Verona in Basel

Man benötigt kein Amphitheater, um pralle Opern-Italianità zu erleben. Das beweist die neue Macbeth-Produktion am Basler Theater.

«Vom Messer in das Messer ist die Laufbahn» – dieses Zitat stammt aus der Macbeth-Umarbeitung und -Übersetzung des DDR-Autors Heiner Müller. Diese erlebte unter der Regie von Hans Hollmann 1972 am Theater Basel, in der damals noch existierenden Komödie, ihre Aufsehen erregende West-Premiere – wir waren dabei und schwer beeindruckt von der, laut Müller, «konkretisierten» Brutalität des Shakespeare’schen Textes.

Verdis schwarze Seele

Diese Brutalität, verbunden mit der Gewissensfrage, der Suche nach dem Menschen im Mörder, scheint auch Giuseppe Verdi beeindruckt zu haben. Ja, Verdi betrachtete den «Macbeth» als eine seiner gelungensten Opern. In dieser Stoffwahl offenbart sich so manches von Verdis eigener schwarzer Seele, die in vielen Werken (man denke nur an Jagos nihilistisches «Credo» in Othello) zum Durchbruch kommt, jedoch nie so deutlich und ungeschminkt wie in Macbeth. «Ich will der Zukunft das Geschlecht ausreissen. Wenn aus mir nichts kommt, kommt das Nichts aus mir.»

Derzeit scheint eine Schweizer ‹Macbethieritis› umzugehen, denn vor nur zwei Wochen lief die Premiere des Stücks über die Zürcher Opernbühne – eine Zeitgeist-Erscheinung? Ob man mit dieser unverständlichen Verdoppelung auf kleinstem geografischem Raum dem Publikum Vergleichsmöglichkeiten bieten will, oder ob es sich ganz simpel um eine logistische Fehlleistung der Theater handelt: Überlassen wir die Spekulationen darüber der Fama! Eines ist sicher: Die Zürcher Inszenierung ist weitaus konventioneller als jene in Basel. Doch davon später.

 

Katia Pellegrino, Vladislav Sulimsky

Italianità triumphiert

Um auf die Basler «Italianità» zurückzukommen: Damit ist nicht die Inszenierung von Olivier Py gemeint, sondern der Charakter der musikalischen Umsetzung dieser sogenannten Pariser Fassung (Uraufführung 1865). Der neue Musikdirektor Erik Nielsen, Amerikaner mit skandinavischen Wurzeln, dirigiert wie weiland der legendäre Nello Santi: voll Saft und Kraft und italienischem Verve. Er ist den Sängern auf der Bühne ein idealer und einfühlsamer Begleiter, treibt vom Orchestergraben aus die gesamte musikalische Maschinerie begeistert an. Diese Konzentration auf die Bühne lässt zwar manchmal die wünschbare Homogenität im Orchesterklang vermissen, führt jedoch die Sängerinnen und Sänger zu Höchstleistungen.

Da wäre an vorderster Linie der Russe Vladislav Sulimsky in der Titelrolle zu nennen, der nicht nur über einen mächtigen und perfekt geführten Bariton verfügt, sondern auch in der Charakterisierung des zwischen Machtgier, Zögern und Verzweiflung changierenden Macbeth überzeugt. In gewissen Szenen kann er von geradezu schrecklichem Furor erfüllt sein. Sein «Banquo, die Ewigkeit erwartet dich» nach dem Beschluss, den Getreuen töten zu lassen, ist nicht nur von Verdi durch Dies-irae-Klängen wie aus einem Requiem charakterisiert worden. Silimsky legt den ganzen Schrecken des eigenen Verrats am einstigen Freund und Kampfgefährten mit hinein. Banquo selbst wird vom britischen Bass Callum Thorpe verkörpert, der seiner berühmten Arie Schmelz und kraftvolle Verve verleiht, seiner Rolle jedoch Nachdenklichkeit und Zurückhaltung auferlegt. Eine noch weit berühmtere Arie ist dem einzigen Tenor in dieser schwarzen Oper, dem «Heilsbringer» Macduff zugeeignet. Demos Flemotomos, dem Namen nach unschwer als Grieche zu identifizieren, singt sie ohne Fehl und Tadel – ein junger Tenor der Extraklasse, der zu schönsten Hoffnungen berechtigt.

Katia Pellegrino

Die Domina der Macht

Doch steht all diesen Männern die heimliche Hauptrolle der Oper, die machtgierige, scheinbar mitleidlose Lady Macbeth gegenüber, eine im Verdi’schen Oeuvre einzig dastehende Sängerinnenfigur. Verdi wollte bei der Uraufführung für diese «Domina der Macht» keine schöne, sondern eine fast abstossende, Grauen erregende Stimme – und schrieb doch eine hinreissende Sopranpartie mit grossen Ensembles und einer weltberühmten Wahnsinnsarie. Er konnte einfach nicht anders. Jede Sängerin dieser Partie versucht auf ihre Weise, mit dieser Diskrepanz fertig zu werden. Für die Italienerin Katia Pellegrino aus dem Veneto ist die Sache hingegen von Anfang an klar: Sie singt grosse Oper, wie sie einer Aufführung in der Arena von Verona würdig wäre, manchmal etwas forciert und allzu viel für die kleinere Basler Bühne. In ihrer grossen Schlussszene mit der Wahnsinnsarie konnte sie jedoch umstellen und zu einem leiseren Espressivo-Charakter finden, der vom Basler Publikum auch entsprechend gefeiert wurde.

Romantik und Symbolismus

Auf grosse Oper ist auch das gegenständliche, romantische Bühnenbild von Pierre-André Weitz eingestellt. Die Drehbühne spielt darin eine grosse Rolle, und man glaubt sich manchmal in einer dieser konservativen, braven Metropolitan Opera-Inszenierungen wiederzufinden. Diesen Eindruck vermag auch die Häufung von wagnerianisch angehauchten, symbolistischen Erfindungen wie einem geflügelten Ritter (wir sind nicht bei Lohnengrin!) oder schwarzen Raben (wie sind auch nicht bei der Götterdämmerung) nicht zu verwischen. Innerhalb von düsteren Klinkerbauten und birkenhaften Baumstämmen (die den Macbeth schliesslich täuschenden Wald von Birnam von Anfang an klar machen) lässt der Autor und Regisseur Olivier Py Hexen tanzen, Tote splitterfasernackt umherirren und die handelnden Personen in einer Art Ortlosigkeit herumtaumeln, verführen, täuschen und morden.

Theaterchor Basel, Katia Pellegrino, Vladislav Sulimsky

«Die Herrschenden», sagte Heiner Müller in einem Interview, «bemerken nie, worauf sie stehen.»

«Macbeth» zählt zu einer der ganz grossen und wichtigen Choropern. Dies stellte wieder einmal mit grossem, satten Stimmklang der Theaterchor Basel als das allen politischen Wechseln hoffnungslos ausgelieferte schottische Volk glänzend unter Beweis. Das Basler Publikum dankte mit grossem Applaus, in das sich für den Regisseur auch einige Buh-Rufe mischten.

Nächste Vorstellungen im Theater Basel: 17., 22., 30. April und 4., 6., 8. Mai

Über die Aufführung in Zürich – «Ein rabenschwarzer ‹Macbeth'» – hat Joseph Auchter berichtet.

Titelfoto (dargestellt ist Vladislav Sulimsky) und alle Fotos: © Sandra Then / Theater Basel

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