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Lasst mich da raus

Untergründige Subversivität in einer verschlafenen Provinzstadt in Argentiniens Pampa. Daraus schafft Marìa Sonia Cristoff einen spannenden Roman.

Die «Pampa» ist uns wohlbekannt: ein Ort, frei von jeglicher spannenden Unterhaltung und auch weit entfernt von intellektuellen Anregungen. Wir wissen auch, dass es die Pampa wirklich gibt, das ausgedehnte, rauhe Grasland in Argentinien, wo die riesigen Rinderherden weiden, Viehzüchter Gauchos heissen und stolz auf ihren Pferden – Criollos genannt – herumreiten. Für traditionelle Argentinier sind Gauchos ein wesentlicher Bestandteil ihres Nationalgefühls. Menschen, denen gesellschaftlicher Umgang oder auch nur intellektuelle und künstlerische Anreize etwas bedeuten, zieht es gewöhnlich nicht in die Pampa.

Pampas; commons.wikimedia.org

Mara, eine versierte Dolmetscherin mit internationaler Erfahrung, hat sich für ein Jahr in die Pampa zurückgezogen. Sie will eine Auszeit nehmen, um innere Stille und Gleichmut zu üben. In ihrem Beruf als Simultandolmetscherin fühlte sie sich zunehmend ausgelaugt und ausgesaugt von ihren Auftraggebern. Für Dolmetscher ist es wohl eine rechte Nervenbelastung, vor einer internationalen Konferenz tagelang warten zu müssen, bis die Teilnehmenden ankommen und die eigentlichen Verhandlungen beginnen können, und dann in dem oft spannungsgeladenen Umfeld stets präzis und unbeeindruckt zu übersetzen.

Nun hat sich Mara vorgenommen, im kleinen Städtchen Luján im Hinterland von Buenos Aires zur Ruhe zu kommen. Im Kolonialmuseum hat sie eine Stelle als Aufseherin gefunden und hofft, dass sie tage- oder noch besser wochenlang schweigen kann. Sie kennt dort fast niemand, wohnt ausserhalb, pflegt ihren Garten (Rousseau: «Cultiver son jardin») und studiert zu diesem Zweck ein altes Garten- und Pflanzenmanual.

Der Zofinger Aimé Tschiffely reitet nach Norden

Leider kann sie ihren Plan nicht lange durchziehen. Die Museumsdirektorin bittet sie nämlich, dem Tierpräparator zur Hand zu gehen. Dieser hat eine «national wichtige» Aufgabe, wie er selbst deklariert, nämlich zwei historisch bedeutsame, ausgestopfte Criollo-Pferde für ein kommendes Jubiläum zu restaurieren. Auf diesen ist nämlich Anfang des 20. Jahrhunderts der in Argentinien legendäre Aimé Tschiffely, Abenteurer, Lehrer, Schriftsteller, nach New York geritten. Der Präparator, ein aufgeblasener Schwätzer, bringt Maras Absichten ziemlich durcheinander – wenn Mara sich nicht einen listigen, subversiven Plan ausdenken würde, den sie zu ihrem Wohl und mit desaströsen Folgen für den Präparator durchziehen wird.

Innenhof Museo Histórico Enrique Udaondo de Luján,
© Patricia Curcio / commons.wikimedia.org

Der kleine Roman ist raffiniert aufgebaut. Die Geschichte von Mara wird immer wieder von Ausschnitten oder Exzerpten aus ihrer Lektüre unterbrochen, Texte, die sich auf die Geschichte Argentiniens, besonders auf Exponate im historischen Museum beziehen oder auf die botanischen Interessen Maras. In den Reflexionen der Hauptfigur wird allmählich klar, weshalb sie das Dolmetschen zumindest zeitweise aufgegeben hat: Sie hat auch dort schon subversiv gehandelt, was zu einem Eklat führte, der ihr als Anlass zum Ausstieg gerade recht kam. So stösst man allmählich vor in die tieferen Schichten von Maras Verhalten, aber auch von Argentiniens Kolonialgeschichte.

Es gibt fast keine Dialoge in diesem schmalen Buch, aus distanzierter Beobachtung in klarer, direkter Sprache geschrieben, und doch zieht es die Lesenden immer stärker in seinen Bann. Das Ende des Romans bringt Mara Genugtuung und wohlverdiente Ruhe, der Frau des Präparators aber eine überraschende Wendung – die Ironie blitzt und sprüht nur so.

María Sonia Cristoff, 1965 in Trelew (Patagonien) geboren, lebt in Buenos Aires. Sie studierte Literatur und ist neben ihrer freien schriftstellerischen Arbeit als Journalistin für argentinische Zeitungen und literarische Magazine tätig. Sie unterrichtet daneben Patagonische Literatur und Kreatives Schreiben. In ihren Büchern – vorwiegend zu Sachthemen – beschäftigt sie sich oft mit ihrer Heimatregion Patagonien, daneben sind Reisen ein wichtiges Thema.

María Sonia Cristoff, Lasst mich da raus. Aus dem Spanischen von Peter Kutzen
Berenberg Verlag 2015; 160 Seiten
ISBN 978-3-937834-86-3

Dieses Buch ist in der Reihe «Der Andere Literaturclub» erschienen, einem Zweig von artlink, Büro für Kulturkooperation. Ziel von artlink ist es, Kunstformen, Künstler und Künstlerinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa bekannt zu machen sowie die Arbeit der in die Schweiz eingewanderten Kulturschaffenden zu unterstützen. Dies als Ausdruck einer der Welt gegenüber offenen Schweiz, die in der interkulturellen Zusammenarbeit eine Chance wahrnimmt, eurozentristische Haltungen zu relativieren, den Respekt vor anderen Formen, Traditionen und Wertesystemen zu fördern und die Welt auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.

 

Interview mit der Autorin auf SRF DRS2 Kultur

Über Aimé Tschiffely besteht eine eigene Webseite.

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