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Theater im Leben und auf der Bühne

Theater, das ist Tragik und Komik. Worüber Joachim Meyerhoff in seinen autobiografischen Büchern schreibt, lässt die Lesenden ebenfalls weinen und lachen.

München ist das geeignete Pflaster für lebenslustige Menschen. Das dachte wohl auch Joachim Meyerhoff, als er nach dem Abitur beschloss, sich für den anstehenden Zivildienst bei einem Krankenhaus in München zu bewerben. Er erhielt dafür eine Zusage und ein Zimmer im Schwesternhaus. Gleichzeitig wurde er von der renommierten Otto-Falckenberg-Schauspielschule in München eingeladen, an der Aufnahmewoche teilzunehmen. Während der Autor in Vorfreude schwelgt, wie er den Zivildienst und die Vorteile des Schwesternhauses nutzen will, schreibt er nichts darüber, aus welchem Grund er sich überhaupt um eine Aufnahme an der Schauspielschule beworben hat. War es nur eine Alternative aus Verlegenheit?

Es kommt so, wie Meyerhoff eigentlich nicht wollte: Er wird knapp angenommen für die dreijährige Ausbildung an der Falckenberg-Schule, muss also auf die sturmfreie Bude im Schwesternhaus verzichten und zieht bei seinen grossbürgerlichen Grosseltern ein. Das ganz in Rosa gehaltene Gästezimmer dort wird ihn in den kommenden Jahren beherbergen.

«Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke» heisst dieses Buch, es ist Teil einer vierteiligen Serie, die Joachim Meyerhoff inzwischen über seine Jugendjahre verfasst hat – mit Lücken, Brüchen und Widersprüchen wird der Autor immer wieder konfrontiert. Jeder dieser vier biografischen Romane hat mit Verlusten zu tun, mit Abschieden, die schmerzende Lücken ins Leben des jungen Mannes reissen. – Es ist wohl ein Geschenk für ihn, dass er dadurch sein Talent entfalten kann, Menschen und Dinge in ihrer Tragik oder Komik wahrzunehmen und davon zu erzählen.

Joachim Meyerhoff  © Jim Rakete / Kiepenheuer&Witsch

Die Diskrepanz zwischen dem Leben seiner Grosseltern, die er sehr gern hat und die ihm gleichzeitig Respekt einflössen, und dem, was eine moderne Schauspielschule von ihm verlangt, könnte grösser nicht sein. Grossmutter war nämlich eine glamouröse Schauspielerin gewesen, die früher an eben dieser Schule unterrichtet hatte und sowohl Theater wie auch Unterricht aufgegeben hatte, einerseits wegen eines Unfalls, andererseits weil ihr der moderne Stil nicht mehr behagte. Grossvater, emeritierter Professor mit Prinzipien, und sie führen ein luxuriöses Leben im besten Viertel von München. Dazu gehört auch der regelmässig fast wie ein Ritual zelebrierte Genuss verschiedener Alkoholika. Gegen Ende des Buches erzählt Meyerhoff, wie die beiden allerdings lange nach seiner Münchner Zeit kurz nacheinander sterben. Es ist, als ob mit ihnen eine längst vergangene Epoche endgültig zu Grabe getragen wird. Kurz nach seinem ersten Engagement in Kassel jedoch stirbt sein plötzlich schwer erkrankter Vater, Leiter einer psychiatrischen Klinik in Schleswig-Holstein, und reisst wieder eine sehr schmerzliche Lücke in sein Leben, das mit dem brüchigen Selbstvertrauen des jungen Schauspielers immer noch am Rande der Verzweiflung schwebt.

Meyerhoff findet seine zeitweilige Rettung in Goethes «Werther». – Auch hier steht ja das Scheitern im Mittelpunkt. – Meyerhoff bearbeitet den Stoff und tritt damit in Ein-Mann-Abenden auf. «Über zweihundertvierzig Mal habe ich mich als Werther erschossen», schreibt er. Der Titel dieses Buches ist übrigens ein Zitat aus dem berühmten Werk.

In jeder Szene, in jedem Satz scheint Meyerhoffs Zuneigung zu seinen Grosseltern auf, zu allen Menschen, die ihm begegnen. Keinen «haut er in die Pfanne», obwohl er seine Lehrer und Mitschüler in seiner Schauspielklasse klar einzuschätzen weiss. So schwierig ihm viele Aufgaben in der Schule erscheinen, so leicht scheint es ihm zu fallen, mit einem guten Mass an Selbstironie darüber zu schreiben. Sein grösster Erfolg, schreibt er, sei sein Auftritt bei einer Kostümversteigerung gewesen, in einem eleganten Paillettenkleid, das nur ihm, dem seine Grösse immer wieder ein Hindernis war, wie angegossen passte und das er raffiniert präsentierte.

Seine genaue Beobachtung setzt Meyerhoff mit liebevoller Ironie in eine klare, unprätentiöse Sprache um. Damit berührt er uns Lesende und bringt uns ob der Komik bzw. Tragik vieler Situationen zum Schmunzeln. Nie rückt er sich mehr als nötig in den Mittelpunkt, schon gar nicht, um sich im Bühnenlicht zu sonnen. Auch diejenigen, die Meyerhoff noch nicht als Schauspieler kennengelernt haben, werden dieses Buch mit grossem Vergnügen lesen.

Joachim Meyerhoff, geboren 1967, aufgewachsen in Schleswig, hatte nach seinem Schauspielstudium 1989-92 verschiedene Engagements. 2001 wurde er Ensemblemitglied am Maxim-Gorki-Theater Berlin, wo er auch Regie führte. Seit 2005 gehört er zum Ensemble des Wiener Burgtheaters. Für seine Bücher hat er mehrere Preise erhalten. In den Jahren 2007 und 2017 wurde er zum Schauspieler des Jahres gewählt.

Der Romanzyklus «Alle Toten fliegen hoch» ist erschienen bei Kiepenheuer&Witsch, Köln:
Joachim Meyerhoff:
Alle Toten fliegen nach Amerika (2011)  ISBN 978-3-462-04292-4
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war. (2013)  ISBN 978-3-462-04516-1
Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke» (2015 / 2017 als TB)  ISBN 978-3-462-04828-5
Die Zweisamkeit der Einzelgänger (2017)  ISBN 978-3-462-04944-2

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