen unweigerlich eintretenden Abschluss tabuisiert?» schreibt das Zentrum für Gerontologie in der Einführung zu seiner aktuellen Vortragsreihe «Altern, Sterben und Tod» an der Universität Zürich.

Ralph Kunz, Theologieprofessor an der Universität Zürich, scheint prädestiniert, Antworten zu Fragen im Umkreis von Sterben und Tod anzubieten. Denn dem Pfarrer obliegt doch meist, Sterbenden und ihren Angehörigen vor und nach dem Tod beizustehen, auch wenn die christliche Kirche in der heutigen Zeit in vielen Belangen mehr und mehr zurücktreten muss.

Um die Breite dieses Themas darzustellen, nimmt Kunz vorwiegend ein einziges, allerdings sehr aufschlussreiches Werk zu Hilfe: Theodor Fontanes «Der Stechlin». In seinem Alterswerk erzählt Fontane, den älteren Lesenden durch seine Romane, aber auch durch seine Balladen sicher noch in guter Erinnerung, wie Dubslav von Stechlin, umgeben von Freunden und Familie, seine letzte Lebenszeit auf seinem kleinen Landsitz in der Mark Brandenburg erlebt. Kunz findet viele Szenen und Zitate, die darstellen, wie ein Mensch in Würde altern und sterben kann – unsere ideale Vorstellung gleichsam. Denn eigentlich hoffen wir doch alle, dass wir uns mit der Endlichkeit versöhnen können – «das Zeitliche segnen».

Es aber ebenso unbestreitbar, dass das Altwerden oft genug mit Beschwerden, Einschränkungen, Krankheiten, Verlusten verbunden ist. Sowohl im individuellen Erleben wie auch im gesellschaftlichen Diskurs kippt die Wahrnehmung des Alters immer wieder hin und her, wie das bekannte Vexierbild, in dem man eine junge, elegante Frau oder eine Greisin erkennen kann.

Der Roman lebt zu grossen Teilen von den Gesprächen des Hausherrn mit unterschiedlichen Menschen. Darin werden die unterschiedlichen Facetten dargestellt, die das Alter ausmachen: freundschaftlicher Gedankenaustausch mit dem liberalen Pfarrer, ständige Spannungen mit der sturen frommen Schwester, Diskussionen mit Jüngeren, Gespräche, die sich um die Gesundheit drehen. Im Hinblick auf ein würdevolles Altern erklärt Kunz, wie wichtig Gespräche für alte Menschen sind: Bilanz ziehen, offenbleiben für die Ansichten der Jüngeren – und die Ängste vor dem Unbekannten, dem Tod. Das auszudrücken und sich darüber mit anderen austauschen zu können, hilft den Alten, aber auch den Jüngeren.

Stechlins Vorliebe für Gespräche beim Spazierengehen gibt einen weiteren wichtigen Hinweis: Wandern, Spazieren, Herumgehen, bringen Harmonie für Körper, Geist und Seele. Kunz erzählt das Beispiel eines inzwischen verstorbenen Professors, der, als er bei sich die ersten Anzeichen einer Demenz erkannte, in grösseren, dann kleineren Spaziergängen sein Schicksal auch innerlich akzeptieren lernte. Er konnte lange noch in Bewegung bleiben und sich seine Würde bewahren, auch wenn er zuletzt nur noch einige Schritte in seinem Zimmer allein gehen konnte.

Wiederum ein Zeichen für die Ambivalenz, der sich jeder mit zunehmendem Alter ausgesetzt sehen wird. Damit umzugehen – oder einfach am Ende die Ausweglosigkeit anzunehmen, das bleibt eine Herausforderung, stellt der Vortragende fest. Ist Selbstmord bzw. Sterbehilfe eine Lösung? Ralph Kunz erwähnt Hans Küng, der nun 87 Jahre alt ist und sich bei einer Sterbehilfeorganisation angemeldet hat – er ist, wie er sagt, «lebenssatt».

Ralph Kunz

Der Theologieprofessor macht klar, dass heutzutage auf die Herausforderungen des Sterbens keine einfache Antwort zu erwarten ist. Die Ambivalenz, dass wir nicht wissen können, was der Tod mit uns macht, der Verlust all dessen, was uns lieb und teuer ist, aber auch die Zufriedenheit, ein erfülltes Leben geführt zu haben, diese Ambivalenz ist und bleibt nicht auflösbar. In einer Gesellschaft, die noch fest im Christentum verankert war, konnte diese Ambivalenz in der Versöhnung aufgehoben werden. Heute bleibt dahingestellt, ob gerade die Endlichkeit uns erlaubt, das Glück des Alterns zu erleben.

Zentrum für Gerontologie

Die kommenden Vorträge finden am Mi., 6. und 20. Mai 2015, 18.15 – 19.45 Uhr statt.
Ort: Universität Zürich-Zentrum, Rämistrasse 71, Hörsaal KOL-F-121.
Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich

Voraussichtlich wird das Thema «Altern, Sterben, Tod» im Herbst 2015 wieder aufgenommen.

Titelbild: Alter Mann mit Barett © Martin Jäger / pixelio.de

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