StartseiteMagazinKolumnenEWR-Abstimmung: 25 Jahre danach

EWR-Abstimmung: 25 Jahre danach

Und wie wäre es, wenn der Faden zur EU über den EWR wieder aufgenommen würde?

Die Schweiz steht blendend da. Die Wachstumskurven der Wirtschaft zeigen nach oben. Europa scheint sich aus dem Tal der Tränen langsam herauszuwinden. Der französische Präsident Emmanuel Macron will den alten Kontinent, die EU zu neuen Ufern führen, skizziert ein von Grund auf erneuertes Staatengebilde mit einem gemeinsamen Finanzminister, einer europäischen Verteidigungsallianz, einer länderübergreifenden Sicherheitspolitik, die den umfassenden, auch geheimen Informationsaustausch garantiert und sich so dem Terror entgegenstellt. Die USA, die sich unter Präsident Trump zusehends von ihrer Rolle als Weltmacht Nummer Eins verabschiedet und das Feld der Dominanz Chinas überlässt, zwingen Europa geradezu zur Erneuerung, auch in der Sicherheitspolitik zu mehr Eigenständigkeit.

Und in der Schweiz kommt ein Thema wieder verstärkt auf die Agenda der Politik: das Verhältnis zu Europa. Christoph Blocher, der nach wie vor die Politik als Parteistratege der SVP bestimmt, will das Schweizer- vor das Völkerrecht stellen. Ihm ist das Freizügigkeitsabkommen mit der EU ein Dorn im Auge; er will es kündigen. Die sich aus diesem Schritt ergebenden Konsequenzen soll die Schweiz in Kauf nehmen. Wohl oder übel. Der Wirtschaftshistoriker Hansjörg Siegenthaler vermutet: „Christoph Blocher will die Schweiz zu einem „Alpen-Emirat mit ein paar hundert Global Playern machen“. Christoph Blocher wehrt sich in einem „Zeit»-Interview gegen diese Vermutung. Es seien ja die kleinen Unternehmen, die die Schweiz ausmachten, nicht die grossen. Für Siegenthaler sind es eben gerade die Kleinen, die von einer stärkeren Anbindung an die EU profitieren würden. Und siehe da: Christoph Blocher kann das nicht ganz in Abrede stellen.

Und plötzlich kommt jetzt, just zum Jubiläum, der Gedanke auf, warum nicht wieder den Beitritt zum EWR, zum Europäischen Wirtschaftsraum erwägen? Diesmal aber nicht als „Vorbahnhof zur EU“, auch nicht „als Trainingslager zur EU“, wie das damals der SVP-Bundesrat Adolf Ogi bezeichnete, sondern als Integrationslösung. Eine Lösung, die Norwegen und Liechtenstein bereits vor 25 Jahren erwogen und vollzogen haben und damit bestens fahren. Und die Diskussionen um einen EU-Beitritt sind in diesen Ländern schon längst vom Tisch. Der EWR sichert die wirtschaftliche Entwicklung zur Genüge.

Ja, es waren hektische, aber auch spannende Tage, damals vor 25 Jahren, wie ich dies vor 5 Jahren beschrieben habe. Es gab in unserer Redaktion „Gespräche, Reportagen, Abstimmungssendungen“ am Schweizer Fernsehen nach den Sommerferien nur ein Thema: Soll die Schweiz dem Europäischen Wirtschaftsraum EWR beitreten, wie dies Liechtenstein bereits beschlossen hatte, oder sollte sie weiterhin im Alleingang in die Zukunft schreiten?

Eines hatten wir bei den Vorbereitungen unterschätzt: die Emotionen, welche die Frage, Europa Ja oder Nein, und wie viel Europa, zu wecken vermochte. Für den grossen Bundesratsauftritt hatten wir das Bundesbriefarchiv in Schwyz auserkoren. Die Bundesräte Arnold Koller und Adolf Ogi sollten in der Innerschweiz ihr Ja zum EWR vertreten.

