StartseiteMagazinKolumnenJamaica in Deutschland?

Jamaica in Deutschland?

Und in der Schweiz: regieren ohne Koalitionsvertrag!

Wieder einmal können wir uns glücklich schätzen, wieder einmal wird uns vor Augen geführt, was es bedeutet, ein intaktes, ein gut funktionierendes politisches System zu haben. In Deutschland versuchen zurzeit vier Parteien – von rechts bis linksgrün – das schier Unmögliche: Eine Regierungskoalition zu basteln, in der alle vier Parteien während vier Jahren gemeinsam an einem Strick ziehen sollten. Stellen wir uns einmal vor: Die Schweiz hätte am 24. September 2017 das Parlament, den National- und den Ständerat, neu gewählt. Und immer noch würden die vier bisherigen Bundesrats-Parteien in diesen Tagen den Versuch unternehmen, in sogenannten Sondierungsgesprächen herauszukristallisieren, was sie dann in weiteren Wochen in einem Koalitionsvertrag festschreiben wollten. Die SVP müsste von ihrer restriktiven Ausländerpolitik Abstand nehmen, die FPD dem Rentenreform-Paket nun doch noch vorbehaltlos zustimmen, die CVP die Förderung der Familie in Frage stellen, die SP auf ihre Wünsche verzichten, die AHV auszubauen. Seit Jahren gibt es immer wieder den Versuch, den Bundesrat auf ein Regierungsprogramm zu verpflichten, mehr als Regierungsrichtlinien und/oder eine Legislatur- und Finanzplanung sind dabei nie herausgekommen. Wie denn auch in dieser Konstellation?

Klar: Nach den Wahlen wird jeweils in der Wintersession der Bundesrat gewählt, meistens einfach wiedergewählt. Seit 1959 ist es eine Vierer-Koalition, die sogenannte Zauberformel aus FDP, CVP, SVP und SP. Nur eine kleine Verschiebung gab es in den letzten sage und schreibe 68 Jahren. Die CVP musste 2003 einen Sitz der SVP abtreten. Es konnte nicht mehr angehen, dass die wählerstärkste Partei, die SVP, nicht angemessen in der Landesregierung vertreten war und ist. Selbst dieser Übergang war eine Zangengeburt, begleitet von einem Auf und Ab. Am 10. Dezember 2003 schlug Christoph Blocher, der bestimmende Leader der SVP, Ruth Metzler, die bisherige Justizministerin der CVP. Im Jahre 2007 war es dann Christoph Blocher, dem das gleiche Schicksal widerfuhr; er wurde mit Getöse abgewählt. Im zweiten Wahlgang der Gesamterneuerungswahlen 2007 unterlag er seiner damaligen SVP-Parteikollegin Eveline Widmer-Schlumpf. Dies war erst das vierte Mal in der Geschichte der Schweiz seit 1848, dass ein Bundesrat vom Parlament nicht wiedergewählt wurde. Welche Kontinuität. Welche Stabilität.

Trotz all dem Getöse in unserem Nachbarland um die Regierungsbildung, Deutschland wird schweizerischer. Erstmals kann es zu einer Viererkoalition kommen. Die Voraussetzungen sind an sich gegeben. Deutschland ist sehr erfolgreich. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt stetig, sie nähert sich schweizerischen Zahlen an. Der Staatshaushalt schreibt erstmals seit Jahrzehnten schwarze Zahlen. Die internationale Bedeutung des Landes wächst. Das Land hat durch seine Flüchtlingspolitik an Ansehen gewonnen, wirkt dabei wie ein Magnet auf viele Menschen in der Welt, die in Deutschland Schutz und Auskommen suchen. Weltbekannte Künstler, wie der Chinese Al Wei Wei lassen sich in Berlin nieder, weil sie sich – im Gegensatz zu ihren Heimatländern – frei bewegen, politisch aktiv sein können.

Die vier Parteien CDU/CSU, FDP und die Grünen könnten sich darauf einigen, in die Zukunft aufzubrechen. Sie könnten das Land in die digitale Weltwirtschaft ein- und eine Energiewende herbeiführen. Sie könnten neue Mobilitätskonzepte erarbeiten, weg vom Verbrennungsmotor hin zu neuen Systemen der Mobilität, sowohl im privaten wie im öffentlichen Verkehr. Es bräuchte ein weit einfacheres Steuersystem, das die Einnahmen sichern und die Schlupflöcher beseitigen würde. Und vor allem: Sie müssten das schon jetzt gute Bildungssystem erneuern, den Zukunftsansprüchen anpassen und weit mehr in die Bildung investieren. Deutschland kann es sich leisten. Durch die sehr gute Wirtschaftslage sprudeln die Steuereinnahmen über das Mass. Stattdessen verkrallen sich die Koalitionäre in Einzelfragen, streiten über den Familiennachzug, den Solidaritätszuschlag, lassen sich zu gegenseitigen Beschimpfungen hinreissen und vergiften das Gesprächsklima. Und Angela Merkel schaut noch gelassen zu. Sie weiss, es gibt in der CDU keine Alternative zu ihr, noch.

Und wir können tagtäglich via Bildschirm verfolgen, ob sie nun kommt oder doch nicht: die Jamaica-Koalition. Oder kommt es gar zu Neuwahlen? Mit einer erstarkten SPD, einer noch stärkeren Alternative für Deutschland, der AfD. Was die vier „Jamaica-Parteien“ wie der Teufel das Weihwasser fürchten.

Da loben wir unser System. Im Sommer ist es uns vorgeführt worden: So wird ein Bundesrat gewählt. Die Medien überschlugen sich mit Spekulationen, werweissten, wer nun wird und wer sicher nicht. Gewählt wurde der Mann der ersten Stunde. Die Druckerschwärze, die unzähligen TV- und Radio-Beiträge lösten sich letztlich in Luft auf. Ignazio Cassis ist nun seit dem 1. November im Amt. Still und leise fügt er sich ein ins festgezurrte Gefüge der Landesregierung. Selbst den so selbstbewusst angekündigten Druck auf den Resort-Knopf (zurück zum Anfang in der Europa-Politik) hat er nicht ausgeführt. Zuerst muss er ankommen im Bundesrat. Dafür sorgen die zwei Frauen und die vier anderen Männer in der Landesregierung aus den vier Parteien, auch ohne Koalitionsvertrag.

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