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Mit Beharrlichkeit für Frauenrechte

«Wie Marthe Gosteli den Schweizerinnen ihre Geschichte rettete», so lautet der Untertitel der Biografie von Franziska Rogger über diese herausragende Frau.

Das Leben von Marthe Gosteli hätte auch ganz anders verlaufen können. Die hübsche junge Frau, «wild» sei sie gewesen, lesen wir, hätte vielleicht ihrem Wunsch nach sozialem Engagement an der Seite eines Ehemannes ebenfalls nachgehen können. Sie hätte Lehrerin werden können, was ihr sicher behagt hätte, oder Pferdezüchterin. In ihrer Jugend war rund um das Gut der Familie Gosteli genug Platz dafür, und Pferde liebte sie seit ihrer Jugend. Sie hätte reisen können, wenn nicht der Krieg gekommen wäre. Die Umstände und wohl auch ihre Fürsorge und Liebe zu ihren Eltern haben es mit sich gebracht, dass Marthe Gosteli vor allem von Bern aus gewirkt hat.

Im April 2017 ist Marthe Gosteli gestorben – Judith Stamm berichtete auf Seniorweb darüber. Am 22. Dezember 2017 wäre sie 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass hat Franziska Rogger eine sorgfältig recherchierte Biografie vorgelegt, die den Weg dieser Pionierin nachzeichnet und die Schweizer Frauenbewegung ausführlich einbezieht. Im Nachwort schreibt die Autorin, dass sich Marthe Gosteli viel Zeit für Gespräche genommen hat. Daraus können wir schliessen, dass die Portraitierte in ihrer Bescheidenheit damit einverstanden war, dass ihre Lebensgeschichte in die Geschichte der Schweizer Frauen eingebettet wird, denn ihr Lebensweg ist untrennbar damit verbunden.

Das Gut der Gostelis auf dem Hügel nördlich von Bern gehörte der Familie schon seit dem 18. Jahrhundert. Chorrichter, Gerichtsbeisitzer, Unterrichter, Kirchgemeindepräsident und Grossrat, das sind einige der Ämter der männlichen Familienmitglieder. Sie engagierten sich für das Gemeinwohl und wohl auch für Recht und Gerechtigkeit. So können wir uns vorstellen, dass die junge Marthe in einer Atmosphäre aufgewachsen ist, die es ihr erlaubte, sich ihren Fähigkeiten entsprechend zu entfalten. Jedoch von Gleichberechtigung, wie wir sie verstehen, konnte damals keine Rede sein, schreibt Franziska Rogger, auch Marthe musste die ungeliebten Handarbeiten wie Stricken oder Weissnähen üben. Marthes Mutter schon wurde Mitglied im Frauenstimmrechtsverein Bern und Mitbegründerin des Landfrauenverbandes Bern. Sie fand es nämlich ungerecht, dass Frauen über ihr Geld nicht ohne Zustimmung des Ehemannes verfügen durften.

Der Kampf der Frauen ging ‹von der Graswurzel› aus: Die Frauen schlossen sich schon vor Beginn des 20. Jahrhunderts in Frauenvereinen zusammen und zeigten in Ausstellungen, wozu sie fähig waren. Die SAFFA in Bern 1928 beeindruckte die 11-jährige Marthe. Im Anschluss daran wurde die erste Petition für das Frauenstimmrecht lanciert – ein Kampf, der ihr Leben begleiten sollte. Franziska Rogger beschreibt ausführlich mit Zitaten und Bildern, wie die Frauen den Kampf für ihre Rechte führten. Marthe Gosteli engagierte sich darin immer stärker, aber mit massvollen Mitteln. Von den radikalen Frauen, der Frauenbefreiungsbewegung 1968, distanzierte sie sich wie viele andere gemässigte Frauen. Ausführlich lesen wir, wie die Kundgebung unter dem Motto: «Keine Menschenrechtskonvention ohne Frauenrechte» am 1. März 1969 verlief, Marthe Gosteli war auch hier beteiligt. Seit 1965 war sie im Vorstand des Schweiz. Verbandes für Frauenstimmrecht. Nachdem die Volksabstimmung schliesslich 1971 angenommen worden war, kandidierte sie für den Nationalrat, allerdings erfolglos.

