StartseiteMagazinKulturZu Besuch beim Literaten Hardy Ruoss

Zu Besuch beim Literaten Hardy Ruoss

Der ehemalige Literaturkritiker von Radio DRS 2, Hardy Ruoss, ist zuversichtlich, dass das Rätoromanische nicht zum Museum künftiger Generationen verkommt.

Hardy Ruoss war 32 Jahre lang Literaturredaktor von Radio DRS 2. Sie kennen ihn vielleicht auch als ehemaliges Mitglied des LiteraturClubs des Schweizer Fernsehens, und Hardy Ruoss firmierte zudem als Juror beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb, zuzeiten als Marcel Reich-Ranicki Hof hielt. Dann erinnern Sie sich wohl auch an seinen unverwechselbaren Charme, an seine Passion für das geschriebene Wort, sein filigranes Bezugsnetz und seinen Weitblick in die Literaturgeschichte und Kulturpolitik. Kennen Sie auch den in Celerina geborenen und des Rätoromanisch Kundigen Hardy Ruoss? Wir sind zu Besuch bei ihm.

Joseph Auchter: Hardy Ruoss, nicht die Literatur soll unser Gespräch für einmal bestimmen, sondern ein Themenbereich, der für den Zusammenhalt der viersprachigen Schweiz essenziell ist. Sie wurden auch vom rätoromanischen Umfeld geprägt und kennen die Wurzeln unserer vierten Landessprache seit Kindsbeinen, haben aber die meiste Zeit in der Deutschschweiz verbracht. Wie bedroht ist Ihre Muttersprache?

Hardy Ruoss: In Tat und Wahrheit bin ich nur ein halber Rätoromane. Die Familie meiner Mutter stammte aus dem Engadin, und ich bin in Celerina geboren. Als ich zweijährig war, zogen wir ins Unterland. Obwohl die Sprache meiner Mutter Romanisch war, ist meine Muttersprache Deutsch. Wirklich Romanisch gelernt habe ich dann später, und zwar nach allen Regeln der Kunst mit Wörterbuch und Grammatik. Dass ich den Klang und den Duktus der Sprache von Kind an im Ohr – und im Herzen! – hatte, half mir dabei. So konnte ich guten Gewissens – wenngleich nicht immer ganz frei von Fehlern – zehn Jahre lang im Radio Rumantsch in einer Literatursendung mitwirken. Natürlich auf Romanisch. Soviel zu meinem sprachlichen „Status“, der jedoch gar nicht so untypisch ist für viele Rätoromanen, halbe und ganze.

Das Rumantsch Grischun gilt seit 2001 als Schrift- und Amtssprache Graubündens, tut sich aber in vielen Bevölkerungskreisen und Talschaften schwer, weil die Verschriftlichung einen Kompromiss darstellt, welcher der mündlichen Tradierung als Kunstprodukt erscheint. Ist das nur eine Generationenfrage? Wird die Einsicht zusammen überleben oder einzeln untergehen“ obsiegen?

Wir alle reden doch am liebsten so, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Und das ist wohl eines der wesentlichen Probleme: Eine künstlich geschaffene – klug und aus gutem Grund geschaffene! – Einheitssprache wird sich immer und überall nur sehr schwer gegen die Sprache durchsetzen, in der wir uns einst die Welt angeeignet haben. Und weil das Rätoromanische aus nicht weniger als fünf eigenständigen Idiomen besteht, weil zudem Kinder und Jugendliche heutzutage auch Deutsch und Englisch lernen müssen und wollen: Wen erstaunt es da, dass sich Opposition regt gegen das zusätzliche Erlernen der rätoromanischen Einheitssprache Rumantsch Grischun? Immerhin ist es gelungen, das Rumantsch Grischun in einer Vielzahl von Medien zu etablieren. Auch in der Literatur hat es längst seinen Platz gefunden. Das ist ein grosser Erfolg.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass das Rätoromanische nicht zum Museumsgut künftiger Generationen verkommt?

