StartseiteMagazinKulturDie Schweizer Nationalgalerie - ganz föderalistisch

Die Schweizer Nationalgalerie – ganz föderalistisch

Fokus auf die Glanzlichter der Gottfried Keller-Stiftung. Teil 1 im Landesmuseum.

Wer guckt in Sammlungsausstellungen der Kunstmuseen genauer aufs Täfelchen, wo nebst Angaben zu Künstler und Objekt auch vermerkt ist, wem das Bild gehört? Rund 6500 Kunstwerke, deponiert in grossen und kleinen Museen oder historischen Bauten in allen vier Landesteilen, wovon einige zu den Ikonen gehören, sind im Besitz der Gottfried Keller-Stiftung (GKS). Diese Stiftung wird nach Jahrzehnten klandestinen Daseins – höchstens machte Schlagzeilen, wenn die Finanzen prekär waren – in ihrer Bedeutung und mit ihrer Geschichte ans Licht geholt.

Blick in die Ausstellung mit Goldschmiedearbeiten und Glasmalerei

Wussten Sie, dass die Basler Ausgabe von Arnold Böcklins Toteninsel zu den Glanzlichtern der Gottfried Keller-Stiftung zählt, oder das überaus wertvolle Reliquiar des heiligen Petrus aus der Mitte des 12. Jahrhunderts, welches der Stolz des Musée d‘histoire du Valais in Sion ist, oder aber das symbolistische Bild Der Auserwählte von Ferdinand Hodler einer der Schätze des Kunstmuseums Bern.

Das Reliquiar, 1908 aus der Pfarrkirche von Bourg-St. Pierre in private Hände gelangt, wurde beispielsweise 1962 von der Stiftung gemeinsam mit dem Walliser Staatsrat erworben. Das erste ungegenständliche Bild kam erst 1966 mit Gustave Buchets Le disque noir in die Sammlung; bis in die 40er Jahre wirkte die apodiktische Aussage von Kommissionsmitglied Daniel Burckhardt von 1917: „Der Futurismus und Kubismus gehört nicht in den Bereich unserer Tätigkeit.“ Heute indessen kann sich die Schweizer Kunstwelt freuen, dass auch Werke von Sophie Taeuber-Arp, Richard Paul Lohse, Meret Oppenheim oder Jean Tinguely in die Sammlung und damit weg vom Kunstmarkt gelangten, als spektakulärste Anschaffung wohl Martin Dislers Monumentalgemälde Die Umgebung der Liebe, das er 1981 in vier Nächten für die grosse Halle des Württembergischen Kunstvereis in Stuttgart malte. Die 140 Meter lange und fast viereinhalb Meter hohe Malerei ist jetzt im Bündner Kunstmuseum in Chur erstmals seit den 80er Jahren bis zum 26. Mai ausgestellt.

Büstenreliquiar des Heiligen Petrus. Wohl Werkstatt der Abtei St. Maurice VS, Mitte 12. Jh

Zwar ist die GKS wohl eine der reichsten Sammlungen, würde man den Schatz international auf Versteigerungen anbieten, aber fürs tägliche Brot, oder korrekter formuliert, für jährliche Ankäufe ist sie eher bescheiden dotiert, wenn auch massiv besser gestellt als noch vor relativ kurzer Zeit. Aber blicken wir zurück auf die Geschichte dieser Kunststiftung mit dem Namen eines der wichtigsten Autoren der Schweiz, dessen 200. Geburtstag nun auch eine Kunstfeier wird.

Stifterin ist Lydia Welti-Escher, die Tochter des zusammen mit Gottfried Keller in diesem Jahr gefeierten Unternehmers Alfred Escher. Ihr Vermögen stiftete sie mit dem Zweck, Kunst für die noch nicht konsolidierte Schweiz zu erwerben, nachdem ihre Ehe mit dem Bundesratssohn Friedrich Emil Welti in einem Desaster geschieden und sie ihrem unglücklichen Leben selbst ein Ende setzte. Lydia, geliebte Tochter des Eisenbahnkönigs opferte ihre Wünsche und Ziele in einer konventionellen Ehe, wobei ihr Gatte es vor allem auf das Escher-Vermögen abgesehen hatte. Möglicherweise trieb er sie geradezu in die Arme des Malers Karl Stauffer, mit dem sie in Rom glückliche Tage verbrachte, bis dieser ins Gefängnis geworfen, sie in die Irrenanstalt eingewiesen wurde – Urheber der Kabale waren Bundesrat und Sohn Welti.

Karl Stauffer (1857 – 1891). Bildnis von Lydia Welti-Escher, 1886

Nach Rückkehr und Scheidung nahm sie Abstand vom Geliebten, der sich in der Folge umbrachte. Sie bemühte sich noch um das Juristische für ihr Erbe und beendete ihr Leben, einsam und als Ehebrecherin geächtet mit nur 32 Jahren am 12. Dezember 1891 selbst.

