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Vom Paradies der Erinnerung

Ganz persönliche Aufzeichnungen sind auch Zeitgeschichte: Klara Obermüllers „Spurensuche“

Eine Autobiographie sei ihre Spurensuche nicht, sagt die Autorin und Journalistin Klara Obermüller zu ihrem Buch, mit dem Untertitel Ein Lebensrückblick in zwölf Bildern. Bilder, nämlich Fotos aus dem Familienalbum führen jedes Kapitel ein. Anhand der Fotos und dank Tagebuch, Briefen, Notizen schrieb Klara Obermüller Erinnertes nieder. Beim Lesen entstehen in meinem Kopf auch Bilder, Assoziationen aus meinem Leben. Wir leben und arbeiten im gleichen Land zur gleichen Zeit, wuchsen in ähnlichen, materiell sorgenfreien Verhältnissen auf. Uns prägten dieselben politischen Ereignisse und geistigen Strömungen wie der französische Existentialismus oder der kalte Krieg mit den schweizerischen Auswüchsen, welche in der Fichenaffäre kulminierte.

Wenn eine Autorin und Philosophin wie Klara Obermüller Erinnerungen aus ihrem Leben teilt, entsteht ein inniger, persönlicher und zugleich öffentlicher Text. Ein solches Buch sei ein Alterswerk sagt die Autorin, denn Erfahrung sei die Voraussetzung, die Dinge des eigenen Lebens ordnen und formulieren zu können.

1 Die Schachpartie: «Meine Eltern beim Schachspielen. 1923»

Die Spurensuche beginnt vor Klaras Zeit – das erste Foto zeigt die Eltern beim Schachspiel, überwacht von der künftigen Schwiegermutter. Später schreibt der Vater fast jede kleine Äusserung des Säuglings und des Kleinkinds in ein Wachstuchheft. So füllen diese Beobachtungen(«hat vier Zähnchen») und viele Fotos die fehlende Erinnerung an die frühe Kindheit. Die regelmässigen Aufzeichnungen enden mit „Clärlys“ drittem Geburtstag. Einen späten Eintrag gibt es noch am 13. Februar 1949, nachdem Klara Obermüller darüber aufgeklärt worden war, dass sie ein Adoptivkind sei. Also ein Wunschkind der Adoptiveltern, sehr erwünscht, sehr geliebt und ausserdem behütet und gefördert aufgewachsen. Das rote Haus in Wollishofen bleibt in der Erinnerung ein Paradies. Von den dunklen Seiten der Kindheit gibt es keine Fotos, da bleibt nur das Erinnern an Verletzungen, die sie den Eltern zufügte und die nicht mehr gutgemacht werden können. Vielleicht waren sie unvermeidlich.

Für Klara Obermüller bleibt eine Bürde, wie ihr die Herkunft erklärt und zugleich verschleiert wurde. Sie musste also die genetischen Eltern suchen. Der leiblichen Mutter nahmen Schicksalsschläge und Behörden die Chance auf ein würdiges oder gar erfülltes Leben; was damals in den Vierziger Jahren mit der ledigen Mutter angestellt wurde, war zwar üblich, aus heutiger Sicht aber unerträglich. Vom leiblichen Vater bleibt allein der Name.

In ihrer Spurensuche referiert sie das Gespräch mit dem Chefarzt der psychiatrischen Klinik, in der ihre Mutter gleich nach der Schwangerschaft versorgt worden war: Geistesschwach sei die Frau nicht gewesen, die Schizophrenie sei aber denkbar – als Auslöser sei der soziale Stress möglich, verursacht durch die Geburt. „Alles andere, die Antriebslosigkeit, der geistige und emotionale Abbau, sei wohl eher als Folge der Klinikaufenthalte, so meinte er, denn als Symptome der Krankheit zu betrachten,“ schreibt Obermüller. Sie bekommt ein Foto der leiblichen Mutter. Was wäre wenn? Die Frage ist müssig, dennoch stellt sie sich.

4 Die Herkunft:»Mein erstes eigenes Buch. Weihnachten. 1948″

Die zwölf Texte über Momente einer einerseits konsequenten andererseits spontan-sprunghaften Lebensführung bieten Raum für Reflexionen, beispielsweise über Mythenbildung: Wir verbiegen oder verklären unsere Vergangenheit ohne jede Absicht, bis uns Quellen eines besseren belehren. Beispiel Beruf: Klara Obermüller hatte eine aussichtsreiche Laufbahn bei der Neuen Zürcher Zeitung in Aussicht, als sie nach dem Abdruck zweier unbedenklicher Texte von Walter Matthias Diggelmann, mit dem sie liiert war, eine Notiz des Chefredaktors bekam, die sie als Rausschmiss interpretierte. Sie kündigte gleich selbst. Die Geschichte von ihrem Fast-Rausschmiss erzählte sie hin und wieder. Nun hat sie den Umschlag mit den Laufzetteln gefunden und diese nochmals gelesen: Chefredaktor Luchsinger hatte ihr mit der Abmahnung eigentlich eine Brücke gebaut, hätte sie also kaum gekündigt.

Es folgt eine Zeit als freie Journalistin, Kinderbuchautorin, Übersetzerin und politischer Arbeit an der Seite von Diggelmann. Bei der damals noch kritisch-liberalen Weltwoche lässt sie sich fest anstellen. Später wechselt sie zum Fernsehen und moderiert vier Jahre lang bis zur Pensionierung die Sternstunde Philosophie. Und seither? Klara Obermüller schreibt, moderiert, hält Vorträge.

Ob da ein Muster sei in den beruflichen Zufällen, fragt sie sich. Und stellt fest, „es war gut so, auch wenn es im Moment schmerzlich“ gewesen sei. Das Muster besteht darin, sich spontan ins Abenteuer zu stürzen, erst danach zu überlegen: „Es sind wahnsinnig schöne Sachen aus dieser Spontaneität entstanden,“ sagt sie bei einer Lesung.

11 Der Abschied: «Ausblick aus meinem Zimmer im Raindörfli. 1944»

Aber sie kennt auch anderes: „Das Jahr 1979 war ein Sterbejahr,“ schreibt sie. Sie muss sich von ihrem Freund und Mentor der ersten Zeit als Journalistin, Manuel Gasser, von ihrem Vater und von ihrem Mann, dem Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann für immer verabschieden, alle sterben an Krebs. Traurigkeit kommt auch auf, als sie nach dem Tod der Mutter die elterliche Wohnung räumen muss. Der Text darüber weckt meine eigene Erinnerung. Man trauert und muss sich zugleich zügig von all den Sachen trennen, die einem so vertraut sind – letztlich trostlos. Aber es könne auch tröstlich sein, schreibt Klara Obermüller: „Die Erinnerung sei das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden könne, sagt Jean Paul. Während ich die Welt meiner Kindheit in ihre Einzelteile zerlegte, spürte ich, wie recht er hatte. Die Erinnerungen waren das Einzige, was mir geblieben war: sowohl von den Menschen als auch von den Dingen.“

Teaserbild: Klara Obermüller bei der Buchvernissage im LIteraturhaus.
Bildlegenden aus dem Buch zitiert.
Klara Obermüller: Spurensuche. Ein Lebensrückblick in zwölf Bildern. Edition Xanthippe, Zürich 2016. 34.80 Franken

Im Rahmen von Zürich liest ’16 stellt Klara Obermüller ihr neues Buch am 30. Oktober um 16 Uhr in der Buchhandlung Barth im Shop Ville vor

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