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Ansichten von schönen Bergen

«Jetzt sind die schönen Berge da», so kündigt das Alpine Museum der Schweiz seine grosse Ausstellung an – wie schön sind denn die Berge wirklich?

In der Schweiz kommt man um die Berge nicht herum, sie gehören unzweifelhaft zur Identität; Berge gehören zum Grundstock Schweizer Traditionen und scheinen unzerstörbar, ob es den Menschen in ihrer Nachbarschaft passt oder nicht. Zwei Drittel der Schweiz gelten als Berggebiet, hatte mir ein Vertreter des Museums vor kurzem erklärt. Die grosse Schau von Gemälden heisst allerdings: «Schöne Berge. Eine Ansichtssache.» Und über Ansichten lässt sich streiten – beziehungsweise, versöhnlicher ausgedrückt: Wir Betrachtende sind frei, uns eine eigene Meinung zu den Bergen und ihrem Anblick zu bilden.

Blick in den Saal mit 90 Bildern. In der Mitte: Alexandre Calame, Staubbach 1837 (Foto mp)

Dabei geht es keineswegs um die künstlerische Qualität dieser 120 Bilder von Schweizer Bergen aus der Gemäldesammlung des Museums. Insgesamt besitzt das Alpine Museum rund 400 Bilder, die es geschenkt bekommen hat oder die in früheren Jahrzehnten aus Stiftungsgeldern angekauft worden sind. Schon längst gehören Gemälde nicht mehr zum Kerngeschäft. Museumsdirektor Beat Hächler betont dies, denn seit letztem Sommer, als das Bundesamt für Kultur seine Zuschüsse ab 2019 empfindlich kürzte, steht die Existenz dieser Institution auf der Kippe. «Es ist eine bittere Ironie», sagt Hächler, «2018 ist das Jahr unseres Kulturerbes und das Alpine Museum Schweiz muss ums Überleben kämpfen.» – Seniorweb berichtete darüber.

Im Rahmen der vor wenigen Jahren in die Wege geleiteten Neuorientierung konnte das Museum ein Gesamtdepot beziehen, wo bessere Bedingungen für sanfte Konservierungen möglich werden, eine Voraussetzung für die Zusammenstellung einer solchen Ausstellung und ein langgehegter Wunsch der Ausstellungsmacher.

Ivan Moscatelli: Aux piéds de la Montagne. Aus der Werkgruppe: Six jours de tendresse et une nuit passionnée, 2012. In dieser Sequenz malte der Westschweizer Maler Ivan Moscatelli, dessen Familie aus Oberitalien eingewandert war, das Matterhorn in sieben Versionen – eine für jeden Wochentag.

Was beim Betreten des ersten grossen Raumes erstaunen mag: Wir werden von den neunzig Bildern, die in dem grossen Raum aufgehängt sind, nicht «erschlagen», die Vielfalt der Berge wird gehalten vom luftigen Himmelblau der Wände. Wir können in der Mitte Platz nehmen und uns beim Schauen von Antoine Jaccouds anregendem, poetischem Text über Kopfhörer begleiten lassen. Der Lausanner Dramaturg und Theaterautor erzählt an der Vernissage, wie er sich gefragt habe, was er jemandem sagen würde, der mit ihm die Berge betrachtete. Sind die Berge wirklich schön? Kann man zu viel davon bekommen? Und plötzlich wurde er von der Aktualität eingeholt: Er arbeitete an diesem Text, als in Bondo die Bergstürze niedergingen. Das hat ihm die Dringlichkeit einer Auseinandersetzung mit den Bergen vor Augen geführt, denn ganz unvermittelt können sie «nous tomber sur la tête». – Nicht allein die Berge können brüchig werden, auch unsere Vorstellungen von ihnen.

