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Sende mir jetzt zwei Paar Socken!

Postkartengrüsse von der Grenzbesetzung 1914 bis 1918 sind Bilder, die Geschichten erzählen

Rechtzeitig zum ersten Weltkrieg war es so weit: Fotografieren wurde für Amateure erschwinglich. Es kamen neben den großen Plattenkameras im Studio des Berufsfotografen handlichere Geräte auf, darunter zusammenklappbare, welche sogar in der Westentasche des Wehrmanns Platz fanden. Weil auch das Fotopapier im Postkartenformat zahlbar wurde, fand das neue Medium schnell Anklang. Eine Flut von privaten, informellen Fotopostkarten wurden in der Folge von Schweizer Soldaten im Dienst hergestellt. Nun sind die Bilder von der Grenze 1914/18 in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur ausgestellt.

Alltag im Militärdienst

Die Fotos entstanden meist in der reichlich bemessenen Freizeit oder auch bei der endlosen Warterei auf den nie eintreffenden Ernstfall. Die Soldaten stehen vor ihrem Kantonnement, oder sie marschieren, sie waschen Wäsche, oder spielen Karten, sogar mit dem “Feind” vom Grenzposten auf der anderen Seite. Anzunehmen ist, dass der Fotograf so viele Abzüge herstellen ließ wie Männer auf dem Bild waren. Anzunehmen ist, dass jeder die Postkarte kaufte und nachhause schickte; mit und ohne Kreuzchen, welcher Kopf seiner sei, auch mit der Bemerkung, er sei zwar beim Fötele dabeigewesen, stehe jedoch ausserhalb des Bilds. Ein Beispiel: Liebe Grossmutter. Bin nun schon über einen Monat im Dienst. Wie es mir gefällt, kannst Du wohl aus meinem Gesicht ablesen! Das ewige Militärlen verleidet einem. Doch gehts zuweilen auch lustig her. Mit dem Verkauf finanzierte der Kamerabesitzer die nächsten Negativstreifen.

Skurrile Inszenierung – nicht armeetauglich – für die Lieben daheim

Es gab damals eine miliärische Briefzensur sowie die offizielle Armeefotografie, den Armeefilm, mit denen das erwünschte Bild der Truppen erzeugt wurden. Nicht unbedingt “armeetauglich”, so Peter Pfrunder, Direktor der Fotostiftung Schweiz, waren dagegen die Fotopostkarten, welche zu Tausenden an Frau, Mutter, Verwandte und Freunde gingen. Erstaunlich, was da alles ohne weiteres der Zivilbevölkerung mit einem Bild mitgeteilt werden konnte, während die Zensurbehörde sich bei den Texten kundig machte, ob wer gegen die Neutralität verstiesse.

Mit Spass gegen die Angst

Die Bedeutung und Wirkung des Bildmediums wurde erst später entdeckt. Fotos von selber gemachten Kanonen aus einem Ofenrohr, von Kriegerli-Spielen und anderen Verulkungen der Armee wären vom 2. Weltkrieg undenkbar, nicht zu reden von den Bildern halbangezogener Soldaten beim Allotria machen. Wie im Ferienlager wirken viele Fotos, wären da nicht immer wieder Texte von Schindereien und anstrengenden Manövern. Andere Postkarten zeigen auch Zerstörungen im Grenzgebiet und weisen im Text auf Geschützlärm hin. Vor allem aber betonen die Soldaten, dass sie gesund seien.

Kanone aus einem Ofenrohr gebastelt beim endlosen warten

Das Auseinanderbrechen der Gesellschaft als Folge der Mobilmachung Anfang August 1914 wird kaum thematisiert: die Korn- und Kartoffelernte, welche nicht eingebracht wurden, die Maschinen in der Industrie, die plötzlich nicht mehr bedient und gewartet wurden, die Familien, die in Not gerieten, weil das Einkommen ausblieb. Ein Beispiel: Am besten ist, wenn Ihr ein Urlaubs Gesuch ungfähr Mitte nächster Woche absendet, und den Inhalt auf dringende Landwirtschaftliche Arbeiten richtet.

