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Streitbar und menschlich

„Akte Zwingli – Ein Mysterienspiel“ zeigt den Reformator Huldrich Zwingli als humanen Zweifler, verletzlichen Denker und liebenden Ehemann

Das Reformationsjahr 2017 – aufgehängt an Luthers Thesenanschlag in Wittenberg 1517 – bietet hierzulande Gelegenheit, das Zerrbild des Zürcher Reformators Ulrich oder Huldrich Zwingli als lustfeindlichen, puritanischen Theologen zurechtzurücken. Nun soll es das Mysterienspiel im Grossmünster richten. Dabei wird die Akte Zwingli geöffnet, in dramatische und musikalische Bilder übersetzt und letztlich die Wirren um die Reformation mit der heutigen globalisierten Lebenswirklichkeit verbunden.

Anna Reinhart im Strom der Flüchtlinge nach der Schlacht bei Kappel. Foto © Judith Schlosser

Textautor Christoph Sigrist, als Münsterpfarrer sozusagen an Zwinglis Statt (Zwingli war Leutpriester am Grossmünster), will das Publikum direkt einbinden: „Eine Form dieses Mysteriums ist, dass das Werk einen Raum in und um die Kirche entstehen lässt, in dem Zuschauer und Zuschauerinnen zu Akteuren und Akteurinnen werden, die Betroffenheit und Erfahrung miteinander und untereinander teilen.“ Fürs Libretto fällte Christoph Sigrist zwei Entscheidungen: Erstens sollte das Mysterienspiel mit dem Tod beginnen und zweitens sollte das Geschehen von der Figur der Anna Reinhart (Nathalie Mittenbach, Mezzosporan) aus dargestellt werden.

Das Spiel beginnt: Die Kirchenbänke sind besetzt, leise Klarinettentöne ertönen und untermalen das verzweifelte Warten und Hoffen der Zürcher Frauen und des Volks im Kirchenschiff, während in Kappel die Schlacht tobt. Aus der Offenbarung 7, Vers 1-2, singt Anna Reinhart „und schrey mit grosser Grimm zuo den vier Englen…,“ unterbrochen von dumpfem Trommeln; eine Schar von erschöpften Kriegern und hoffnungslosen Flüchtlingen schleicht durch den Kirchenraum, Verletzte werden mitgeschleppt. Ein ob des Schlachtgetümmels verrückt gewordener Mann schreit, dann tritt der Bote auf und das Schreckliche wird Gewissheit: „Er ist verstreut.“ Anna erfährt, dass sie ihren Mann nicht einmal bestatten kann, weil er ermordet und zerstückelt worden war, aufgeteilt auf die fünf Innerschweizer Orte, dann ins Feuer geworfen. „De Zwingli isch verbrännt,“ singt das Volk, rennt durcheinander und weg, Anna bricht zusammen.

Liebende in einer unruhigen Zeit: Daniel Bentz und Nathalie Mittenbach als Zwingli und Anna. Foto © Judith Schlosser

Mit diesem zunächst stillen, dann aufwühlenden Bild des Tods beginnt das Mysterienspiel über den Reformator, oder auch über Freiheit und Glaube, Gewalt und Liebe. Eine üppig ausgemalte Bilderfolge mit Musik und Gesang eröffnet Einblicke ins Leben des Reformators (Daniel Bentz, Tenor). Vertreten sind ernste ältere Herren – der Rat von Zürich, dem Zwingli unter anderem die Sozialhilfe zur Pflicht macht, eine umwerfend kühne Truppe (von überbordend fröhlichen jungen Leuten, Schaustellern (vielleicht?), das Zürcher Volk im Gewand des gemischten Chors, die Kinder. Die über sechzig Mitwirkenden – Laien und Profis – öffnen, unterstützt von der Musik, trotz schwierigster Bedingungen umsichtig geleitet von Davide Flor, und dank Projektionen an die Mauern und an weisse Vorhänge, die mitunter in Kojen zwischen den Pilastern weitere Szenen enthüllen, eine aufwendige Abfolge von historisch gesicherten und imaginierten, aber wahrscheinlichen Handlungen. Nicht zuletzt dank der opulenten Ausstattung von Stephan Manteuffel, der immer wieder mit provokanten Kostümen neue Assoziationsräume öffnet, sind das Einst und das Jetzt untrennbar verbunden.

