StartseiteMagazinKulturDie Nase und das Pferd

Die Nase und das Pferd

William Kentridge bekommt im Haus Konstruktiv in Zürich die erste Ausstellung in der Schweiz

„Ich bin nicht ich, das Pferd gehört nicht mir“, steht als Leitsatz über der Videoinstallation innerhalb der Ausstellung The Nose. Direktorin Sabine Schaschl vom Haus Konstruktiv ist mit gutem Grund stolz, William Kentridge erstmals in der Schweiz zu zeigen, zwar „nur“ eine Werkgruppe, aber diese dafür vollständig. So sind die Museumsräume erfüllt von Nasen und Rössern in verschiedensten Techniken, als Video, als Bronzen, auf Wandteppichen, als Zeichnungen, Grafiken, Collagen oder Video Stills.

Wandteppiche und Bronzen von William Kentridge im Haus Konstruktiv. Foto: Stefan Altenburger

Die Nase bezieht sich auf eine gleichnamige satirisch-absurde Fabel von Nikolai Gogol, die kurz nach der russischen Revolution von Dmitri Schostakowitsch für ein burleskes musikalisches Melodrama, 1930 in Leningrad uraufgeführt, adaptiert wurde. William Kentridge seinerseits konnte das Musiktheater in der Metropolitan Opera in New Yorkausstatten und inszenieren: die multimediale Umsetzung wurde 2010 die Sensation der Opernsaison.

Nose 13, 2007. Grafik. Courtesy the artist and Goodman Gallery

Klar, dass das Museum Haus Konstruktiv einen Raum reserviert hat, wo das Werk zu sehen und zu hören ist. Vor dem Kabäuschen in einer Vitrine stehen wie eine Zinnsoldaten-Sammlung alle Figurinen aus der Oper als Laubsägearbeit und angemalt. Darunter natürlich die Nase, die sich selbständig macht und ein Eigenleben führt. Fatal nur, dass sie höher gestellt ist als ihr ursprünglicher Besitzer, so dass der sie weder im ständischen Zaren-Russland Gogols, noch im Stalinschen Sozialismus der Sowjetunion, unter dem Schostakowitsch bis zur Selbstverleugnung litt, schwerlich zurückbekommen kann. Selbst als die Nase festgenommen und dem Besitzer wieder ausgehändigt wird, wehrt sie sich, bis jener eines morgens wieder mit Nase im Gesicht aufwacht. Das Absurde eignet sich als Kritik an der geltenden Normalität – im Zarenreich, in der Sowjetunion, auch im hier und heute. Der Werkzyklus, welcher auf den russischen Konstruktivismus und seine Zeit zurückgreift, erinnert letztlich an das Vorbild der Zürcher Konkreten.

William Kentridge (*1955) studierte in Südafrika politische Wissenschaften und später Kunst. In Paris folgte ein Schauspiel- und Theaterstudium. Mehrfach, auch in diesem Jahr, stellte er bei der Biennale in Venedig aus, dreimal zeigte er Arbeiten an der Documenta. Er arbeitet seit den 70er Jahren regelmässig auch als Schauspieler und Regisseur.

Video-Porträt von William Kentridge (mehr auf Youtube)

Von 2006 an, als er den Auftrag von der Met bekam, näherte sich Kentridge der Nase und ihrer Geschichte, zunächst mit Zeichnungen, Aquatinten und Collagen. Er sammelte Zeitungen, Illustrationen, Filme, Fotos, Propagandamaterial aus Gogols und Schostakowitschs Zeit und begann damit zu arbeiten. Immer eingedenks des russischen Bauernspruchs, dass ich nicht ich sei und das Pferd nicht meins – also der Ablehnung jeder Verantwortung für eigenes Handeln – hier das Stehlen des Pferds. Die Nasen-Thematik bei Kentridge zielt sowohl auf das Politische mit staatlicher Macht und Willkür, als auch auf das Philosophische mit der Frage nach der Trennung vom Ich.

