StartseiteMagazinKulturGottfried Honegger radikal und versöhnlich

Gottfried Honegger radikal und versöhnlich

Gespräche über Kreativität und Politik sowie Nachdenken über das Leben und das Sterben

Zum 100. Geburtstag des Künstlers Gottfried Honegger (12.6.1917 – 17.1.2016) ist im Limmat-Verlag eine Biographie in Gesprächsform erschienen: In Paris lernte Autor Ruedi Christen, damals Frankreich-Korrespondent des Schweizer Fernsehens, 1993 den Schweizer Plastiker und Maler kennen. Nun legt er ein Interview vor, destilliert aus zwanzig Stunden Aufzeichnungen.

Gottfried Honegger ist im Jahr der russischen Revolution geboren, was ihn mit Stolz erfüllte. Drei Heimaten kannte er: Seine Kindheit bei den Grosseltern im Unterengadin vermittelte ihm das Gefühl für das Licht in der Malerei, Ausbildung und Beruf als Schaufensterdekorateur brachten ihn nach Zürich, wo er politisiert und „Sozialist“ wurde. Seine dritte Heimat, die Wahlheimat des Künstlers Honegger, war dann Paris: Hier erreichte er mit einer Retrospektive 2015 im Centre Pompidou den Zenith seiner Laufbahn.

Einblick in die grosse Ausstellung Gottfried Honegger im Centre Pompidou 2015

Es gibt viel Literatur über den konstruktiv-konkreten Künstler Honegger, zudem hat er sich regelmässig selbst geäussert. Warum dann noch ein Buch, und warum eins mit Interviews, die vor zwei Jahrzehnten geführt wurden? Weil hier verpackt in einen grauen Leinenband mit blauer Prägung und gelbem Lesebändchen eine berührende Hommage an einen Menschen, der Kunst und Politik als Beitrag zu einem besseren Leben sah, vorliegt. Honeggers Geschichten von sich und anderen, seine Ideen und Visionen bringen die Zeiten und Zeitgenossen greifbar näher: die Erfolge als Ausstellungsmacher schon bei der Landi 1939, das Leben eines Stars der Grafiker-Szene, den abrupten Bruch und den Weg zur Kunst und zur Abstraktion.

Als Ruedi Christen erstmals im Pariser Atelier auftauchte, war Gottfried Honegger ein bekannter Künstler, das Atelier gerade leergeräumt für ein Fest zum Abschied von Jack Lang als Kulturminister; so dass erste Fragen gesetzt waren: „Wie kommt ein Schweizer Künstler dazu, einem französischen Minister den Abgang auf diese Weise zu versüssen? Zumal ausgerechnet einer, der nicht gerade als obrigkeitshörig galt.“

 

 

File:Volume 18, 1967-1968, Gottfried Honegger. Foto: Micha L. Rieser

Wir erfahren es im Lauf der acht Kapitel mit den Überschrift-Zitaten: „Von der ‚Landi‘ bis nach dem Krieg war ich ein denkender Beobachter.“ Oder:„In Frankreich ist die Kreativität besser aufgehoben als in der Schweiz.“ Die Gespräche führten Christen und Honegger ausser in Paris auch in Südfrankreich oder in Zürich, wo er mehr als eine tiefe Enttäuschung erlebte – beispielsweise die Bespitzelung durch den Staatsschutz oder die Ablehnung der mit Partnerin Sybil Albers zusammengetragenen Kunstsammlung, die nun im Espace de l’art concret in Mouans-Sartoux nahe bei Cannes gezeigt wird.

Metalllbalken 1971 am Schulhaus Buchholz in Zollikon. Foto Adrian Michael

Ruedi Christen fragt sachbezogen und präzis, notfalls fragt er nach, will es genauer wissen, weist seinen illustren Gesprächspartner auch mal zurecht, wenn der behauptet, es sei in Frankreich „eigentlich“ nicht gern gesehen, „wenn ich interveniere.“ In solchen Dialogen liegt die Spannung dieser Gespräche. Alle möglichen Themen werden gestreift, auch Honeggers Kritik am Kunstmarkt. Zwar war es für ihn eine Genugtuung, dass er von seinem Schaffen sehr gut lebte, aber er fand sich nicht damit ab, dass seine Werke von einfachen Menschen niemals gekauft werden konnten, während Bücher erschwinglich waren: „Meine Arbeiten werden von Leuten gekauft, die Besitzende sind und die ich anklage, weil sie diesen Besitz nicht sozial verwenden.“ Hier ist sein Engagement für das Heranführen von Kindern an die Kunst verankert: „Wir lernen gehen, wir lernen rechnen, wir lernen schreiben, wir lernen Noten lesen. Aber wir lernen nicht zu sehen. Das ist auch der Grund, wieso so viele Menschen Mühe haben mit moderner Malerei.“