Neues Massenmedium

Die Sammlung der Fotostiftung wurde innert drei Jahren aufgebaut. In Brockenhäusern fanden sich erste Exemplare, dann kamen dank eines Aufrufs 1500 Fotopostkarten aus dem Militär zusammen. In einem Film von Heinz Bütler, produziert von NZZ Format setzen sich Beatrice von Matt, Literaturhistorikerin, Anton Holzer, Fotohistoriker, Georg Kreis, Historiker, und Peter Pfrunder von der Fotostiftung Schweiz mit den Postkarten und mit der dunklen Zeit auseinander, in der sie mit Feldpost verschickt wurden. Der Film wird als Teil der Ausstellung gezeigt.

Mit dem ersten Weltkrieg wurde die Fotopostkarte zum Massenmedium: in Deutschland sind zwischen 1914 und 1918 sieben Milliarden Karten verschickt worden, in der Schweiz waren es Millionen. Der Boom ist vergleichbar mit jenem der Selfies heutzutage, gemacht mit dem Smartphone und sogleich hochgeladen ins Internet. Einst und jetzt ging es darum zu zeigen, dass man noch da ist. Die Fotoausstellung ist keine dokumentarische Darstellung der Wirklichkeit an den Schweizer Grenzen, aber sie gibt ein authentisches Bild des Soldatenalltags in unsicheren Zeiten wieder.

Vorder- und Rückseite einer witzig-makabren Karte von der Grenze

Das Grauen von damals

Als Kontrapunkt und Ausweitung über die Grenzen der Schweiz hinaus, zeigt die Fotostiftung Schweiz den Kreuzweg von Stephan Schenk (*1962 in Stuttgart). Vierzehn Stationen sind es, vierzehnmal Erinnerung an die Schlachten des Grossen Kriegs. Drei auf zwei Meter zeigen die Bildteppiche Schlachtfelder des ersten Weltkriegs vom Hartmannsweilerkopf bei Basel, der Hölle von Verdun und jener am Isonzo bis zu Übersee-Schlachten, zum Beispiel in Tsingtao. Schenk, dessen Grossvater in den Krieg musste, trug seit seiner Jugend ein Bild im Kopf von englischen Soldaten, die jeder eine Hand auf der Schulter des Vordermanns hatten: alle bis auf den vordersten waren blind, bei einem Gasangriff erblindet. Er fragte sich, wie er die Weltkriegs-Katastrophe, bei der über acht Millionen Soldaten und fast ebenso viel Zivilbevölkerung umkamen, künstlerisch umsetzen könnte. So begab er sich auf Spurensuche in die Schlachtfelder, wo die Erde einst blutgetränkt war, und wo heute Gras drüber gewachsen ist. Schenk fotografierte den Boden – Wiese, Wald, Wasser – in der Dimension eines Soldatengrabs.

Schlachtfeld Przemysl in Polen. © Stephan Schenk

Mit der Weiterverarbeitung gelang dem Fotografen eine absolut eindrückliche Visualisierung des Grauens. Schenk liess die Bilder von Blumen, Fallholz, Waldstücken und Ackerland zu Wandteppichen weben – mit zwölf Grautönen auf einem Jacquard-Webstuhl. Die textilen Flächen sind durch ihre Struktur, die fast dreidimensional wirkt, sich bei Annäherung in gewebte Fäden auflöst, irritierend. Die gewobene Verfremdung bringt die Betrachter zum genauer Schauen und von da zum Nachdenken. Weitere Informatonen gibt es im Begleitbuch Kreuzweg (hg. von der Fotostiftung Winterthur), in dem Schenk sein Konzept darlegt. Die zu Teppichen verwobenen Fotografien lassen sich fotografisch nicht wiedergeben. Nur mit eigenen Augen wird dieser Kreuzweg über die Weltkrieg-Katastrophe erfahrbar.

 

Zur Ausstellung erscheint ausserdem ein Künstlerbuch und eine Edition von Stephan Schenk im Verlag Rothe Drucke, Bern.
Auch zur Fotopostkartenausstellung ist ein Begleitband erschienen: Schöner wär’s daheim. Fotopostkarten 1914/18, Limmatverlag, Zürich, 2014

Alle Fotos (mit Ausnahme des letzten) Sammlung Fotostiftung Schweiz
Infos bei der Fotostiftung Schweiz

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