StartseiteMagazinGesellschaftEin einzigartiges Stück Pergament

Ein einzigartiges Stück Pergament

Das Stiftsarchiv St. Gallen zeigt in einem ausgeklügelten Ausstellungsset den Klosterplan, ein nie realisiertes Bauprojekt aus dem frühen Mittelalter.

Im Stiftsbezirk St. Gallen, dem UNESCO Weltkulturerbe, wurde vor kurzem der Ausstellungssaal des Stiftsarchivs eröffnet. Dort ist eine neue Dauerausstellung entstanden: «Das Wunder der Überlieferung – Der St. Galler Klosterplan und Europa im frühen Mittelalter». Das älteste Klosterarchiv der Welt öffnet sich damit nicht nur allen interessierten Besucherinnen und Besuchern, es zeigt nun auch den weltweit einzigartigen St. Galler Klosterplan der Stiftsbibliothek erstmals im Original.

Der Klosterplan – ein Architekturmodell

Dieser Klosterplan gilt als früheste Darstellung eines frühmittelalterlichen Klosterbezirks. Er entstand vermutlich zwischen 819 und 826 im Kloster Reichenau unter Abt Haito. Auf dem Plan befindet sich eine lateinische Widmung, daher wissen wir, dass der Plan an Abt Gozbert vom Kloster St. Gallen gesandt wurde und dass er seitdem im Besitz des Klosters war, dessen reiches Schriftenmaterial heute in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt wird.

Der berühmte St.Galler Klosterplan der Stiftsbibliothek St.Gallen von um 825 ist der bedeutendste Architekturplan des Mittelalters. St.Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 1092. (© Stiftsbibliothek St.Gallen)

Dieser Plan, der bisher nur als Faksimile ausgestellt wurde, zeigt die ideale Gestaltung einer Klosteranlage zur Karolingerzeit, d.h. im 9. Jahrhundert. – Es gibt kein Kloster, das nach dieser Vorlage gebaut wurde. Die Forscherinnen und Forscher rätseln auch heute noch, zu welchem Zweck dieser Bauplan gezeichnet worden war. Gab es konkrete Pläne, ein neues Kloster zu gründen, Pläne, die nie verwirklicht wurden? Wollten die beiden Äbte, die beide im karolingischen Reich sehr angesehen waren, grundsätzlich niederlegen, welche Gebäude, welche Anlagen zu einem Kloster gehören sollten? Oder stammte der Plan gar nicht aus dem Bodenseeraum, sondern aus Italien? Denn zur Klosterkirche wurden zwei freistehende runde Türme gezeichnet, was nördlich der Alpen total ungewöhnlich war, in Italien aber sehr verbreitet.

Wer den Originalplan anschauen möchte, muss sich von den beiden anderen Bereichen der Stiftsbibliothek entfernen, in den Ausstellungsraum, der dem Stiftsarchiv angegliedert ist. Inmitten vieler interessanter Vitrinen zur Geschichte dieses eindrucksvollen Archivs wurde ein kleiner abgeschlossener Raum eingebaut, der nur alle zehn Minuten geöffnet wird. Einmal eingetreten, erfährt man viel Aufschlussreiches über den Klosteralltag im Mittelalter, vor allem über die Schreib- und Abschreibarbeit der Mönche und über das Pergament, das wohl im Kloster selbst aus Häuten von Ziegen und Schafen hergestellt wurde.

Ausstellungssaal (Fotografin: Cornelia Vinzens)

Zuletzt hebt sich in der Mitte ein kompakter Deckel, und für einen kurzen Moment dürfen die Anwesenden einen Blick auf das altehrwürdige, teils wellige, oft gefaltete Pergament werfen, das aus fünf zusammengenähten Pergamentstücken zusammengesetzt wurde. In früheren Zeiten, noch vor mehr als 40 Jahren, versuchte man mit unpassenden Mitteln und Methoden, das Pergament zu restaurieren, was zuweilen nur eine «Verschlimmbesserung» brachte. Das will man endgültig vermeiden. – Wer den Plan wirklich studieren möchte, tut dies besser in den anderen Museumsräumen der Stiftsbibliothek.

Wir erfahren, was für eine immense Bedeutung ein Kloster in jener Zeit des Frühmittelalters besass. Es diente nicht nur dem religiösen Leben der Mönche, zur Verpflegung des Klosters, aber auch der Gäste – auch des Kaisers – besass es einen Landwirtschaftsbetrieb, der wohl in einem reichen Kloster von Knechten und Bediensteten betrieben wurde, wie gesagt, die Tiere wurden nicht nur für ihr Fleisch oder Fell gehalten, sie dienten indirekt auch der Schreibtätigkeit.