Auf was für einen Hexenkessel trafen wir in Schwyz. Eine Hundertschar von Treichlern und Geisselklöpfern hatte sich vor dem Gebäude versammelt, entfachte ein riesiges Spektakel, verlangte Einlass in den zur Sendung vorbereiteten Saal. Die Ordnungskräfte, die wir, doch etwas ahnend, bereitgestellt hatten, vermochten die Schar im Zaun zu halten. Einige Exponenten hatten aber Einlass, weil wir ja auch eine breite Zuschauerschaft geladen hatten.

Kaum lief die Sendung, ergriff ein bärtiger, gewichtiger, mit Sennenkutte bekleideter Urschwyzer eigenmächtig das Wort. Mit donnernder Stimme beschimpfte er die Bundesräte als Verräter der Schweiz, sie missachteten die Neutralität, die Unabhängigkeit, die stolze Geschichte der Alten Eidgenossen. Er liess sich nicht beruhigen. Es blieb uns nichts anderes übrig, als mit Polizeikräften den Mann aus der Zuschauerschaft herauszuholen und aus dem Saal zu spedieren. Es entstand ein kurzes Gerangel, der Mann wehrte sich, doch der Polizeigriff war zu zwingend. Die Szene im Saal beruhigte sich, die Sendung konnte engagiert weiter und zu Ende geführt werden. Wir waren gewarnt.

Und mit grosser Spannung verbrachte ich den 6. Dezember 1992 im Abstimmungsstudio. Schon die ersten Resultate aus den kleinen Kantonen liessen erahnen, dass es höchst spannend werden würde. „Können die grossen Kantone die erste Nein-Welle aus der Innerschweiz auffangen, können die welschen Kantone die ablehnende Ostschweiz aufwiegen?“, fragte ich Claude Longchamp, schon damals mit Fliege im Studio.

Ein Bild bleibt mir unvergesslich. Als klar wurde, dass das Schweizer Volk mit 50.3 Prozent Nein-Stimmen und dem Ständemehr den Beitritt zum EWR bachab schickte, sah ich über einen Monitor im Studio, wie bei den welschen Kollegen in Genf völlige Konsternation herrschte, wie die welschen, so eloquenten Moderatoren die Sprache verloren, wie die Gäste sich an den Kopf griffen, wie Tränen flossen, Grabesstille herrschte, bis sich der Hauptmoderator wieder gefangen hatte.

In Zürich ging es weniger emotional zu und her, sieht man davon ab, dass Christoph Blocher triumphierte, in der Parteipräsidentenrunde die Kontrahenten, auf der einen Seite SP, FDP und CVP und auf der andren Seite die Siegerpartei SVP, noch einmal aneinander gerieten.

An der Arena vor einer Woche standen sich die alten Kämpen Christoph Blocher und Franz Steinegger wieder einmal gegenüber, sie argumentierten wie vor 25 Jahren. Daniel Jositsch (52), SP-Ständerat, damals Geschäftsführer der Schweizer Handelskammer in Kolumbien, und Elisabeth Schneider-Schneiter (53), CVP-Nationalrätin, damals Studentin, also noch unbeteiligt am direkten Politgeschehen, dagegen argumentierten zwar ebenfalls engagiert, doch weit entspannter. Überhaupt: Heute scheint mir, dass die Europa-Frage weit nüchterner betrachtet wird. Die beiden wollen die Vor- und Nachteile weit sachlicher gegeneinander abwägen. Jositsch will, dass das Schweizer Volk über das Freizügigkeitsabkommen abstimmt, will damit den Weg aus der Sackgasse freimachen. Vom „Vorbahnhof zur EU“ ist nicht mehr die Rede. Das Beitrittsgesuch des Bundesrates ist sistiert, gegenstandslos. Der Weg zu einem erneuerten EWR-Beitritt wäre frei. 25 Jahre danach. Norwegen und Liechtenstein lassen grüssen. Und nach dem Brexit wohl auch die Briten. Auch für sie wäre der EWR eine Alternative.

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