Die Nase stürzt gleich von der Karrierenleiter. Vdeo still aus der Installation I am not me, the horse is not mine, 2008. Courtesy the artist and Goodman Gallery

Bei der Verarbeitung greift der Künstler auf die Formensprache des russischen Konstruktivismus nach der Revolution zurück, nutzt geometrische Formen wie Dreieck, roter Kreis, Rechteck als Elemente im Trickfilm, aber auch als Mittel der Entlarvung in Collagen. Beispielsweise deckt er Gesichter oder Nasen des Zentralkomitees der späten Zwanziger Jahre mit den Elementen zu – Reverenz an die damals bereits wieder abgewürgte freie Kunst, welche gleich nach der Revolution aufgebrochen war. Die Ausstellung der Werkgruppe macht immer wieder klar, dass das Ästhetische das Politische ist. Für Kentridge, den Südafrikaner ist nichts anderes möglich.

Für die Zürcher Präsentation sind neue Arbeiten entstanden, nebst den Sperrholzmaketten zur Oper, realisiert zusammen mit Greta Goiris, einer der grossen Wandteppiche mit Pferd im Zentrum und politischen Hinweisen, die von den Rändern hereinbrechen, oder auch eine gigantische Collage, die jeweils neu als den einzelnen Blättern konstruiert werden muss. Pferde mit und ohne Reiter – Symbole königlicher Macht, hat Kentridge auch als Bronzen erstellt, darunter eine Kippfigur mit den Elementen Pferd und Nase.

Wandteppich Streets of City 2009 mit Nase zu Pferd und Zugaben auf russisch und englisch. Courtesy the artists, Marguerite Stephen and Goodman Gallery

Überwältigt und zugleich fulminant ins Thema eingeführt wird der Museumsbesucher im grossen Raum gleich hinter dem Foyer: Dunkelheit und Lärm, an allen Wänden bewegte Bilder verwirren zunächst. Dann folgt das Schauen, später das Reflektieren und – vielleicht – das Verstehen: In der Videoinstallation gibt es burleske Szenen mit der Nase, da spielt einer kraftvoll auf dem Flügel, beobachtet von der Nase, dort steigt sie eine Leiter empor und stürzt von der obersten Plattform gleich wieder ab, hier bewegen sich Schattenfiguren über die Wand, eine mit einer grossen Fahne, einer als rot erkennbaren, die geometrischen Formen des Konstruktivismus werden zu Trickfilmfiguren. Spätestens hier wird die Erinnerung an einen anderen Filmkünstler wach, der in seinen Filmen ebenfalls auf konstuktivistische Formen zurückgriff. Sein Universum wurde 2012 am selben Ort gezeigt; wir meinen den Schweizer Klaus Lutz (1940-2009).

William Kentridge gibt schliesslich in seiner flimmernden, ratternden, von Musik dröhnenden Halle mit einem letzten Text-Video Aufschlüsse: es sind Bakunins Aussagen, mit denen er sich gegen die Anschuldigungen Stalins und des ZK verteidigt, er sei ein Renegat. Es wird ihm nicht helfen, er wurde wie tausende liquidiert. So schafft es Kentridge, Lachen und Grauen zugleich hervorzurufen und eingängig nachzuweisen, dass das Ästhetische auch das Politische ist. Einst und jetzt.

Bis 6. September
Zur Ausstellung ist ein Katalog mit Beiträgen von William Kentridge, Jane Taylor und Sabine Schaschl erschienen
Teaserbild: Foto: Marc Shoul

(Mit William Kentridge im Haus Konstruktiv in Zürich und Marlene Dumas bei Beyeler in Riehen (Besprechung folgt) haben wir die Chance, gleich zwei südafrikanische Künstlerpositionen zu studieren, zwei Persönlichkeiten der gleichen Generation.)

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