Ich lebe!

Satirische Gedankensplitter: Es darf geschmunzelt werden!

Früher, als ich voll im Arbeitsleben stand, war alles ganz einfach. Täglich kam ich zur Arbeit – oft selbst am Wochenende – und mein Arbeitgeber sah, dass ich auch nach meinen Ferien regelmässig wieder auftauchte, möglicherweise zum Leidwesen meiner Mitarbeiter, die sich vielleicht gewünscht hätten, der «Alte» möchte doch noch ein paar Wochen wegbleiben, anstatt schon wieder herumzumotzen. Jedenfalls war unbestritten, dass es mich gab, und ich erhielt klag- und diskussionslos regelmässig mein Gehalt.

Jetzt ist das alles viel, viel komplizierter geworden. Nun, im Ruhestand, erhalte ich zwar ebenfalls regelmässig meine Rente, aber meine Pensionskasse sieht mich nicht mehr. Inzwischen in einen andern Kanton ausgelagert, sind sich die Verwaltungsmenschen nicht mehr so ganz sicher, ob es mich (noch) gibt.

Jedenfalls bekam ich unlängst vom Management meiner Personalvorsorgestiftung einen Brief, der mir tatsächlich meine noch wenigen Haare zu Berge stehen liess. Unter dem Titel «Lebensnachweis für Bezüger einer Altersrente» liess man mich wissen, dass man gemäss den reglementarischen Bestimmungen Artikel soundso verpflichtet sei, «Kontrollen über die Bezugsberechtigung unserer Renten durchzuführen». Ich solle doch – bitte sehr – das beiliegende Formular «Lebensbescheinigung» ausfüllen und durch die örtliche Einwohnerkontrolle unterzeichnen lassen.

Nach dem ersten Schock ob der makabren Post (die Lebensbescheinigung ist schliesslich das Pendent zum allgemein bekannten Totenschein…) kam ich ins Grübeln. Natürlich, dachte ich, muss alles seine Richtigkeit haben. Fehlte ja noch, dass in unserer so korrekten Schweiz Zustände wie in gewissen Ländern (ich nenne sie nicht!) Einzug halten sollten, wo Dutzende von weit über Hundertjährigen auf dem Papier noch existieren und sich eine Rente auszahlen lassen, oder wo Legionen von Blinden sich Behindertengeld überweisen lassen, daneben aber einen Führerausweis fürs Auto besitzen… Nein, das darf nicht sein, auch wenn ich mir vorstellen könnte, dass ein Telefonanruf bei meinem einstigen Arbeitgeber oder halt direkt bei mir eigentlich auch genügen sollte, meine Existenz zu beweisen.

Wie auch immer. Ich machte mich folgsam auf den Weg zur Gemeindeverwaltung, mit leicht mulmigem Gefühl und hoffend, dass meine Expedition den gewünschten positiven Nachweis erbringen würde. Dank Computer stand schnell fest, dass es mich gibt. Im Unterschied zur misstrauischen Pensionskasse (die gibt mir Geld) ist die Steuerverwaltung meines Wohnorts (die nimmt mir Geld) an meinem Dasein durchaus interessiert.

Als ich vor das imposante Gebäude ins Freie trat, atmete ich tief durch und hätte am liebsten laut in den Wind geschrien: «Juhui, ich lebe!» Ich hatte es schwarz auf weiss, und während ich die nigelnagel neue Bescheinigung in ein Couvert steckte, um dieses subito an das ferne Pensionskassen-Management zu schicken, zuckte mir plötzlich ein Gedanken durch den Kopf: Hoffentlich ist meine Personalvorsorgestiftung auch in der Lage, ihren eigenen Lebensnachweis zu erbringen – mindestens bis zum Datum meines Totenscheins. Das ist nämlich nicht selbstverständlich – schliesslich hört man ja so einiges aus dieser Branche…

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