StartseiteMagazinKulturHänsel und Gretel im Graffiti-Land

Hänsel und Gretel im Graffiti-Land

Auf dem Sechseläutenplatz wird gerade der Weihnachtsmarkt aufgebaut und drinnen im Musiktempel gleissen die Bäume, als ob es Kitsch-Rekorde zu brechen gälte: Es ist „Hänsel und Gretel“-Zeit.

Am 23. Dezember vor 125 Jahren hob kein Geringerer als Richard Strauss den Taktstock zur Uraufführung von Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ in Weimar. Seither ist sie die Weihnachtsoper schlechthin. Und die Zürcher Kinder (und solche, die es noch so gerne nochmals wären) können sich bis in die Osterwoche hinein freuen, denn so lange dürfen sie vor aufgereihten Weihnachtsboutiquen dem zu Tränen rührenden Lied „Abends, will ich schlafen gehn, vierzehn Englein um mich stehn“ lauschen.

Strauss, der das vertonte Märchen etwas überschwänglich als „Meisterwerk erster Güte“ bezeichnete und nur gerade den „etwas dick“ und überladen geratenen Orchesterapparat zu entschlacken sich anerbot, wusste ja schon in frühen Jahren, wie man mit Speck Mäuse fängt. Und der Siegeszug der Armenhäusler-Geschichte sollte ihm recht geben. Die Frage ist natürlich berechtigt, ob der Erfolg nicht in erster Linie den Gebrüdern Grimm zu verdanken sei. Einerlei, Humperdinck hat es verstanden, sich nach dem Tod seines Übervaters Richard Wagner einer Klangsprache anzuvertrauen, die alles enthält, was das Herz bewegt: mit Hänsel und Gretel in erster Linie ein Gesangspaar im Sopran- und im Mezzo-Bereich, das herzerwärmende Duette mit magischen Momenten auszuströmen weiss. Dazu die Eltern Peter und Gertrud, die ihrerseits die beklemmende Angst vor sozialer Not und die Freudenausbrüche bei der Wiedervereinigung mit romantischer Emphase verkörpern dürfen.

Oper Zürich – Hänsel und Gretel – 2018/19
© T+T/Tanja Dorendorf

Gretel (Olga Kulchynska), Hänsel (Anna Stéphany) und die Hexe (Marina Prudenskaya) in der Stunde der Wahrheit / Fotos © T+T/Tanja Dorendorf

Wie Carsen die Weihnachtsmänner Zürich erobern lässt

Der gewiegte kanadische Regisseur Robert Carsen, der in den letzten Jahren in Zürich bereits die „Lucia di Lammermoor“, „Tosca“, „Semele“ und „Pique Dame“ szenisch verantwortete, weiss sich schon zu helfen, wenn es gilt, dem Mainstream ein Schnippchen zu schlagen. So überlässt er die Waldesidylle dem Kuckucksruf, umgibt die hungernde Familie mit Graffiti-Mauern (Bühnenbild und Kostüme: Gideon Davey) und lässt sie in einem abgerackerten Wohnwagen, umgeben von lauter Müll, hausen. Wo die Beeren her sein sollen, welche die vertriebenen Geschwister suchen müssten, kümmert ihn wenig.

Der eingeblendete Text stammt eh aus einer Zeit, als ein Wald nichts war als ein Wald und die Kinder nicht bereits Flausen im Kopf hatten, ihre wiedergewonnene Lebensfreude mit Tanz-Moves kundzutun. Aber was heisst da «Moves»? Carsen holte die besten Breakdance-Akrobaten von der Strasse und liess sie zu romantischer Wellnessmusik die ausgeklügeltsten Kunststücke zelebrieren und die Kinder fürsorglich betreuen (Choreographie: Philippe Giraudeau). Ob das geht? Und wie das geht! Eine Art Heilsarmee für die Obdachlosen, bravourös gemacht.

Und wenn ein Regiebuch schon gegen den Strich bürsten, dann konsequent. Die Mutter luchst einem Freier für erhaltene Liebesdienste gerade ein paar Scheine ab, bevor sie ihre Kinder zusammenstaucht und in den Wald schickt. Und der Vater ist schon zu Beginn nichts als ein betrunkener Santa Claus, der als Besenbinder endlich mal erfolgreich war. Doch auch die Hexe entpuppt sich im zweiten Teil mit klebrig-süssen Versprechen als Weihnachtsmann und landet dann postwendend als geifernde Kannibalin im Feuerofen. Statt Knusperhäuschen mit Menschenkäfig reihen sich zwei Dutzend Christbäume, geklont bis in die letzten Kugeln, auf der Bühne – überragt dann noch vom Baum aller Bäume, dem Prunkstück der Hexe, dem nach ihrem Feuertod auch der Schnauf ausgeht. Moralinsauer ist Carsens Sache nicht. Aber wer seine Handschrift etwas zu lesen weiss, kann Kritik an einem sinnentleerten Weihnachtsrummel nicht übersehen, wo dann sogar die Geschenkpapiere zur Müllhalle werden.

Freudiges Wiedersehen von Hänsel und Gretel mit den Eltern und den geretteten Kindern

Der deutsche Dirigent Markus Poschner weiss um die Gefahren, diese auch zur Schwülstigkeit neigende Musik sich selbst zu überlassen und in Opulenz zu versinken. Er legt die Binnenstrukturen, vor allem vor der Pause, behutsam frei und entflechtet und akzentuiert die Register mit filigraner Gestik, um dann im zweiten Teil die Zügel halt doch allzu oft schleifen zu lassen. Aber das Resultat ist mit der Bühne durchaus stimmig, denn er darf sich auf hoch musikalische Leistungsträger verlassen. Allen voran Olga Kulchynska als Gretel und Anna Stéphany als Hänsel, welche den innewohnenden romantischen Schmelz in Weichzeichnungen wunderbar fliessen lassen. Marina Prudenskaya überzeugt in ihrer anspruchsvollen Doppelrolle als Gertrud und Knusperhexe etwas weniger, hat ihre Stimme doch zu wenig Potenzial, in allen Facetten zu genügen. Markus Brück hingegen, eben erst als Macbeth gefeiert, gibt dem Besenbinder die kernige und füllige Statur, ohne je zur Karikatur eines Säufers zu werden. Er wird zur grossen Vaterfigur, wenn er mit allen entzauberten Kindern (Chorleitung: Janko Kastelic) zum Schluss in den aufleuchtenden Zuschauerraum singt: „Wenn die Not aufs höchste steigt, Gott, der Herr, die Hand uns reicht!“ Die Kinderherzen leuchten. Was will man mehr.

Weitere Vorstellungen: November 22, 25, Dezember 12, 13, 15, 23, 23, 26, 30, Januar 18, 20, 27, Februar 17, März 24, April 20, 22, 25

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