Die Stiftungsurkunde unterschrieb sie am 6. September 1890. Nachdem zunächst von der Welti-Escher-Stiftung die Rede war, schlug der geschiedene Friedrich Emil Welti, der sie in ihrem Vorhaben unterstützte, den Dichter und engen Freund der Escher-Familie vor, da ihr Name skandalbehaftet war. Dass bis heute regelmässig eine literarische Stiftung vermutet wird, ist eine natürliche Folge davon, auch wenn Keller selbst sich in Malerei versucht hatte.

Ferdinand Hodler (1853 – 1918). Selbstbildnis, Paris, 1891

In der Ausstellung des Landesmuseums hängt Kellers Hauptwerk, die 1842 in München entstandene Heroische Landschaft, passend zwischen den wunderbaren Porträts, die Karl Stauffer von Lydia Escher und dem Dichter und Familienfreund im Gewächshaus des Belvoir, dem Familiensitz gemalt hatte. Die Villa samt Park – heute Hotelfachschule – wurde bald nach der reichlich unglücklichen Verwaltung, die der Bundesrat eingesetzt hatte – verkauft und samt dem grössten Teil des Vermögens von 5 Millionen Franken (heute: rund 60 Millionen Franken) in den Sand gesetzt, Geldentwertung und Preissteigerung auf dem Kunstmarkt für wichtige Objekte taten das Ihrige dazu. Zunächst wurde oft ungeschickt eingekauft, weil die Fachkenntnis der Kommission nicht für jede Kunstrichtung oder Epoche ausreichte.

Erst 2011 beschloss der Bundesrat, die Stiftung, deren Existenz in den 80er Jahren in Frage gestellt war, im Rahmen des Kulturförderungsgesetzes so auszustatten, dass sie ihrem Zweck, Kunst und Kulturgut für Schweizer Museen zu erwerben, wieder erfüllen kann, wobei regelmässig wichtige Werke gemeinsam mit den Museen, in deren Sammlung sie gelangen, angekauft werden.

Graduale des Dominikanerinnenklosters St. Katharinental, um 1312. Handschrift auf Pergament

Was das Landesmuseum nun in der Jubiläumsausstellung zur Gottfried-Keller-Stiftung zeigt, ist eine kleine und feine Auswahl. Einer der zwei Räume widmet sich der Stiftungsgeschichte und der bildenen Kunst, der zweite ist der Glasmalerei und dem Kunsthandwerk gewidmet. Eine grosse Gemälde-Ausstellung – inbegriffen das im Grunde nicht ausleihbare Triptychon Werden – Sein – Vergehen von Giovanni Segantini aus St. Moritz, wo das Museum zur Zeit renoviert wird, eröffnet in rund einem Monat das MASI in Lugano. Die einmaligen Bilder konnten 1911 als einer der Höhepunkte der Stiftungsgeschichte für St. Moritz vereint werden. Einige der bedeutendsten Erwerbungen unter den 6400 Objekten können nie mehr auf Reisen, beispielsweise das Chorgestühl von St. Urban, ein spektakulärer Rückkauf aus Schottland.

Aber in Zürich ist ein wunderbarer Frank Buchser zu sehen, der erwähnte Disque noir, eine Skulptur von Giacometti und das einmalige Selbstporträt von Ferdinand Hodler aus dem Jahr 1891 Zu den Sammlungssparten gehört heute auch die Fotografie, in Zürich vertreten mit Daguerrotypien sowie einigen Fotos des wieder zu entdeckenden Fotografen Marcel Bolomay.

Jean-Gabriel Eynard-Lullin (1775 – 1863) und Jean Rion. Die Familien Eynard, Cayla und Madame de Traz auf der Terrasse der Villa Beaulieu in Rolle, um 1850. Daguerreotypie

Der zweite Raum zeigt die glücklich aus dem Ausland 1894 wieder zurückgekauften Glasgemälde aus der Zürcher Glasmalereiwerkstatt von 1519, als Meisterwerk erster Ordnung das Graduale des Klosters St. Katharinental aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts, in dem virtuell auf einem Bildschirm geblättert werden kann, sowie eine Preziose aus dem Basler Münsterschatz, dem Heiligen Christophorus. Für Lydia Welti-Escher war wichtig, dass einmalige Kunstwerke, die im 19. Jahrhundert wegen Geldmangels der jungen Kantone veräussert worden waren, wieder zurückgekauft, repatriiert werden konnten. Für sie hatte die Stiftung auch einen politischen Zweck, nämlich dem „zu unserem Nachteil in unserem Lande so stark vorherrschenden Kirchturmgeist entgegenzuarbeiten.“ Das und noch viel mehr ist nachzulesen im Katalog zu der Ausstellung in Zürich und Lugano. Dank der Gottfried-Keller-Stiftung hat auch die Schweiz ihre Nationalgalerie – verteilt in zahlreichen Museen und Kunstdenkmälern in allen Landesteilen. Das zu erfahren, ist mit ein Grund für das Outing der sonst so diskreten Stiftung.

bis 22. April
Die Publikation zu den beiden Ausstellungen in Zürich und Lugano «Meisterwerke der Gottfried Keller-Stiftung» mit einem Beitrag des Stiftungspräsidenten Franz Zelger ist in drei Landessprachen erhältlich.
Hier gibt es Informationen zur Ausstellung im Landesmuseum und zur Gottfried Keller-Stiftung

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