StartseiteMagazinKulturJung oder alt – ein Vexierspiel

Jung oder alt – ein Vexierspiel

Von einem jungen Mann, dessen Körper aufgrund einer seltenen Erbkrankheit schon greisenhaft geworden ist, erzählt der koreanische Roman «Mein pochendes Leben».

Das Titelbild führt in die Irre. Dieses Buch handelt nicht von einem Jugendlichen, der übermütig ins Wasser springt. Der sechzehnjährige Arum leidet nämlich an der seltenen Krankheit Progerie, dem rasant fortschreitenden Altern. Somit ist er seinen Erfahrungen entsprechend ein junger Mann, sein Körper jedoch ist der eines Greises. Diesen Kontrast hat die koreanische Autorin Ae-ran Kim klug konstruiert, sie erzeugt eine Spannung, was dem altjungen Arum noch widerfahren mag, und verbindet existenzielle Fragen um Leben und Tod mit dem Hang eines Jugendlichen zu Eigensinn und dem Wunsch, die Erwachsenen zu durchschauen.

Foto:  ©  Dahuim Paik

Ae-ran Kim sorgte schon mit ihren ersten Veröffentlichungen in Korea für Aufsehen. Sie erhielt trotz ihres jugendlichen Alters – sie ist 1980 geboren – schon verschiedene Auszeichnungen und wurde für das vorliegende Buch in ihrer Heimat als Star der Literatur gelobt. Durchaus verdient, scheint mir, sie geht sehr souverän mit dem selbst erdachten Stoff um. Da hier nichts auf einem möglichen realen Fall fusst, kann sich die Autorin erlauben, Personen und Handlung so zu gestalten, wie es ihren Absichten entspricht.

Krankheitsbedingt hat Arum fast keine Freunde; wie in einem Kammerspiel beschränkt sich Ae-ran Kim auf wenige handelnde Personen. Der Tod von Arum steht hinter jeder Szene dieser Erzählung, dem Jungen drängen sich jedoch andere Fragen auf: Wie sind seine Eltern erwachsen geworden – durch ihn? Sein Vater Daesu und seine Mutter Mira waren nämlich selbst noch Teenager, als sie sich ineinander verliebten und ihren einzigen Sohn bekamen. Und zwar mussten beide ihre Schulen abbrechen, Daesu hatte im Zorn seinen Sportlehrer beleidigt und wurde deshalb von der Sportoberschule verwiesen. Das führte dazu, dass er herumsass und Mira kennenlernte, die sich angezogen fühlte von dem rebellischen Daesu. Als sie schwanger wurde, wurde auch ihr der weitere Schulbesuch verboten.

Wie ein Spiegel im Spiegel erzählt Arum, wie sich seine Eltern, als sie Arums jetziges Alter hatten, ohne klare Vorstellungen in ihre neue Rolle eingewöhnen mussten. Witzig, wie Arum seine Eltern beobachten und über sich selbst als Baby sprechen kann, er erinnert sich beispielsweise, wie er den Herzschlag seiner Mutter während der Schwangerschaft wahrnahm und den Freundinnen seiner Mutter zuhörte, wie sie sich über die noch unbekannten Schmerzen bei der Geburt unterhielten. Es stört keineswegs, dass der Junge Dinge weiss, die er logischerweise gar nicht wissen konnte. Arum kann seine Geschichte über alle Grenzen hinaus überblicken, auch über seinen eigenen Tod hinaus.

Dass der Junge zuweilen lausbubenhaft oder launisch wie ein Teenager reagiert, gehört zur Strategie der Autorin, innerhalb des menschlichen Masses zu bleiben, Leichtes und Schweres, Witziges und Trauriges nebeneinanderzustellen. Während Arum in vielen Situationen «erwachsen» handelt, gerät er in einer aussergewöhnlichen Situation aus der Fassung: Er erhält eine E-Mail – in seinen Augen von einem ungefähr gleichaltrigen Mädchen – und es beginnt eine vorsichtige Annäherung auf elektronischem Weg. Dies, nachdem Arum in einer Fernsehserie portraitiert worden war, wo Geld für ihn gesammelt werden sollte, damit sich die Familie die immer teureren Krankenhausaufenthalte leisten konnte. Das abrupte Ende dieses zarten Handlungsstrangs sei hier nicht verraten, es leitet über zum Tod des jungen Mannes.

Der Titel dieser Fernsehsendung «Den Menschen ein Herz schenken» zeigt, wie raffiniert Ae-ran Kim die Fäden spinnt. Denn das Geld, das die Familie braucht, wäre für Behandlungen an Arums Herz. Nur, dass ihm mit seiner Krankheit eine Herztransplantation – das Geschenk eines neuen Herzens – nicht helfen könnte. Überall im Buch finden sich solche Szenen und Formulierungen, die auf das Geschick der Autorin und das Sprachvermögen des Übersetzers hinweisen. Daneben entdecken wir Verknüpfungen von Tradition und Moderne. Arum beobachtet den Wechsel der Jahreszeiten aufmerksam, denn er fühlt ihn in seinem Körper; aber er kann sich auch für Popsongs und Videospiele begeistern – wie alle Jugendlichen.

Die Geschichte berührt, ohne sentimental zu werden. Der Kunstgriff, alles aus der Perspektive des Jungen zu erzählen, schafft eine gewisse Distanz, manchmal Kühle, manchmal Klarheit. Alles wird sehr nüchtern erzählt. Wer sich auf eine nicht ganz gewöhnliche koreanische Familie einlassen möchte, dem sei das Buch wärmstens empfohlen.

Ae-ran Kim: Mein pochendes Leben.
Aus dem Koreanischen von Sebastian Bring.
Roman. Cass Verlag 2017.  320 Seiten
ISBN 978-3-944751-12-2

 

Dieses Buch ist in der Reihe «Der Andere Literaturclub» erschienen, einem Projekt von artlink, Büro für Kulturkooperation, das mit litprom verbunden ist. Ziel von artlink ist es, Kunstformen, Künstler und Künstlerinnen aus Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa bekannt zu machen sowie die Arbeit der in die Schweiz eingewanderten Kulturschaffenden zu unterstützen. Dies als Ausdruck einer der Welt gegenüber offenen Schweiz, die in der interkulturellen Zusammenarbeit eine Chance wahrnimmt, eurozentristische Haltungen zu relativieren, den Respekt vor anderen Formen, Traditionen und Wertesystemen zu fördern und die Welt auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.

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