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Willkommen – oder auch nicht

Willkommenskultur versus Eisenfaust der Gewohnheit, lautstark und leidenschaftlich diskutiert auf der Bühne des Berner Theaters an der Effingerstrasse.

Lutz Hübner und Sarah Nemitz entwickeln in «Willkommen» ein nerviges und aktualitätsnahes Gespür für Gegenwartsprobleme, die in aller Munde sind, ohne dass von den Wortführern gross in die argumentive Tiefe der zugrunde liegenden (Hinter-)Gedanken vorgedrungen würde. Das besorgen im Effingertheater zurzeit die beiden Autoren mit ihrem dramaturgischen Geschick und ihrem grossen Können beim Entwickeln von schlagfertigen wie schlagkräftigen Dialogen.

Dass die Multi-Kulti-Bewegung, verbunden mit dem zwiespältig angewandten Begriff der «Willkommenskultur» vor allem in der deutschen (Stammtisch-)Politik eine nicht geringe Rolle spielt, bedeutet nicht, dass andernorts nicht auch dieselben Ansichten, Ängste und Zwiespälte dem Thema eine Brisanz verleihen, die sich auch auf die Bühne bringen lässt. Lutz Hübner mit seiner Partnerin und Mitarbeiterin Sarah Nemitz als Autoren und Stefan Meier als Regisseur sind damit in dieser Schweizer Erstaufführung höchst erfolgreich.

Eine WG mit drei Frauen und zwei Männern, ein für ein Jahr freiwerdendes Zimmer und grundverschieden gelagerte persönliche Bedürfnisse bilden das Grundsetting. Soll eine Flüchtlingsfamilie bis zur Rückkehr des Eigentümers in einem Jahr (wenn überhaupt) aufgenommen werden? Natürlich ja, super, her mit dem Champagner! Doch vorerst einer hat Vorbehalte…

Im Verlauf der Auseinandersetzung wird klar, dass hinter sachlichen Argumenten auch die sublimsten, hintergründigsten und kaum bewussten Gefühle, Gedanken und Ängste mitschwingen. Wenn dann gegenseitige Rassismus-Vorwürfe fallen, wirkt das eher als eine Art Eigentor denn als begründete Anklage.

Von links: Julia Sewing (Anna), Sinikka Schubert (Sophie), Aaron Frederik Defant (Achmed), Benjamin Morik (Benny), Lilian Fritz (Doro), Florian Hackspiel (Jonas).

Erstaunlich, spannend, ja fesselnd und immer wieder verblüffend, auch auf belustigende Art, sind die Dialoge. Sie steigern sich immer wieder zu grellen Fanfarenstössen: laut, unbeherrscht, unreflektiert hinaustönend. Von den Darstellerinnen und ihren Kollegen wird in dieser Hinsicht viel gefordert. Die Wirkung auf Zuschauer führt zu einem brausenden Cocktail an Gefühlen: Belustigung, Ärger, Erregung, Hass, Abscheu. Aber auch Verständnis, Nachdenklichkeit, vielleicht sogar Hilflosigkeit angesichts der immer wieder wechselnden und verwirrenden Gefühlslage der Beteiligten.

Gegenwartsdramatik der wirkungsvollsten Sorte. Schlummernde Gesellschaftsprobleme als Lehrstück unterhaltsam aufgezeigt. Von einem Ensemble, das restlos begeistert.

 

 

Von links: Benjamin Morik, Sinikka Schubert, Florian Hackspiel, Lilian Fritz

Alle Bilder: Severin Nowacki. Aufführungen bis 24. November.

Informationen: DAS THEATER an der Effingerstrasse

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