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Abschiedlich leben

In einer geselligen Runde lassen sich auch bei einem Glas Prosecco tiefgründige Erkenntnisse gewinnen. Heiterkeit und Ernsthaftigkeit schliessen sich ja nicht aus.

Wir sind fünf ältere Damen und begegnen uns gelegentlich zum Genuss eines Cüplis. Nicht zu oft. Denn der Anlass soll nicht zur Gewohnheit werden. Er soll immer als «etwas Besonderes» in der Agenda in Erscheinung treten.

«Ältere Damen» ist heute ein weiter Begriff, den ich einschränken will. Wir sind zwischen 70 und 85 Jahren alt und noch so beweglich, dass hohe Barstühle kein unüberwindliches Hindernis darstellen. Im Lokal kennen sie uns. Die jungen Angestellten freuen sich über unseren Besuch. Das entnehme ich den Reaktionen. Auch wer nichts mit uns zu tun hat, verliert ein Wort, winkt von weitem, schenkt uns ein zustimmendes Lächeln.

«Und über was redet Ihr denn so?» Diese Frage wird immer gestellt. Früher antwortete ich jeweils: «Über das Wetter!» Das zieht heute nicht mehr. Wir sind ja nicht in England! Die Themen gehen uns aber nie aus. Lokales, Reisen, Kultur, Politik, alles hat seinen Platz!

Kürzlich passierte etwas Banales, das uns trotz heiterem Gemüt und Prosecco dazu brachte, über «die letzten Dinge» zu sprechen. Ausgerechnet die Jüngste in der Runde wollte etwas aus ihrer Handtasche hervorholen und wusste im gleichen Augenblick nicht mehr, was das hätte sein sollen. Wir neckten sie mit der bekannten Redensart: «So fängt es an». Und ich sagte: «Weisst du, in zehn Jahren werden wir uns daran erinnern, dass ‹es› mit dieser kleinen Vergesslichkeit angefangen hat». Alle, auch die Betroffene, lachten los.

Aber gleichzeitig stieg bei mir die Frage auf, ob ich denn in zehn Jahren überhaupt noch leben würde. Ich sprach sie aus. Und meine etwa gleichaltrige Nachbarin meinte, dasselbe sei ihr auch durch den Kopf gegangen. Und siehe da, das Gespräch ergab, dass wir alle zur selben Schlussfolgerung gekommen waren. Früher hatten wir Jahreszahlen in der Zukunft leichthin zur Kenntnis genommen. Jetzt ist das ganz anders. Wenn bei Strategien oder Projekten Jahreszahlen wie 2025, 2035 oder noch höhere in Erscheinung treten, dann rechnen wir kurz nach und wenden uns anderen Dingen zu. Wir wissen ja, wir würden das Angestrebte kaum oder sicher nicht mehr erleben.

Als mir das zum ersten Mal so klar bewusst wurde, erlebte ich eine wahrhaftige Verunsicherung. Ich musste mich neu orientieren. An vielen Themen hing mein Gemüt, für vieles war ich noch bereit, meinen Einsatz zu leisten. Aber war das noch realistisch?

Mein Blick auf private oder in der Öffentlichkeit gesetzte zukünftige Ziele änderte sich von da an langsam, aber unaufhaltsam. Zwar fand ich noch vieles erstrebenswert. Aber unterdessen wusste ich, dass mein Streben, mein Engagement vielfach nur noch ein kurzzeitig begleitendes war, ohne Aussicht auf Zieleinlauf. So ganz habe ich mich noch nicht an diese Einsicht gewöhnt!

Eine Hilfe war die Erinnerung an den Vortrag eines hiesigen Arztes, den ich vor Jahren gehört hatte. Hängen geblieben war mir seine Aufforderung, wir müssten «abschiedlich leben». Nur, was das sein sollte, wurde mir seinerzeit nicht klar. Die Formulierung tönte einfach schön. Auch in meinem Leben gingen damals Abschnitte zu Ende. Aber es ergaben sich dadurch immer wieder neue Herausforderungen.

Das tägliche Leben lieferte mir dann die Beispiele. Ein älterer Freund, der regelmässig zu seinen Angehörigen in die USA reiste, sagte jeweils vor dem Abflug: «Es könnte das letzte Mal gewesen sein». Und einmal war es dann auch das «letzte Mal». Vor kurzem kam eine Kollegin von einer Wanderung in den Bergen zurück und bemerkte: «Weisst du, vielleicht ist es das letzte Mal gewesen. Meine Kräfte haben nachgelassen». Das traf mich. Da war es wieder, das «abschiedlich leben».

Wenn ich einem Begriff nahe kommen will, google ich ihn. Und siehe da, für «abschiedlich leben» besteht eine Fundgrube von Hinweisen. Die Zusammenfassung lautet: «im Moment leben. Den Augenblick geniessen. Verweilen.» Da liegen wir ja mit unserer geselligen Runde, mindestens fürs erste, nicht so schlecht!

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