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Verstehen Sie die Sprache der Pflanzen?

Pflanzen sind Lebewesen und kommunizieren regelmässig. Das lernen wir, wenn wir die Bücher von Florianne Koechlin lesen. Seniorweb hat die Biologin getroffen.

«Pflanzen führen ein aktives Sozialleben, sie haben Freunde und Feinde, bilden Allianzen. . . . Unter der Bodenoberfläche bilden sie umfangreiche Netzwerke aus Wurzeln und Pilzen, über die sie Nährstoffe und Informationen austauschen.»  Florianne Koechlin, Biologin und Chemikerin, beschäftigt sich seit Jahren mit Pflanzenkommunikation. Sie schaut Forschern über die Schulter, die unkonventionelle Forschungsansätze entwickeln, um das Verhalten der Pflanzen beim Wachstum und in ihrer Umgebung zu untersuchen.

Pflanzen kommunizieren untereinander.

Pflanzen reagieren auf Duftstoffe. – Das sollte uns nicht verwundern, denn 95% der vom Menschen verwendeten Duftstoffe werden aus Pflanzen gewonnen. Florianne Koechlin besuchte Wissenschaftlerinnen und Forscher, die die Pflanzenkommunikation erforschen. An der Universität Jena etwa werden die Kommunikationskünste der Limabohne untersucht.

 

Lima-Bohne (Phaseolus lunatus) / wikimedia.org

«Beim ersten Auftauchen eines Schädlings produziert die Limabohne einen Wirkstoff, um die anderen Pflanzen zu warnen, als zweites bildet sie einen Duftstoff, um Nützlinge anzulocken. Interessant ist, dass die Limabohne nicht nur weiss, DASS sie angegriffen wird, sondern auch VON WEM. Greift eine Spinnmilbe an, produziert die Limabohne einen Duftstoff, der Raubmilben anzieht. Wird sie von Raupen attackiert, lockt sie mit einem etwas andern Duftstoffcoctail Schlupfwespen an, die die Raupen parasitieren. Die Limabohne schmeckt am Speichel, welches Insekt gerade an ihr frisst und produziert einen Duftstoff, der den geeigneten ‹Bodyguard› anlockt. Ist das nicht phantastisch?» Von der Limabohne kennen die Forscher inzwischen über hundert «Duftstoffvokabeln». Nicht nur die Limabohne, alle Pflanzen kommunizieren mit Duftstoffen.

Und unter dem Boden vernetzen sich Pflanzenwurzeln und Pilze zu einem dichten Geflecht. Im Wald gehen Baum und Pilz-Rhizome eine Symbiose ein. Über dieses Netz tauschen Bäume auch Nährstoffe und wahrscheinlich sogar auch Informationen untereinander aus – der Wald bildet mit all seinen Bestandteilen einen riesigen, dynamischen, dicht vernetzten Gesamtorganismus.

Pflanzen reagieren auch auf akustische Schwingungen, auf Musik. Auch hier zeigt sich: Pflanzen sind keine materiellen Objekte, keine «Bio-Automaten», die reflexartig ihr genetisches Programm abspulen. Pflanzen nur nach Nutzen und allenfalls Schönheit einzuteilen – einem solchen mechanistischen Weltbild versucht Florianne Koechlin mit ihren Veröffentlichungen entgegenzuwirken. «Die neuere Forschung stellt das Pflanzenbild vom Kopf auf die Füsse «, sagt sie, » Das erfordert der Pflanze gegenüber mehr Respekt – und das kann der Landwirtschaft neue Perspektiven weisen.»

Ein Perspektivenwechsel ist nötig.

Die Volksinitiative «für Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft» wurde im November 2005 von den Schweizer Stimmbürgerinnen und –bürgern mit 55,7% angenommen. Bis 2017 werden auf Schweizer Boden nur Pflanzen angebaut, die nicht mit gentechnischen Mitteln verändert worden sind.

Die Wissenschaftler, die an gentechnischen Veränderungen von Kulturpflanzen arbeiten, konzentrieren sich vor allem auf einzelne Pflanzenarten wie z.B. Mais oder Soja, denn damit dienen sie den grossen Agro-Unternehmen. Es ist eine Tatsache, dass die Konzerne, die auf Gentechnik setzen, ungleich viel mehr Macht und Einfluss besitzen. Von dem Geld, das weltweit für die Agrarforschung ausgegeben wird, geht weniger als ein Prozent in die Forschung für die biologische Landwirtschaft.

