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Von Farben, Düften und Stimmungen

Sommer hat eine Farbe. Er weckt Klänge, Erinnerungen und Verknüpfungen.

In meinen jungen Jahren habe ich in meinen persönlichen Blättern aufgeschrieben und mit meiner Freundin besprochen, dass ich den Sommer eigentlich als die Jahreszeit des Schlafs erlebe. Eines lebendigen, glücklichen Schlafs, reich an Träumen, an Klängen, an Düften. Denn ich selber habe nicht geschlafen. Jahrzehntelang, als meine Beine noch nicht schwach waren, bin ich im Engadin Sommer für Sommer und Herbst für Herbst auf Gebirgspfaden gewandert, habe die schwitzende Genugtuung des Ankommens genossen und die vielen, vielen kleinen und grossen Farben und Düfte eingesogen. «Ich blick’ in die Ferne, ich seh’ in der Näh’…» klang der Gesang von Lynkeus, dem Türmer in Goethes zweitem Teil des «Faust» in mir: «Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt…».

Ja, es ist verflixt. Der Mönch im ersten Teil von Rilkes «Stundenbuch» lebt sein Leben in wachsenden Ringen. Im Vergleich dazu scheint mir recht oft, dass ich mein Leben in gelesenen und wieder erinnerten Büchern gelebt habe, vielleicht immer noch lebe. Es hängt mit meiner Kindheit und Jugend zusammen. Bücher vor allem, und mehr als Menschen, waren es, die mir den Weg ins Leben gehen halfen. Bücher haben meine Pubertät, meine Adoleszenz begleitet, aufgewühlt, bereichert. Daneben fast ebenso wirksam auch die Musik.

Sommer hat eine Farbe; Sommer ist gelb, wenn ich mich an die Jahreszeit mit ihren Stimmungen erinnere. In meinen Erinnerungen taucht dabei immer Theodor Storm auf:

«Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,
ich nahm es so im Wandern mit,
auf dass es einst mir möge sagen,
wie laut die Nachtigall geschlagen,
wie grün der Wald, den ich durchschritt.»

Vielleicht ist es bei mir nur ein virtuelles grünes Blatt, das mich an Erlebnisse voller Stille, Jubel, guter Laune und Sonne erinnert. Aber auch das summende Weben, durchbrochen vom Zirpen der Grillen, bringt mir den Sommer nahe:

«Abseits
Es ist so still; die Heide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
Ein rosenroter Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blühn; der Heideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.

Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelheide Glöckchen,
Die Vögel schwirren aus dem Kraut –
Die Luft ist voller Lerchenlaut.

Ein halbverfallen niedrig Haus
Steht einsam hier und sonnbeschienen;
Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.

Kaum zittert durch die Mittagsruh
Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigernten.
– Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.»

Gewiss, das mag heutigentags längst überholte lyrische Idylle sein. Doch die Farbe des Sommers, Gelb – sie scheint beim Lesen auf. – Und gleich nochmals Storm:

«Die Nachtigall
Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.

Sie war doch sonst ein wildes Blut;
Nun geht sie tief in Sinnen,
Trägt in der Hand den Sommerhut
Und duldet still der Sonne Glut
Und weiß nicht, was beginnen.

Das macht, es hat die Nachtigall
Die ganze Nacht gesungen;
Da sind von ihrem süßen Schall,
Da sind in Hall und Widerhall
Die Rosen aufgesprungen.»

Doch genug jetzt von Gedichten, die keiner mehr kennt und niemand mehr lesen mag. Dennoch sind es solche Verse, die mir die gute Laune, das sonnige Gelb, die vielen Düfte und auch die sonnenschwer webende Stille des Sommers immer wieder nahe bringen.

«Prélude à l’après-midi d’un faune» – Die Musik umschwebt mein inneres Ohr: Debussy, der Zauberer der durchscheinenden, mit dem Glanzlicht von Holzbläsern und dem Perlen der Harfen zu rauschendem Glitzern verzierten Orchesterklänge! Das erwartungsvolle Schlummern des Fauns, wer nähme es da nicht beim Zuhören wahr! Da erlebe ich dichte Sommerfarbe, reliefartig hervorgehoben aus einem schlummernden Schatten, der Licht und Farbe nur schöner hervortreten lässt.

»Sommernacht» von Othmar Schoeck, ganz anders zwar, konventioneller. Auch nicht so romantisch klingend wie die Flötentupfer in Mendelssohns Ouvertüre zum «Sommernachtstraum». Als Siebzehnjähriger komponiert! Den Hauptteil der Musik zu Shakespeares Bühnenstück komponierte der 33-Jährige fünf Jahre vor seinem Tode 1847. Ouvertüre, Scherzo und Notturno vor allem sind aus meiner Sicht Inbegriff sowohl von Romantik als auch von Sommer.

Es webt etwas in dieser Musik und erreicht meine Erinnerung und mein Empfinden auf eine Art, die mich des Vergleichs wegen nochmals und – versprochen! – letztmals Theodor Storm zitieren lässt:

«Aus diesen Blättern steigt der Duft des Veilchens,
Das dort zu Haus auf unsern Heiden stand,
Jahraus und -ein, von welchem keiner wusste,
Und das ich später nirgends wieder fand.»
(Immensee)

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