Antoine Jaccoud hat auch an der Gestaltung des benachbarten Raumes wesentlichen Anteil: Dort hängen die sieben Teile «Aufstieg und Absturz», des Dioramas von Ferdinand Hodler, der einzige Teil der Ausstellung, der fast nicht verändert wurde. Diese Bilder hängen nämlich immer dort, doch in anderen Kontexten übersieht man sie leicht. Nun steht in der Mitte des Raumes ein grosser Bildschirm, auf dem der Schauspieler Michael Neuenschwander als Maler Hodler erscheint. – Jaccoud ist es in diesem Monolog gelungen, den durchaus schwierigen, kapriziösen Charakter des Malers nicht ohne Witz herauszuarbeiten. Es habe ihm geholfen zu wissen, wer den Text sprechen werde. Diese Installation halte ich für einen der Höhepunkte dieser Ausstellung, obwohl oder gerade weil Hodler so sehr auf seiner Kunst besteht.

Videoinstallation von Antoine Jaccoud vor «Aufstieg und Absturz» von Ferdinand Hodler mit dem Schauspieler Michael Neuenschwander (Foto mp)

Denn, wie erwähnt, es geht hier nicht um Kunst, es ist «alpine Gebrauchskunst». Die Maler haben offensichtlich eine enge Beziehung zu den Bergen, sie erscheinen uns zuweilen wie Bergführer, die uns zu den schönsten Ansichten bringen. Auf der anderen Seite sind solche Bilder auch Vermittler zwischen den Alpenbewohnern und den Städtern. Ganze Generationen haben sich von den Bergen bewegen lassen: Im Sommer ging man wandern, im Winter Ski fahren. Eine solche Schau ist ein Inventar landschaftlicher Schönheiten, allseits bekannte Berge werden portraitiert wie herausragende Persönlichkeiten.

Viele Bilder lassen an Tourismusplakate denken. Wie diese haben die Bilder eine Absicht, sie wollen uns einladen, dorthin zu fahren. In einigen Bildern finden wir auch die bekannte Geste, dass wir das Bild aus der Perspektive des Malers sehen, auch wenn der Maler selbst nicht im Bild steht, wie Caspar David Friedrich auf seinem berühmten Rügen-Bild. Und schliesslich sind die Alpen der Erfahrungsraum der Alpinisten, damit das ureigene Territorium des SAC, dem «Vater» des Alpinen Museums.

So gesichert ist das alles aber nicht, wir sind eingeladen, unsere Haltung zu reflektieren. Dazu ist im oberen Stock zu je einem Bild eine Stellungnahme dokumentiert – die Bergler oder Berglerinnen äussern sich erfrischend individuell und kontrovers. Zu Wort kommt auch Anna Giacometti, Bürgermeisterin von Bondo/Bregaglia: «Die Berge können auch Tod und Verwüstung bringen,» daneben hängt ein Bild von Alexandre Calame, «Bergsturz im Haslital».

Alexandre Calame: Bergsturz im Haslital (1839). Mit seinen grossformatigen dramatisierten Berglandschaften wurde Alexandre Calame zum Alpenmaler der Schweizer Romantik schlechthin.

Es ist eine vielfältige Ausstellung, neben drei Werken des grossen Alexandre Calame sind auch zehn Bilder von Malerinnen zu sehen. Das Berner Oberland als Sujet ist ein gewichtiger Schwerpunkt, denn die SAC Sektion Berner Oberland hatte in früheren Jahrzehnten grossen Einfluss auf den gesamten Alpenclub. Neben den vielen Berg- und Naturdarstellungen, nur selten mit Menschen oder Häusern, ist ein Bild besonders zu erwähnen: eine Darstellung der Bauarbeiten an der Staumauer der Grande Dixence.


Berthe Roten-Calpini: Der Langgletscher mit dem Hameau de Kühmatt, Lötschental; undatiert. Die aus Sitten stammende Künstlerin suchte ihre Motive in den Walliser Bergen, die sie so getreu wie möglich auf die Leinwand zu bannen versuchte.

Und wenn Sie vom Schauen genug haben: Setzen Sie sich auf ein Drehkarussell und geniessen Sie das Bergpanorama. Sie können die Sammlung nach verschiedenen Kriterien durchsuchen oder Sie nehmen Farbstifte in die Hand und werden selbst zum Bergmaler oder zur Bergmalerin.

«Schöne Berge. Eine Ansichtssache» im Alpinen Museum der Schweiz ist noch
bis 6. Januar 2019 zu sehen.
Veranstaltungen

Fotos (falls nicht anders erwähnt): Alpines Museum der Schweiz, © beim Künstler

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