Doch immer mehr hochrangige Studien fordern einen Perspektivenwechsel hin zu den Bedürfnissen der Kleinbauern, hin zu einer vielfältigen, lokal angepassten Landwirtschaft. Ein Beispiel dafür ist der 2008 verabschiedete Weltagrarbericht der UNO, den auch die Schweiz unterzeichnet hat.

In biologischen Forschungen liegt der Fokus auf dem Ganzen, auf den Möglichkeiten, die in der Pflanze selbst liegen, um einen möglichst natürlichen Anbau zu fördern, angepasst an die Bedingungen des Landes und zum Nutzen aller, die biologische Nahrungsmittel vorziehen. Untersucht wird, wie ein Schädling im Gesamtsystem in Schach gehalten werden kann, wie ein Nützling dem Schädling entgegenwirkt und wie die Pflanzen insgesamt gestärkt werden können.

Dazu gehört auch eine Landwirtschaft ohne Tiefpflügen, da diese tiefgreifende Bodenbearbeitung das organisch gewachsene Geflecht von Wurzeln, Pilzen und anderen Kleinorganismen zerstört. Aus diesem Grund braucht gerade biologischer Landbau intensive Forschung. Florianne Koechlin erzählt vom ausgeklügelten Vorgehen eines Bauern: «Mais braucht bei der Aussaat einen Boden ohne Unkraut. Deshalb sät er im Herbst eine Kleesorte an. Der Klee wächst und bildet eine dichte Schicht, die im Frühling durch die Winterkälte zu einem dunklen Mulch geworden ist. Dahinein schneidet der Bauer mit einer raffinierten Sämaschine kleine Ritzen und setzt die Maiskörner. Das bietet dem Mais die geeignete Grundlage für sein Wachstum – und er hat kein Problem mit Unkräutern.»

Fortschritte in biologischer Landwirtschaft entstehen nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit wie z.B. im Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) in Frick: Dort arbeiten die Forscher nicht nur im Labor, sondern auch mit den Bauern vor Ort («on-farm-research»). Sie haben eine andere, eher holistische Herangehensweise an ihre Forschungsobjekte, wobei auch Genanalysen zu ihren Methoden gehören.

Einen anderen Zugang zu Pflanzen suchen

Florianne Koechlin, Foto © Pino Covino, Basel

«Weil Pflanzen keine Bioautomaten sind, sondern kommunizierende, sozial agierende, hoch vernetzte Lebewesen mit einem eigenen „Selbst“, werden wir sie auch nie vollständig mit Chemie und Physik erklären können. Naturwissenschaften sind zwar wichtig, aber es gibt auch andere Zugänge, um zu Wissen über Pflanzen zu gelangen.» Menschen mit einem ‹grünen Daumen› erfassen ihre Pflanzen intuitiv, Schamanen erlernen in der Natur den Umgang mit ihren Kraftpflanzen. Florianne Koechlin findet ihren persönlichen Zugang durch die Malerei. Seit Kindheit hat sie gern gemalt, dies jedoch immer nur als Hobby betrachtet. Oft war sie mit dem Skizzenblock unterwegs gewesen und hatte ihn dann doch nicht aus dem Rucksack geholt. Dann hat sie eine Ausbildung bei der Visual Art School Basel gemacht.

«Ich habe gemerkt, dass ich den Kopf am besten ausschalten kann, wenn ich mich malend auf die prächtigen Blumen einer Bergwiese einlasse, und schaue, was sie mit mir machen.»  Die Skizzen werden nachher im Atelier umgesetzt, ein Versuch, eigene Interpretationen zu finden.

Von Florianne Koechlin, Geschäftsführerin des Blauen-Instituts in Münchenstein BL, sind folgende Bücher erschienen:

  • Zellgeflüster: Streifzüge durch wissenschaftliches Neuland.
    Lenos, Basel 2005; ISBN 978-3-85787-704-9.
  • Pflanzenpalaver: Belauschte Geheimnisse der botanischen Welt.
    Lenos, Basel 2008; ISBN 978-3-85787-726-1.
  • Mozart und die List der Hirse: Natur neu denken. (zusammen mit Denise Battaglia)
    Lenos, Basel 2012; ISBN 978-3-85787-424-6.
  • Jenseits der Blattränder: Eine Annäherung an Pflanzen. (hrsg. von Florianne Koechlin)
    Lenos Basel 2014; ISBN 978 3 85787 444 4

Webpages:
www.blauen-institut.ch (zu neuen Pflanzenforschungen) und www.floriannekoechlin.ch(Malerei)

Titelfoto: Tomatenpflanze pikiert (Solanum lycopersicum) / wikimedia.org

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