Leben mit Demenz

Offen über Demenz sprechen tut gut. Seit fünf Jahren leitet die Gerontopsychologin Regula Bockstaller Gesprächsgruppen für Demenzkranke. Ihr Beispiel macht Schule.

Anders als bei einer Krebserkrankung oder einem anderen körperlichen Leiden fällt es oft schwer, zuzugeben, dass man an einer Demenz leidet. Es ist ein Tabuthema, das solange wie möglich verdrängt wird. Gedächtnislücken haben schliesslich viele, im Alter ist das normal, gewisse Medikamente machen müde und verwirrt – aber dement? Alzheimer ist ein Gespenst, das manchmal, leider, sehr konkrete Formen annimmt.

Wie gut es da sein kann, unter Gleichgesinnten von seinen Defiziten zu sprechen, sich auszutauschen, gemeinsam zu spielen und zu lachen, zeigt sich an einem Dienstagnachmittag in der Praxis der Gerontopsychologin Regula Bockstaller. Sie hat 2009 den ersten Gesprächskreis für Demente ins Leben gerufen.

Dazugehören

In der Zwischenzeit kam ein zweiter dazu, mit Schwerpunkt Altersdemenz und im Kanton Zürich sind vier weitere solcher «Gipfeltreffen» entstanden. Hilfe für Angehörige von an Demenz Erkrankten gibt es viele, aber den Erfahrungsaustausch unter Direktbetroffenen, das war ein neues Gebiet.

«Der Arzt spricht immer nur mit meinem Mann und ich sitze einfach daneben», erzählt eine Frau. «Der hat wahrscheinlich einen blinden Fleck», meint eine andere, was allgemeines Gelächter auslöst. Überhaupt ist die Stimmung in der Dienstagsgruppe sehr gelöst. Und auch sehr offen. «Ich finde einfach den Weg nicht mehr, beim Einkaufen», meint eine Frau und fügt achselzuckend an: «Ich habe halt Alzheimer».

Eine andere Teilnehmerin ist traurig. Ihr Mann hat ihr, der begeisterten Bäckerin, eine neue Küchenmaschine gekauft und sie kann sie einfach nicht bedienen. «Ich weiss, es ist ganz einfach, aber ich kann sie einfach nicht anstellen.» Regula Bockstaller erklärt, wie für jede neue Aufgabe neue Verknüpfungen im Gehirn nötig seien – «Synapsen», wirft eine ehemalige Krankenschwester ein und schaut stolz in die Runde – und dass bei Dementen diese Verbindungen nicht mehr zustandekommen.

Defizite zugeben

«Wenn in der Küche ein Löffel nur einen Meter weiter weg liegt, kann ich ihn nicht mehr finden», erzählt eine jugendlich wirkende Frau, während eine frühere Köchin festhält, dass sie immer noch sehr gut Fischfilets kochen könne. Sie wird diese Feststellung im Laufe des Nachmittags noch mehrmals machen.

Die Männer in der Gruppe sind eher ruhig, ausser einem. Dieser doziert wortgewaltig über die Geografie Italiens, seine Familiengeschichte, sein Ingenieurstudium und seine berufliche Erfahrungen. Er lässt sich kaum stoppen und weiss zu jedem Stichwort eine neue Geschichte.

Stichwort Auto zum Beispiel. Ihm haben sie den Fahrausweis aberkannt. Warum, weiss er nicht genau, «aber es tat weh». «Ich fahre immer noch Auto» wirft ein zweiter ein, während eine lebhafte Frau erzählt, wie sie nach ihrer Alzheimer-Diagnose bei einem Fahrlehrer – er wusste nichts von der Diagnose – nochmals eine Fahrprüfung ablegte. Und sie habe bestanden. Und daraufhin voller Stolz ihren Fahrausweis freiwillig abgegeben.

Langer Abschied

Das tönt jetzt alles so harmlos, fast idyllisch. Regula Bockstaller weiss, dass sie mit ihrem Angebot eine Art Insel ist, wo die Erkrankten gelöst und ohne Erwartungsdruck sich selber sein, ihre Probleme ansprechen, aber auch die Geselligkeit geniessen können. Denn der langsame Abschied von Alltäglichem, der Verlust von Fähigkeiten, körperlichen und intellektuellen, machen jedem zu schaffen.

Das scheint dann auf, wenn  jemand erzählt, er sei vor ein paar Wochen in eine betreute Wohngruppe eingetreten, ein anderer sich mit dem Gedanken an einen Heimeintritt vertraut machen muss. Denn auch, was für den Aussenstehenden als noch «leichte Fälle» angesehen wird, ist für Angehörige manchmal fast nicht mehr zu stemmen. Die körperliche Pflege, die Charakterveränderungen, Unruhe, Depressionen, den Verlust vom Gefühl für Tag und Nacht sind da nur einige Faktoren.

Lernspiele

Begonnen hat das Gruppentreffen mit einem gemeinsamen Mittagessen und dem anschliessenden Spaziergang zur Praxis. Während der nächsten drei Stunden wwird geplaudert, aber auch verschiedene Lernspiele in kleinen Grüppchen gespielt, ein Frage- und Antwortspiel gemacht und die motorischen Fähigkeit mit einem Ball geübt.

Lernspiele oder, wie hier, das Sortieren von Münzen unterstützt die motorischen Fähigkeiten und die Konzentrationsfähigkeit.

Sie versuche, die Treffen möglichst stressfrei und locker zu gestalten, erzählt Regula Bockstaller. Vor fünf Jahren begann sie das Pilotprojekt mit einigen wenigen Erkrankten, heute muss sie eine Warteliste führen. Das Angebot ist nicht kassenpflichtig – pro Treffen bezahlen die Teilnehmer 45 Franken – und für die Gerontopsychologin auch nicht kostendeckend.

Aber es sei ihr ureigenes Projekt, meint Regula Bockstaller, die ansonsten als Dozentin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) für psychosoziale Gerontologie und als Referentin zum Thema Demenz arbeitet. Sie setze darin ihr eigenen Ideen um, wie Lebensqualität und soziale Kontakte trotz der Diagnose Demenz und Alzheimer möglichst lange erhalten werden können. Die gelöste Stimmung beim Abschied beweist, dass ihr das bei dieser Gruppe vollauf gelungen ist.

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