Rührend, wie Zwingli sich mit der Kinderschar abgibt – könnte ein junger Vater von heute sein, packend auch, wie Anna („Ich hasse de Chrieg“) nicht verstehen will, warum Zwingli selbst den zweiten Kappelerkrieg anstrebt, mitreissend, wie sie sich um den pestkranken Mann bemüht, während rundum Menschen sterben und nichts als Erdhaufen von Gräbern aufscheinen. Oder ihre Bitte, den Mord an den Wiedertäufern nicht zuzulassen, wozu Zwingli schweigt. „Schweigen macht schuldig,“ erinnert Anna.

Eine weitere Szene fokussiert Zwinglis Bibelübersetzung – lateinische, griechische, hebräische Sätze erscheinen an den Wänden, Prälaten lesen in einem babylonischen Sprachengewirr, aber am Ende ist die Bibel fürs Volk deutsch übersetzt, die Prälaten lesen nun verständlich vor.

Disputation ums Abendmahl: Zwingli lässt sich nicht vom Giganten Luther vereinnahmen. Foto © Judith Schlosser

Der Konflikt mit Luther, der schon damals viel bedeutender war als der Zürcher Reformator, hier als Riesenfigur, ist witzig und wichtig zugleich: Klar wird, warum Lutheraner und Zwinglianer bis heute nicht zusammenkommen können: Es geht ums Abendmahl, für Luther werden wie im katholischen Glauben Brot und Wein bei der Wandlung zu Christi Fleisch und Blut, für Zwingli ist es ein symbolischer Akt. Der unlösbare Streit gipfelt im Wettsingen – Luthers Ein feste Burg ist unser Gottgegen Zwinglis Kappeler-Lied Herr, nun heb den Wagen selb, bis beide Chöre vereint den Schluss finden.

Die textunterstützte Handlung wird durch pantomimische, mitunter abenteuerlich aktrobatische Szenen weitergeführt. Beispielsweise wenn es darum geht, den Ueli als lebensfrohen und musikalischen Menschen darzustellen, der gern tanzt und selbst Lieder schreibt, oder wenn über das Schicksal der Täufer in einer Disputation, der damals üblichen Verhandlung theologisch-philosophischer Fragen, entschieden werden muss.

Erhabene Gestalten – die Artistentruppe in Aktion. Foto © Judith Schlosser

Die beiden zum Ertränken in der Limmat verurteilten Täufer werden vom Volk und vom Rat aus dem Grossmünster heraus in eine gespenstische Szenerie mit bizzarren Standfiguren und Feuern geführt. Trotz des „Irrsinns der Welt“ bleibt Gott im Schlussgesang ein Trost für die Menschen. Das letzte Wort aber hat Huldrich Zwingli aus hoher Warte (Der Labyrinth von 1516): „Jetzt sehet an der Menschen Tat, ihr ganzes Handeln ohne Rat! Sie gehn umher im Labyrinth, und jede Hoffnung nun zerrinnt, dass je zum Licht sie möchten kommen. Ists aber, dass des Friedens Schein von Gott uns leuchtet gnadenvoll, so werden wir wie Vieh so toll.“

Im Mysterienspiel bleibt manches kryptisch und fordert zum Nachdenken heraus. Noch eine Woche lang ist das Multimedia-Spektakel um den Reformator im Grossmünster zu sehen. Was Regisseur Volker Hesse in dem sehr schwierigen Raum sich ausgedacht und hingezaubert hat, ist voller Überraschungen, traumhafter Sequenzen und handfester Handlungsstränge. So versteht sich fast von selbst, dass die Mitwirkenden alles geben, um ihre Figuren zum Leben zu bringen. Eindrücklich auch, wie Christoph Sigrists Libretto – in Altzürcher Mundart – durch die Komposition von Hans-Jürgen Hufeisen eine Dimension dazugewinnt. Es ist Programmmusik, passend zum Szenischen und zu den alten zeitgenössischen Liedern, darunter Zwinglis Kompositionen. Da ist das Programmheft hilfreich, ausserdem kann man es mitsamt allen Eindrücken nach Hause tragen.

Die nächsten Vorstellungen sind am 22., 23., 24. und 25. Juni jeweils 20:45 Uhr. 
Hier gibt es mehr Informationen: aktezwingli.ch

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