Blick in die Bibliothek des Archivs der Gosteli-Stiftung (Foto mp)

In den folgenden Jahren verfolgte sie ihre eigenen Projekte. Sie kaufte in Diessbach bei Büren a.A. eine Reithalle und initiierte dort Reittherapie – damals eine Pioniertat. 1982 gründete sie die Gosteli-Stiftung, nachdem acht Jahre früher ihre Mutter gestorben war. Auch ihre Schwester starb früh, 1984. Marthe Gosteli war nun allein auf dem Gut in Altikofen, was es ihr ermöglichte, die Räume dem Archiv zu widmen.

 

 

 

 

Archiv zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung

«Den vielen vergessenen Frauen ein Gedächtnis zu geben, die Erinnerungen an ihr Tun lebendig zu halten und dies im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, sind Ziele der Stiftung und des Archivs zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung», lesen wir auf der Webseite. «Die Gosteli-Stiftung dient als Aufbewahrungsort für über 400 Bestände von Frauenorganisationen, Frauenverbänden und einzelnen Frauen, die in Politik, Wirtschaft, Bildung, Kultur, Gesellschaft und Familie eine wichtige Rolle gespielt haben.» Interessant auch die Bemerkung unter «Aktuelles»: «Januar 2018:  Mit der Einführung des neuen Eherechts vor 30 Jahren wurde auch das ehemännliche Oberhaupt der Familie und die damit verbundene Vertretungsbefugnis abgeschafft.» – Ist uns Frauen bewusst, dass wir eigentlich erst seitdem unabhängig sind? Marthe Gosteli hat sich ein Leben lang dafür eingesetzt.

«Marthe Gosteli ist auch im hohen Alter dezidiert und konzentriert.
Gern beantwortet sie Fragen zu schweizerischen Frauengeschichte.»
(Franziska Rogger in ihrer Biografie,
S. 193)

Monika Bill, administrative Geschäftsführerin der Stiftung erzählte mir, dass Marthe Gosteli seit Einrichtung des Archivs 1982 im Stöckli gewohnt habe, erst vor gut drei Jahren sei sie ins Haupthaus gezogen. Sie hatte im ersten Stock ein Schlafzimmer und war sonst vorwiegend in den Räumen des Archivs. Bis zum Schluss habe sie rege Anteil genommen und sich interessiert mit vielen Besucherinnen unterhalten. Bis auf die letzte Sitzung habe sie an allen Zusammenkünften des Stiftungsrates teilgenommen.

Das Archiv besuchen im Jahr durchschnittlich 80 – 100 Personen. Es sind Studentinnen, Journalisten, an Frauenthemen interessierte Menschen. Daneben werden zahlreiche Führungen durchgeführt, es kommen Frauengruppen aus vielen Lebensbereichen. Im Archiv der Stiftung arbeiten drei Personen, alle in Teilzeit.

Alle Bücher bzw. Dokumente müssen an Ort gelesen werden, eine Ausleihe gibt es nicht. Die Zahl der Dokumente überwiegt bei weitem. Nur in einem Raum befinden sich die Bücher der Bibliothek. Monika Bill arbeitet seit 2004 im Gosteli-Archiv. Sie erzählte mir, dass sie sich vorher nicht mit Themen der Frauenbewegung oder der Gleichberechtigung auseinandergesetzt habe – seitdem allerdings sehr intensiv. Obwohl das Bäuerliche mit den Jahrzehnten fast vollständig zurückgedrängt worden ist, einerseits durch Wohnüberbauungen, andererseits durch die Autobahn, Strassen und Eisenbahn, ist die Atmosphäre im Haus und seiner Umgebung immer noch sehr friedlich. Auch Pferdekoppeln sind noch zu sehen.

Wohnsitz der Familie Gosteli (1884 erbaut) auf Altikofen oberhalb Worblaufen,
heute Archiv und Sitz der Gosteli-Stiftung (Foto mp)

Angaben zum Buch:
Franziska Rogger, Marthe Gosteli. Wie sie den Schweizerinnen ihre Geschichte rettete.
Stämpfli Verlag 2017; 215 Seiten
ISBN978-3-7272-7903-4

Gosteli-Stiftung
Judith Stamms Nachruf
SAFFA

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