Die Macht der Alten

Unsere Gesellschaft altert zunehmend. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Versteinert unser System? Eine Tagung in Zürich widmete sich kürzlich diesen Fragen.

«Der Einfluss der Alterung auf die politische Landschaft der Schweiz.» Unter diesem Titel stand der Vortrag von Claude Longchamp, Leiter des gfs.bern, im Rahmen der diesjährigen Tagung des SENE FORUMs. Der durch seine Abstimmungsanalysen schweizweit bekannte Soziologe und Demoskop sprach nicht nur über die greifbare Angst vor der Überalterung und deren Konsequenzen, er zeigte auch Tendenzen, wie sich das gesellschaftliche Verhalten kommender Generationen verändern könnte.

Die Alterung unserer Gesellschaft lässt sich an Zahlen und Statistiken festmachen: Um das Verhältnis von älteren und jüngeren Menschen anzugeben, benutzen Statistiker den Altenquotient, der die Zahl der Erwerbstätigen zur Zahl der Rentner und Rentnerinnen in Beziehung setzt. Dieses Verhältnis auf die Stimmberechtigten in der Schweiz übertragen, ergibt: 30% der Stimmenden sind älter als 65, 70% zwischen 18 und 65. Longchamp errechnet daraus einen durchschnittlichen Wähler von 56 Jahren. Dieser steht der Pensionierung deutlich näher als der Gründung einer Familie. Logisch folgt daraus, dass eine Mehrheit der Stimmenden vorausschaut auf Wohlstand im Alter, weshalb auch Jüngere bei Altersfragen für die Interessen der Alten – ihre künftigen Interessen – stimmen.

Keine Solidarität der Älteren mit den Jüngeren

Die Alten jedoch stimmen nicht ähnlich solidarisch. Die Mutterschaftsversicherung z.B., die den Familien, jungen Frauen dient, brauchte insgesamt vier Anläufe, bis sie endlich akzeptiert wurde. Die Volksabstimmung «6 Wochen Ferien generell» wurde vor kurzer Zeit abgelehnt, zum Erstaunen aller Nachbarländer, die nicht verstehen konnten, dass die Schweizer zwar über Fragen wie Feriendauer entscheiden durften, diese jedoch ablehnten. Hier wirkte nach Ansicht von Longchamp eindeutig der Altenfaktor. Die Alten sagten sich «Wir hatten früher auch nur vier Wochen Ferien und sind damit gut ausgekommen, warum soll es den Jungen anders gehen.»

Die Volksinitiative «Für ein flexibles Alter» wurde von Alt und Jung angenommen, denn die Jungen wünschen sich vernünftigerweise ein gesichertes Alter. Aufgrund dieses politischen Ungleichgewichts empfiehlt Longchamp den Gemeinden, vermehrt etwas für die Förderung der Jungen zu tun, denn die Alten haben genug Gewicht, um ihre Interessen durchzusetzen.

Verschiedene Faktoren wirken im Wahl- und Abstimmungsverhalten der Schweizer und Schweizerinnen zusammen, erklärt Longchamp: Die Wahlbeteiligung nimmt mit zunehmendem Alter zu, besonders bei den pensionierten Männern. Wenn wir die Wahlentscheidungen nach Alter anschauen, erkennen wir, dass die Unterstützung bei einzelnen Parteien (der SVP, bedingt auch bei der CVP) mit dem Alter zunimmt, die SP und die Grünen (GPS und GLP) bei den Alten Stimmen einbüssen. «Die Alterung bewirkt eine Verschiebung nach rechts, wenn sich das Wahlverhalten in Zukunft nicht ändert, zumindest teilweise», stellt Longchamp fest.

Wertewandel verändert die alternde Gesellschaft

Die bisherigen Überlegungen ergaben sich aus der Analyse demografischer Statistiken. Sie ziehen ihre Schlüsse aus Zahlen, nicht aus den sich wandelnden Einstellungen der Bürger und Bürgerinnen. Es ist nämlich nicht erwiesen, dass die morgigen Jungen gleich seien wie die heutigen oder die morgigen Alten immer noch die gleichen Haltungen hätten wie die heutigen. Die Zahl der Alten wird wachsen, aber die morgigen Alten werden anders leben, sich anders entscheiden, denn sie sind anders aufgewachsen als die heutigen Alten.

