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Dichter und Revolutionär

Eindrücklich präsentiert im Literaturmuseum Strauhof: das revolutionäre Genie Georg Büchner (1813 bis 1837)

Vor zwei Jahrhunderten kam er zur Welt – in dem hessischen Dorf Goddelau nahe Darmstadt. Kurze 23 Jahre später wurde er in Zürich zu Grabe getragen: Georg Büchner, Universitätsdozent, Revolutionär, Dichter. Bis zum 1. Juni ist Georg Büchner eine der hoffentlich nicht letzten! Literaturausstellungen im Zürcher Strauhof gewidmet.

Literaturmuseum Strauhof mit Büchner-Ausstellung. Foto © Peter Hunkeler

Bis heute ist seine Wirkung ungebrochen, seine drei Theaterstücke werden weltweit wieder und wieder aufgeführt, seine Parole Friede den Hütten, Krieg den Palästen! ist auf Transparenten bei Demonstrationen gegen die Raffgierigen und Mächtigen, oder auch in revolutionären Rap-Songs so frisch wie einst.

Georg Büchner – Revolutionär mit Feder und Skalpell nennt sich das Projekt, das in Darmstadt und Zürich realisiert wurde. Standen in der Mathildenhöhe rund 1000 Quadratmeter zur Verfügung, um Büchner und seine Zeit fast ausufernd und üppig zu zeigen, gelang es der Strauhof-Crew gemeinsam mit dem Direktor der Mathildenhöhe Ralf Beil, das Gigantische so zu verdichten, dass wiederum ein gültiges Bild Büchners in einer Literaturausstellung gezeigt werden kann, angereichert mit Dokumenten der Zürcher Zeit. Dazu Roman Hess, der Leiter des Museums Strauhof: „Es ging darum, die Ausstellung neu zu denken.“

ei Büchners in Darmstadt wurde viel gelesen: Zeitgeschichte, Wissenschaft Shakespeare.
Foto ©  Peter Hunkeler

Wer den Strauhof besucht, darf lesend, schauend und hörend (alle Besucher bekommen einen Audioguide) in Georg Büchners Leben und Werk eintauchen. Ein zu kurzes Leben und eine immense Hinterlassenschaft. Nicht nur was die Masse der Wörter angeht, sondern vielmehr was das Gewicht dieses Kreativen für die Nachwelt bedeutet; Büchner arbeitete als Naturwissenschaftler und Philosoph, schuf Weltliteratur, auch ein revolutionäres Pamphlet (zusammen mit einem Mitstreiter), und er fand Zeit, Briefe zu schreiben.

Blick in die Ausstellung. Foto Peter Hunkeler.

Büchner ist heute noch ein junger Autor, einer, dessen Sprache so frisch, dessen Inhalte so gültig sind, dass er nie aus der Mode kommt. So ist sein Woyzeck das weltweit meist aufgeführte Theaterstück. Eine simple Geschichte (ein armer Hund, ehemals Soldat, seine Freundin mit Kind, die sich von einem smarten Tambourmajor verführen lässt, ein Mord aus Eifersucht), die soziale Zustände kritisiert, damals wie heute gültig. Jedem der drei Büchner-Stücke, dem WoyzeckDantons TodLeonce und Lena ist ein Abteil gewidmet, es gibt Gegenstände und Dokumente aus der Zeit, Hörstationen mit Szenenausschnitten, Bilder.

Eine Quelle zu «Dantons Tod»: Michel Henning, Die Guillotinen von Paris. © Bibliothèque nationale de France, Paris

Beispiel: die Fürstenhochzeit im Grossherzogtum Hessen 1834 gibt das äussere Gerüst für Büchners Komödie Leonce und Lena ab, die in ihrer scheinbaren Possenhaftigkeit eine bitterböse Satire auf die absolutistischen deutschen Fürsten in ihrer dekadenten Langeweile und Verschwendungssucht ist. Fragt der König, was wohl der Knopf in seinem Taschentuch bedeute, denkt das und jenes, bis er hört, der Staatsrat sei versammelt: „Ich wollte mich an mein Volk erinnern. Das ist es,“ sagt er.

Offen revolutionär ist die davor entstandene Flugschrift Der Hessische Landbote, heimlich gedruckt und verteilt im Sommer 1834, in der Büchner die arme Landbevölkerung zum Aufstand ruft. Das Pamphlet, verfasst unter Verwendung von Worten aus der Bibel bringt seine Gegner ausser sich: „Unter Missbrauch biblischer Sprache wird Aufruhr in der Weise gepredigt, als ob er ein heiliges Werk sei.“ Mit Glück kann sich Büchner der Verhaftung nach Strassburg entziehen, wo er Medizin studiert und sich heimlich verlobt.  Wilhelmine Jaeglé wird wenige Jahre später den typhuskranken Büchner in Zürich in den Tod begleiten.

Büchners Grab an der Germaniastrasse bei der Seilbahn Rigiblick. © Zentralbibliothek Zürich
Die Büchner-Ausstellung im Strauhof bringt keine grundlegend neuen Erkenntnisse, aber wer weiss noch, dass der junge Georg theaterverrückt war, dass im Haus seiner Eltern gesammelte Werke von Shakespeare oder Goethe sowie Zeitgeschichtliches gelesen wurden, dass er später seine naturwissenschaftlichen Studien mit der Abhandlung über das Nervensystem der Barbe abschloss und dass er bis kurz vor seinem Tod seine erste Vorlesung als Privatdozent der Universität Zürich über Die philosophischen Systeme der Deutschen seit Descartes und Spinoza vorbereitete.

Richtig spannend wird es da, wo gezeigt wird, wie der Dichter arbeitete: er sog sich seine Sätze nicht aus den Fingern, sondern verwob Material aus anderen Quellen mit seiner Inspiration und Intention zum Text. Für die Novelle Lenz, eine der schönsten Erzählungen deutscher Literatur, verwandte Büchner die Aufzeichnungen von Pfarrer Oberlin, bei dem der geisteskranke Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz 1778 Zuflucht fand.

Mit einer Abhandlung zum Nervensystem der Barbe (Auszug aus der Dissertation) doktorierte Büchner.© Zentralbibliothek Zürich

Leicht nachvollziehbar wird die Schreibarbeit in Beispielen auf Video: Im Woyzeck erzählt die Grossmutter das Märchen von dem Kind, das zum Mond, zur Sonne und zu den Sternen geht und am Ende ohne Hoffnung bleibt – ein Büchner-Text kompiliert aus drei Volksmärchen. Da denken sich manche Besucher: Gar eine Parabel für die kulturpolitische oder eher populistische Entscheidung, aus dem Strauhof einem Schreiblabor für Jugendliche zu machen und das international bekannte Literaturmuseum ohne gültige Alternative auszulöschen? Aussergewöhnlich heftig war und ist der Protest gegen diese Pläne, und klar ist, dass es andere, viel geeignetere Räume für das durchaus fördernswerte Jugendliteraturlabor, nicht aber für Literaturausstellungen gibt. Vorerst wird im Strauhof mit Büchner das Wort ausgestellt, ein Wort, welches in seiner Präsentation ein breites Publikum ansprechen kann.

Titelfoto: Blick in die Büchner-Ausstellung. Foto © Peter Hunkeler

Zur Ausstellung ist ein Schwergewicht von Katalog erschienen, herausgegeben von Ralf Beil und Burghard Dedner mit Essays u.a. von Peter von Matt, sowie literarischen und philosophischen Texten von Ludwig Börne über Rudi Dutschke bis Robert Walser (in der Ausstellung 72 Franken).
Bis 1. Juni 2014

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