StartseiteMagazinKulturBen Vautier: Schreiben ist Wörter malen

Ben Vautier: Schreiben ist Wörter malen

Fluxus-Pionier, Maler, Bricoleur, Philosoph und Erzähler – die Retrospektive im Basler Museum Tinguely

Ben Vautier, französischer Künstler mit Schweizer Wurzeln ist achtzig geworden und kam im mit typischen Sprüchen angemalten Transporter von Nizza nach Basel, um seine Retrospektive im Tinguely-Museum mit einzurichten und zu eröffnen. Ben, den Fluxus-Pionier, Autodidakt, Sammler, Performer und Wörtermaler kennt die Mehrheit in der Deutschschweiz vor allem wegen seiner künstlerischen Arbeit für den Pavillon bei der Expo ’92 in Sevilla. Da stand weiss auf rot „La suisse n’existe pas“, seither ein geflügeltes Wort, auch wenn es selten in Bens Sinn verwendet wird.

Bens Transporter vor dem Museum Tinguely

Er machte eine politische Aussage, aber keineswegs eine, die der Schweiz die Existenz abspricht. Vielmehr ein Kompliment an die Schweiz der Regionen, an die innere Autonomie der Sprachgemeinschaften oder Ethnien, die Vautier in der Schweiz fast ideal verkörpert sah, während Frankreich seine Bretonen, Gasgogner oder Aquitanier ignoriert, wenn nicht unterdrückt.

Ben Vautier, Avis trou, 1958
Collage und Öl auf Holz. Sammlung Ben Vautier Nizza

Nun ist Ben Vautiers Künstlerbiographie anhand der Retrospektive, kuratiert von Andres Pardey, zu lesen, seine kreativen Ideen und Aktivitäten anhand des zweiten Teils der Ausstellung, von ihm selber kuratiert, zu erfahren. In diesem Univers de Ben wird dem letzten Zweifler klar, warum er im Tinguely-Museum am rechten Ort ist: Nicht nur auf den Schrift-Bildern, nein, mit jedem von Ben gefundenen, veränderten, zusammengefügten Gegenstand stellt sich die Frage „Ist das Kunst?“ oder umfassender mit dem Ausstellungstitel „Ist alles Kunst?“

 

Blick in den Raum mit der Kunst für die Armen – Fundstücke, die Ben als Kopie der Grosskünstler für Arme auszeichnet

Mut und Freiheit, aber auch der Tod treiben den 80jährigen um, der Aktivist ist nachdenklich geworden, zugleich fordert er, dass der künstlerische Gestus „lustig“ sein soll. Ende der 50er Jahre in Nizza, wo Ben seither gelebt hat, beginnen erste malerische Experimente, wo er für sich bald das plakative Schriftbild erfindet. Zugleich macht er in der lebhaften Künstlerszene um Yves Klein in Nizza mit, gehört zur den Aktivisten der Fluxus-Bewegung, welche den Kunstbegriff revolutionieren wollte, und führt einen Kiosk, den ihm seine Mutter kauft. Bald verkauft er dort Schallplatten, macht aus den Wänden seine Manifeste und füllt den kleinen Laden mit Fundstücken, Ausgangsmaterial für Neues. Der Kiosk, Le Magasin, wird ein Künstler- und Musikertreffpunkt und ein Ben-Vautier-Objekt, das heute dem Centre Pompidou gehört und nun nach Basel ausgeliehen ist. Es steht im Zentrum des musealen Teils der Retrospektive. Dort wird deutlich, dass sich Ben Vautier trotz aller gestalterischer und performerischer Vielfalt seit den Anfängen mit den gleichen Grundfragen beschäftigt. „1960 beschloss ich, Erneuerer der Kunst zu sein, Künstler, aber mit einem Bezug zur Philosophie: sich Fragen stellen und zweifeln,“ sagte er vor zwei Jahren (Le Matin). Ausgehend von den Ready-Mades Marcel Duchamps› ist Ben überzeugt, dass die Signatur des Künstlers das Werk zur Kunst macht – so signiert er eine zeitlang alles mögliche, was ihm unter die Augen kommt. Eine weitere Werkgruppe umfasst die Dokumentation der Gestes, die simple Alltagshandlungen zu Kunstperformances erklären.

Ben erklärt in seinem Universum bei Tinguely, woran wir Kunst erkennen

Auftreten kann der 80jährige Ben wie einst bei Fluxus als überzeugender Alleinunterhalter, sein Universum – ein thematisch sortiertes Sammelsurium aus Schriftmalerei, Fundstücken, bearbeiteten Gegenständen aller Art, Notizzetteln undsoweiter – unterhält, auch wenn der Urheber nicht da ist. Aber Ben Vautier ist alles andere als ein effekthaschender Clown des Kunstbetriebs. Ben ist ein Denker, er philosophiert über sich, im besonderen über das Ego des Künstlers, über sein Werk, über seinen Kunstbegriff, den er heute mit Fragezeichen versieht: Alles kann nicht Kunst sein, wenn man des Entsetzlichen gedenkt, dessen Menschen fähig sind. Ben ist ein Zweifler. Was den 80jährigen auch umtreibt, sind Fragen zum Kunstbetrieb, Fragen zum Tod und zum Gedächtnisverlust, den er schmerzlich spürt. Das ist in einer Art Tagebuch im Hinblick auf die grosse Basler Ausstellung, wo er unter dem Titel Faire le pointBilanz zieht, im Katalog nachzulesen.

Willkommen in der Konsumgesellschaft – eine Installation im Köpfe-Raum

Wie er seine Ideen und Gedanken in Basel konkret umgesetzt hat, ist zunächst fern von Todessehnsucht oder Selbstzweifel, sondern zugänglich und auch eingängig für alle, die es wissen und sehen wollen. Sein grosser Wunsch ist ebenfalls erfüllt: im Weltzentrum des Fragenstellens soll jeden Donnerstag ab 17:33 Uhr mit geladenen Gästen debattiert werden, mag sein, dass der Künstler selber hin und wieder dabei ist. Um dieses Zentrum mit Sofas gruppieren sich Räume mit politischen, besinnlichen oder auch zweiflerischen Themen wie etwa Kunst und Geld, seinForschen zum Ego oder zu Tod und Selbstmord.

Ben Vautier, J’ai peur de la gloire, 2014 
Acryl auf Leinwand. Sammlung Ben Vautier Nizza

Aber auch Optimismus scheint auf: Freiheit und Mut. Und es gibt viel zu lachen und zu lächeln, so will es Ben „Kunst soll lustig sein.“ Beispielsweise die bewegten Objekte Tinguely zu Ehren, oder die Abteilung mit der Kunst für die Armen, wo es witzige Remakes von bekannten Werken gibt, oder die Rotlichtecke mit dem einladenden Bett und den mehr oder minder pornografischen Artefakten drumherum, darunter einem neuen Totem, gebaut aus Roche-Pillenschachteln…

bis 22. Januar 2016
Teaserbild: Ben Vautier, Ben à Bâle, 2014. Sammlung Ben Vautier Nizza
Hier finden Sie weitere Informationen zu der Ausstellung

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