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Selbsterkenntnis durch Mitgefühl

Was Mitgefühl bedeutet und wie wir damit unser Leben erleichtern und bereichern können.

Mitgefühl gehört zu den hervorragenden Werten in den verschiedensten Kulturen. Im Christentum kennen wir das Gebot «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst», als caritas wird Mitgefühl seit jeher gepflegt. Andere mögen es als Sorge für den Nächsten verstehen, als Altruismus. Einfühlungsvermögen wird seit ca. 100 Jahren oft als Empathie bezeichnet. Aber aufgepasst: Mitgefühl bedeutet nicht Mitleid, wie es die griechische Wurzel empátheia nahezulegen scheint.

Auch andere Traditionen betonen diese Zuwendung zum Mitmenschen. Besonders im Buddhismus ist Mitgefühl einer der Grundpfeiler von Ethik und Religion. Weltweit wird der Dalai Lama, das religiöse Oberhaupt der Tibeter, hoch geachtet für seine friedvolle, mitfühlende Haltung, auch denen gegenüber, die ihn selbst und seine Landsleute verfolgen. «Mögen alle Wesen Glück erfahren und die Ursachen des Glücks, mögen alle Wesen frei sein von Leid und den Ursachen von Leid . . .», so beginnt ein Segenswunsch, den jeder gute Buddhist, jede Buddhistin regelmässig rezitiert.

Mitgefühl hat nichts mit Rührseligkeit zu tun und erschöpft sich nicht darin, selbstlos Bedürftigen helfen zu wollen. Was alles zu dieser zutiefst menschlichen Qualität gehört, erfahren wir in einem Buch des Tibeters Thupten Jinpa, des langjährigen Übersetzers ins Englische und Vertrauten des Dalai Lama. Er war als junger Mann Mönch, studierte Religionswissenschaften in England und lebt seit vielen Jahren mit seiner Familie in Montreal, Kanada. Er wurde Präsident des vom Dalai Lama gegründeten «Mind and Life Institute» in Denver/Colorado und Dharamsala/Indien, das durch die Begegnung und den geistigen Austausch von Buddhismus und westlicher Wissenschaft berühmt wurde. Vor diesem Hintergrund ist Thupten Jinpa besonders geeignet, Grundbegriffe der buddhistischen Ethik im Westen verständlich darzustellen.

Thupten Jinpa © Sonam Zoksang / commons.wikimedia.org

Der Autor schildert, wie besonders Neurowissenschaftler und Psychologen in den letzten Jahrzehnten über Mitgefühl geforscht haben. Eine der bemerkenswertesten Erkenntnisse war, dass Mitgefühl bei vielen Menschen zunächst Furcht und Unsicherheit hervorruft. In der modernen westlichen Gesellschaft gilt Mitgefühl als Zeichen von Verletzlichkeit und Weichheit.

Auf der Grundlage buddhistischen Wissens entwickelte eine Gruppe von Wissenschaftlern und Therapeuten an der Medizinischen Fakultät von Stanford/CA ein Training von Mitgefühl, an dem Thupten Jinpa massgeblich mitgewirkt hat.

Dazwischen erzählt Thupten Jinpa aus seiner Kindheit und Jugend, besonders vom Leben tibetischer Flüchtlinge in Indien; für Schweizer Lesende besonders interessant, lebt doch die grösste Tibetergemeinde Europas in unserem Land. Nebst vielen berührenden Anekdoten erfahren wir, wie der Autor zum Übersetzer des Dalai Lama wurde. Er hatte als Kind Kontakt zu englischsprachigen Altersgenossen und lernte die Alltagssprache auf diese Weise ganz nebenbei. Als er in England studierte, fehlte ein Übersetzer für einen Vortrag des Dalai Lama und man bat Thupten Jinpa. Diesem gelang es, die Rede des Dalai Lama ebenso angemessen wie verständlich zu übersetzen, so dass er zum ständigen Dolmetscher wurde. Man muss dazu wissen, dass Tibetisch in Sprache und Struktur für unser westliches Verständnis nicht leicht wiederzugeben ist, sei es auf Englisch oder Deutsch.

Relief von Avalokiteshvara (aus der chinesischen Provinz Anhui)
© Nat Krause / en.wikipedia.org

Der Bodhisattva des Mitgefühls

Im Buddhismus – wie in anderen Religionen auch – werden Qualitäten als göttliche Wesen dargestellt, denen ganz bestimmte Zierden, Handhaltungen u.a. zugeordnet sind. Avalokiteshvara (tibet. Chenrezig) wird oft mit zahllosen Armen, Köpfen und Händen dargestellt. Dazu erzählt man eine Legende: Als Avalokiteshvara erkannte, wie viel Leid und Schmerzen die Menschen erdulden mussten, in wie viel Unglück sie sich verstrickten, war er darüber so betrübt, dass er zu ihnen hinabstürzte und sich dabei alles brach. Das wiederum weckte bei den zahllosen Himmelsbewohnern so grosses Mitgefühl, dass sie alle Teile zusammensuchten und wieder zusammensetzten. Dadurch erhielt Avalokiteshvara tausend Arme, tausend Hände und elf Köpfe, die er seitdem dafür einsetzt, allen fühlenden Wesen beizustehen.

Der Schlüssel zum Mitgefühl

Mitgefühl beginnt bei jedem einzelnen. Zuerst müssen wir unsere eigenen Gefühle kennenlernen und – ganz wichtig – lernen, mit uns selbst mitfühlend zu sein, ehe wir in der Lage sind, mit anderen einfühlend umzugehen. Dabei handelt es sich nicht darum, vor den eigenen Fehlern und Schwächen die Augen zu verschliessen, sondern zunächst einmal zu beobachten, welche Gefühle sich in uns selbst regen, und zu erkennen, was sie uns bedeuten. Dafür hat der Buddhismus ebenso einfache wie alltagstaugliche Methoden entwickelt, die Thupten Jinpa ausführlich skizziert.

Dieses Buch ist kein Ratgeber für ein moralischeres Leben, es ist auch kein Handbuch für buddhistische Lebensführung. Die Lesenden erhalten beherzigenswerte Anstösse, sich selbst genauer wahrzunehmen und ihren Mitmenschen aus anderer Sicht zu begegnen. Dabei spielt der Buddhismus als Religion keine Rolle.

Der englische Titel «A Fearless Heart: How the Courage to Be Compassionate Can Transform Our Lives» drückt es treffender aus als der deutsche: Sich auf den Weg der Selbsterkenntnis zu begeben, braucht ein furchtloses Herz, der Mut aber, Mitgefühl zu leben, kann das Leben verändern.

Thupten Jinpa: Mitgefühl. Offen & empathisch sich selbst und dem Leben neu begegnen.
O.W. Barth Verlag; 2016, 304 Seiten
ISBN: 978-3-426-29226-6
auch als E-Book erhältlich

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