Ein Blick auf die Generationen seit dem 2. Weltkrieg zeigt dies deutlich: Wer den Krieg noch als Kind oder Jugendlicher erlebt hat, der ist mit Werten wie Sicherheit, Ruhe und Frieden gross geworden. Die Nachkriegsgeneration war von Aufbau und wachsendem Wohlstand geprägt. Die 68er stellten vieles in Frage, suchten neue Werte und alternative Lebensformen. Wer in den 70er und 80er Jahren aufgewachsen ist, wurde mit dem Waldsterben und der Problematik des Klimawandels konfrontiert. Auch die scheinbar unbegrenzte Macht des Geldes und der schnelle Reichtum prägte die Jungen während einiger Jahre.

Die spannendste Generation sind die aktuell Jungen. Die digitalen Kosmopoliten orientieren sich in ganz neue Richtungen und pflegen einen anderen Umgang mit den Kommunikationsmedien. Während die Menschen, die vor 1975 geboren wurden, sich ihre politischen Informationen in Zeitungen, Radio und Fernsehen holen, informieren sich die nach 1975 Geborenen mehr über Strassenplakate, Internetmitteilungen und Informationen am Arbeitsplatz. Sie werden die Medien – wie immer diese in einigen Jahrzehnten aussehen werden – anders nutzen, aber sie werden auch ihr Leben anders gestalten, entsprechend ihren eigenen Werten.

Ein Trendsetter der kommenden Alten

Als Vorreiter einer kommenden polyglotten Generation bezeichnet Longchamp den Alterspräsident des Nationalrates Jacques Neirynck.

Christlich-sozial geprägt, aus Belgien stammend, Jahrgang 1931, Ingenieur, hatte Neirynk als Professor in Zaïre gewirkt; später an die ETH Lausanne berufen, liess er sich in der Waadt nieder, wurde eingebürgert und 1993 in den Nationalrat gewählt. Letzthin äusserte er, dass er sich als Politiker keineswegs zu alt fühle und zum Ende der Legislaturperiode nicht zurücktreten werde.

Jacques Neirynk entspricht dem, was Claude Longchamp (Bild rechts) als «Modell zukünftiger Alter» skizziert: ein Patchwork-Leben. In Zukunft werden die Menschen vermehrt keinen geraden Lebensweg gehen, nicht einfach das Älterwerden als gegeben hinnehmen, sondern in jeder Lebensphase suchen, was zu ihnen passt, was ihnen wichtig ist. Sie werden die unterschiedlichsten Erfahrungen gesammelt haben und damit etwas unkonventioneller leben. Die künftige Generation der Alten wird pluralistischer zusammengesetzt sein, ihre Verschiedenheiten immer noch pflegen und sich mit Werten auseinandersetzen, die womöglich nicht in Stein gemeisselt sind.

Das SENE FORUM setzt seinen Jahrestagungen jeweils einen aktuellen altersrelevanten Schwerpunkt und lädt dazu Experten aus verschiedenen Bereichen ein. In diesem Jahr sprachen auch Dr. med. Hans Groth über den demografischen Wandel, der Publizist Beat Kappeler über «Arbeitsmarkt, Konsumstil, Renten machen alt (und jung)» und Prof. Dr. med. Andreas Gerber über Selbstbestimmung am Lebensende. (Ihre Unterlagen stehen hier zur Verfügung.) Der Cartoonist Pfuschi setzte mit seinen witzigen, spontan gezeichneten Karikaturen gelungene Pointen.

Nachtrag: Ein Artikel im «Bund» (Mi, 29.1.2014, nur Printmedium) mit dem Titel «Reiche ältere Männer haben die höchste Wahlbeteiligung» bestätigt Longchamps Aussagen über das Wahlalter und –verhalten. Berichtet wird über die Analyse der Wahlen in der Stadt Bern durch den städtischen Statistikdienst: 61,8 % der 70- bis 74jährigen Männer haben gewählt, aber nur 21,6% der 20- bis 24jährigen Männer (21,9% der gleichaltrigen Frauen).

Titelbild:  ©  Michaela Rupprecht / pixelio.de
alle anderen Illustrationen: Pfuschi (Heinz Pfister)

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