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Nun auch die Schweiz

Die europäische Flüchtlingsdebatte hat es öffentlich gemacht.

Plötzlich erscheint auch die Schweiz auf den Landkarten der europäischen Flüchtlingspolitik. Bei den Regierungschefs- und Ministertreffen der EU, in der Berichterstattung über dieses hektische Konferieren und insbesondere in der täglichen Berichterstattung über den erbitterten, gar grässlichen Streit zwischen den deutschen Schwesterparteien CDU und CSU ist bis jetzt die Schweiz immer ein weisser Fleck mitten in Europa geblieben. Wenn es darum ging aufzuzeigen, wie bereits registrierte Flüchtlinge von Deutschland zurück in die Ankommensländer zurückzuweisen wären, wiesen die auf Europakarten eingezeichneten Pfeile immer an der Schweiz vorbei, über Österreich nach Italien, nach Griechenland.

Nun werden künftig die Pfeile auch in die Schweiz zeigen. Andreas Jung, ein CDU-Bundestagsabgeordneter aus unserer Nachbarschaft in Baden-Württemberg, hat dafür gesorgt. Er fordert ein verschärftes Vorgehen an der schweizerischen-deutschen Grenze. Zweifellos: Auch bereits in Italien registrierte Migranten, die aus Italien nach Deutschland weiterreisen, durchqueren die Schweiz.

Wie der „Tagesanzeiger“ berichtet, reisten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach Angaben der deutschen Bundespolizei 2039 Migranten aus Italien über die Schweiz nach Deutschland. Aus Österreich waren es 4935 und in deutschen Flughäfen Ankommende 3747. Im Jahre 2017 hat Deutschland 2854 Gesuche zur Rücküberstellung von Deutschland in unser Land Schweiz gerichtet. Die Schweiz hat 1208 akzeptiert, überstellt wurden tatsächlich aber nur 369. Für den deutschen Politiker, der die Landesgruppe Baden-Württemberg der CDU im deutschen Bundestag anführt, Grund genug, nun auch mit der Schweiz eine neue Vereinbarung einzufordern.

Wie schwierig es ist, neue Vereinbarungen für die Rückübernahme zu treffen, hat der streitbare deutsche Innenminister Horst Seehofer zu spüren bekommen. Während vier Wochen stritt er mit „seiner“ Bundeskanzlerin Angela Merkel über die sofortige Rückweisung an der Grenze. In letzter Minute einigte sich die Koalitionsregierung unter gütiger Mithilfe der SPD auf einen Kompromiss, der die meisten Forderungen der SPD enthält, wie ein längst fälliges Einwanderungsgesetz. Seehofer reiste in der Folge zu seinem Gesinnungsfreund in Wien, zu Sebastian Kurz, dem österreichischen Bundeskanzler, der ihn kalt abservierte. Seehofer danach kleinlaut: „Deutschland trifft keine Entscheidung, die Österreich nicht will“.

Diese Woche treffen sich die Innenminister aus Deutschland, Österreich und neu auch der aus Italien in Salzburg. Eines ist gewiss: Der italienische Innenminister und Führer der Lega, Matteo Salvini, wird nicht milder mit Horst Seehofer umgehen. Im Gegenteil: Italien wird sich kaum bewegen. Zu lange haben die europäischen Staaten Italien, wie Griechenland im Stich gelassen. Die Rechtspopulisten Italiens werden die Interessen Deutschlands zwar nicht ganz in Abrede stellen, aber zu keinen Handlungen Hand bieten, die Italien noch stärker belasten werden. Und es ist nicht auszuschliessen, dass Italien, wie schon immer wieder, die ankommenden Flüchtlinge gar nicht mehr registrieren, sie gar ermuntern wird, weiter in die Mitte, in den Norden Europas zu ziehen, auch und gerade über die Schweiz. Die Folge: Italien müsste die Flüchtlinge nicht zurücknehmen, weil diese ja gar nicht im eigentlichen Ankunftsland registriert worden sind.

So werden die Gesinnungsfreunde Seehofers, der Innenminister Österreichs, Herbert Kickl, und Matteo Salvini (Italien), ihn, den deutschen Kollegen auflaufen lassen, sie werden ihn in seinen ebenso populistischen Anliegen, die mit denen Österreichs und Italiens an sich deckungsgleich sind, dennoch im Abseits stehen lassen. Zuversichtlicher kann Seehofer auf Griechenland und die Schweiz zugehen. Griechenland, links regiert, wird mit Geld, mit viel Geld, analog der Türkei, zu Zugeständnissen bereit sein. Das Land wird die in Griechenland bereits registrierten Flüchtlinge – finanziell durch Berlin abgesichert – aus Deutschland zurücknehmen. Und bei der Schweiz kann er auf das immer gute Verhältnis zwischen den beiden Ländern bauen. Es sei denn, auch in der Schweiz wird die Flüchtlingsdebatte neuen Auftrieb nehmen.

Eines ist sicher und unumstösslich: Es braucht eine gemeinsamen, eine koordinierte europäische Flüchtlingspolitik. Zu sehr sind die europäischen Staaten aufeinander angewiesen. Der Streit in Deutschland hat es öffentlich gemacht. Das ist gut so. Und die Schweiz? Sie wird nicht abseitsstehen

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