Wenn ich im Engadin bin und die Leute ihr Romanisch reden höre – in einer wunderschönen Selbstverständlichkeit tun das auch wieder zunehmend junge Leute -, dann denke ich nicht ans Museum. Wenn ich mir jedoch die Situation des Rätoromanischen im Kontext des weltweiten Sprachensterbens anschaue, bin ich skeptisch: Viele Indikatoren weisen doch wohl auf ein früheres oder späteres Ende hin. Leider! – Dennoch und erst recht gilt in Anlehnung an Martin Luther: Auch wenn die Welt morgen in Sprachlosigkeit versinkt, lasst uns heute unser Romanisch in Wort und Schrift lebendig erhalten!

Die denkbar knappe Akzeptanz des neuen Radio- und Fernsehartikels zeigte im Kanton Graubünden und in der Westschweiz immerhin, dass andere Überlegungen als in der Deutschschweiz den Ausschlag für eine Ja-Mehrheit gaben. Zeugt das Resultat von staatsmännischer Weitsicht, was den kulturellen Zusammenhalt unseres Landes betrifft, oder zumindest von der Überlegung, den Ast, auf dem man sitzt, nicht abzusägen?

Es zeugt wohl vor allem von einer gewachsenen Nähe zwischen Radio und Fernsehen auf der einen, und der Bevölkerung – den „Usern“ –  auf der andern Seite. Diese Nähe ist andernorts einer offensichtlichen Entfremdung gewichen. Dass es ein kalkuliertes Kesseltreiben gegen die SRG gibt, ist das Eine und übrigens keineswegs Neue. Nicht erst seit gestern versuchen politische Kreise, Radio und Fernsehen als Teile der vierten Gewalt im Staat an die Kandare zu nehmen.  Anderseits sind da aber auch der SRG wohlgesinnte Kreise, die unserem Radio und Fernsehen zubilligen, eine staatspolitisch wichtige Brücke zwischen den vier Sprachregionen und Kulturen zu schlagen. Dass ausgerechnet diese Kreise mittlerweile beklagen, Programme würden zunehmend anspruchslos, ja „infantilisiert“, das gibt mir viel mehr zu denken. Und es sollte auch der SRG zu denken geben.

Und zum Schluss vielleicht doch noch ein Lesetipp, den Sie dem Leserkreis von Seniorweb ans Herz legen möchten?

Leta Semadeni, die Engadiner Lyrikerin, die seit je ganz selbstverständlich zweisprachig arbeitet, hat einen wunderschönen Roman auf Deutsch geschrieben: „Tamangur“ (erschienen im Rotpunktverlag, Zürich). Er handelt von einer Grossmutter und ihrer Enkelin, die in einem Bergdorf leben. Und er erzählt von Sehnsucht und menschlichen Träumen, denen sich eine raue Wirklichkeit permanent entgegensetzt. Ein höchst poetischer Roman, der virtuos lyrische Stimmungen mit erzählenden Passagen vereint.

Ich bedanke mich bei Ihnen für dieses Gespräch.

 

Zur Person:

Hardy Ruoss, am 20. September 1948 in Celerina GR geboren, wuchs in Buttikon SZ auf und machte die Matura am Kollegium in Stans NW. Das Studium der Germanistik, Sozialpädagogik und Anglistik an der Universität Zürich schloss er mit einer Dissertation über den Schweizer Schriftsteller Friedrich Glauser ab. Danach schrieb er zehn Jahre als freier Mitarbeiter für die Neue Zürcher Zeitung und die Schweizer Monatshefte, bevor er als Literaturredaktor bei Schweizer Radio DRS2 zu hören war in Kommentaren, Kritiken und Gesprächen.

Seine Erfahrungen als Journalist hat Hardy Ruoss während zwanzig Jahren als Dozent an der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern weitergegeben. Heute arbeitet er als freier Journalist und Kursleiter.

Hinweis: Die Literaturabende im Theater Ticino Wädenswil, ein Markenzeichen von Hardy Ruoss, werden im Winterhalbjahr 2015/16 fortgesetzt (siehe Theater Ticino Wädenswil)

Bilder: Hardy Ruoss im Theater Ticino in Wädenswil (Bernhard Fuchs).

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