Pergament – ein wiederverwendbares Material

Pergament galt im Mittelalter als teures Material, das oft genug mehrfach verwendet wurde, zumindest auf beiden Seiten beschrieben wurde. Das geschah auch mit dem einzigartigen Klosterplan. Ein Mönch nutzte die Rückseite, um eine Heiligenbiografie niederzuschreiben. Leider reichte der Platz nicht aus, so schrieb er auf der Seite des Klosterplans weiter – und beschädigte damit einen Teil der Zeichnung. Solche Sachen geschahen häufig. Man kratzte auch alte Texte weg und schrieb etwas Neues darüber. Späteren Forscher oder Forscherinnen gelang es manchmal, den ursprünglichen Text wiederherzustellen – sie nannten dies ein Palimpsest.

Das Abschreiben, die Herstellung von Büchern war eine wichtige tägliche Arbeit der Mönche. Bücher waren von A bis Z Handarbeit, gedruckte Bücher erschienen erst, als das Mittelalter zu Ende ging. Schreiben und Lesen war im Frühmittelalter nur wenig verbreitet, Klöster waren immer auch Orte der Bewahrung und Weitergabe von Wissen, sei es religiöses oder allgemein gebräuchliches Wissen wie Gartenpflege, wofür die Insel Reichenau ein Zentrum war.

Die Stiftsbibliothek als Hüterin der Geschichte

Im Kloster St. Gallen wurde auch die Herstellung – und selbstverständlich – das Abschreiben von Urkunden sorgfältig gepflegt, es wurden offizielle «Herrscherurkunden» hergestellt und aufbewahrt, aber auch viele private Urkunden, wenn beispielsweise ein Grundstück den Besitzer wechselte. Das Stiftarchiv St. Gallen besitzt ca. 900 Dokumente aus merowingischer und karolingischer Zeit und ist damit das reichste Archiv für diese Periode. Diese Urkunden dienten der Geschichtsforschung dazu, die erste Erwähnung eines Ortsnamens zu eruieren. – Über 1’000 Ortsnamen aus dem alemannischen Raum finden sich in diesen Urkunden.

Erste schriftliche Erwähnung von Oberuzwil in einer Urkunde vom 16. Juni 819. Stiftsarchiv St.Gallen, II 30. (© Stiftsarchiv St.Gallen)

Wie erwähnt, gehörte das Kloster St. Gallen in der Zeit Karls des Grossen zu den wichtigsten nördlich der Alpen, geriet dadurch aber auch in die Machtkämpfe zwischen Adeligen im alemannischen Raum und dem Herrscherhaus, zunächst der Merowinger, dann der Karolinger. Solche Machtansprüche wurden vielleicht auch durch «Leihgaben» besiegelt. Die Stiftsbibliothek besitzt nämlich eine der sehr seltenen Bibeln, die Alkuin, Berater von Karl dem Grossen, in Tours hatte herstellen lassen. – Wie Alkuin selbst waren Klostervorsteher, aber auch Mönche häufig Gelehrte. So lange es noch keine Universitäten gab, waren Klöster auch Studienorte.

Wertvolle Bücher, ausgestellt im Gewölbekeller (© Stiftsbibliothek St.Gallen)

Bücher, die der Übersetzung vom Lateinischen ins Althochdeutsche dienten; Kalender, um das Osterdatum – damals Jahresbeginn – bestimmen zu können; in einem Pergamentbuch aus dem 9. Jahrhundert eine Darstellung des Labyrinths, gezeichnet als Weg des Lebens, wie wir es aus der Kathedrale von Chartres kennen. Beliebt waren «Bücher des Lebens», in denen die Todestage von Mönchen und Nonnen aus allen befreundeten Klöstern notiert wurden, an diesen Tagen wurde ihrer in besonderen Gebeten gedacht.

Liste der Schwestern von St. Stephan in Strassburg und von Schänis im älteren St.Galler Gedenkbuch. Stiftsarchiv St.Gallen, C3 B55. (© Stiftsarchiv St.Gallen)

Das Kloster St. Gallen hatte bis zu Napoleons Herrschaft Bestand, 1805 wurde es endgültig aufgelöst. Es war nach dem Kartäuserkloster in Säckingen das älteste auf alemannischem Boden. Bis 1798 war der Abt von St. Gallen Reichsfürst mit Sitz und Stimme im Reichstag des Heiligen Römischen Reiches, daher die offizielle Bezeichnung ‹Fürstabtei›. Der Stiftsbezirk mit der barocken Stiftskirche und der prächtigen, ebenfalls barocken Stiftsbibliothek lohnen gleichermassen einen Besuch.

Stiftsbibliothek Sankt Gallen

 

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