Gelbe Pliage C115 (2001), Skulpturenpark Heidelberg. Foto Creative Commons

So stimmt es für Honegger, wenn seine Werke im öffentlichen Raum stehen, auch in der Stadt Zürich, zu der er bis ins hohe Alter ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Honegger weiss, „dass ein Herr der Zürcher Kunstkommission sich klar und eindeutig gegen den Ankauf meiner Werke für das Kunsthaus ausgesprochen hat. Wenn ausser jenem Bild, das vom Zürcher Kunsthaus auf Veranlassung von Stadtpräsident Wagner zu meinem siebzigsten Geburtstag gekauft wurde, kein einziges Bild von mir in einem Schweizer Museum hängt, ist das eine Spätfolge meiner damaligen Freundschaft mit Konrad Farner.“

Farner war mit einer gezielten und brutalen Hetzkampagne fertiggemacht worden. Er verantwortete den Inhalt der Helmhaus-Ausstellung „Der Weg der Schweiz 1748-1848-1948“ , welche Honegger gestaltet hatte. Die Hexenjagd begann mit Ernst Bieris Polemik zur Ausstellung am 19. Februar 1948 in der NZZ, als er schrieb, sie „lässt keinen Zweifel mehr übrig, dass hier die robuste Hand eines konsequenten Marxisten am Werk gewesen ist.“ Farner wurde, als die Verfolgung zunahm, von Honeggers an der Kirchgasse aufgenommen, so ergab sich „zwangsläufig ein kontinuierliches Gespräch über Fragen des Kommunismus“. Farner, der hochintellektuelle Theologe und Kunsthistoriker, habe ihn auch zur Literatur gebracht: Lesen „im Sinn von Aufklärung“ wurde zum politischen Akt, und daraus nahm er für sich die Formel: „Erneuern und versöhnen“ mit, also das dialektische Denken, „das sich vom Dualismus des Bürgertums eindeutig abgrenzt.“

Installation Culurs für 25 Jahre Salecina im Oberengadin. Foto Adrian Michael

Sein bester Freund war der Schriftsteller Max Frisch. Honegger: „Für mich bedeutet Freundschaft, dass man sich geistig nackt gegenüberstehen kann. Ohne in Gefahr zu kommen, missbraucht oder verletzt oder falsch verstanden zu werden.» Dass er Frisch die Wohnung besorgte, als dieser aus Rom zurückkam, dass er die Stadt beraten hat, wie sie den Dichter zum 75. ehren könne, ohne ihn zu verletzen, auch das ist in diesem persönlichen Buch zu lesen.

Während Honegger in Frankreich mit Präsidenten, Kulturministern und Honoratioren Umgang pflegte, kämpfte er zuhause an der Seite Unterdrückter. Schockiert von der brutalen Polizeigewalt während der Studentenunruhen 1968 lancierte er gemeinsam mit dem Anwalt Franz Schumacher und anderen Intellektuellen das Zürcher Manifest. Trotz aller politischen Anfeindungen sei es ihm jedoch besser ergangen als den vier Kreativen auf den Banknoten (die nun zurückgezogen werden), Sophie Taeuber-Arp, Alberto Giacometti, Le Corbusier und dem Komponisten Arthur Honegger, die zu Lebzeiten in Zürich keine Chance gehabt hätten, räumt Gottfried Honegger ein.

Wie der erfolgreiche Grafiker und Ausstellungsmacher Honegger den Weg in die Abstraktion fand, wer ihm Vorbild war, wie er seine Kreativität umsetzte, auch das wird dargelegt, ausführlich, aber nie langfädig. Und vor allem lesbar für Menschen, die sich mit der Terminologie der Kunstwelt schwer tun. Honegger war nie ein „reinrassiger“ Zürcher Konkreter, für ihn sei „die sinnliche Arbeit eigentlich wichtiger als die intellektuelle,“ sagt er , „der Zufall ist für mich die kreative Masse im Leben.“ Als er um 80 herum beschloss, den Pinsel wegzulegen, sei er „unausstehlich“ geworden. Er begann, wenigstens eine Stunde am Tag zu zeichnen, eine Art Tagebuch, was zu neuer Inspiration führte: „Ein schönes Gefühl im Alter, wenn man meint, man müsse alles erst noch machen.“

Ruedi Christen: Gottfried Honegger. Eine Biographie in Gesprächen. 240 Seiten, Leinen bedruckt. Limmat-Verlag Zürich 2017. 42 Franken.
ISBN: 978-3-85791-843-8

Teasebild: Gottfried Honegger. Videostill von Claude Guibert. Wikimedia Commons

Hier finden Sie mehr zu Gottfried Honegger

 

 

 

 

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