StartseiteMagazinKolumnenVon Ungarn über Grossbritannien zur Schweiz

Von Ungarn über Grossbritannien zur Schweiz

Wenn die Demokratie auf den Prüfstand kommt.

 

„Demokratie braucht Demokraten“, schreibt Péter Nádas, der ungarische Schriftseller in seinem Essays-Band „Leni weint“. Er schreibt aber auch: „Was macht ein Demokrat, wenn die Mehrheit des Wahlvolkes sich einen Tyrannen wünscht?“ Wenn Putin beispielsweise, der die grossrussischen Interessen mit den abgefeimtesten Geheimdienstmethoden verfolge, dabei die Krim besetzen liess, dadurch beim Volk populär werde, lasse sich das vielleicht noch verstehen? Er habe seinerseits auch geglaubt, die Popularität von Slobodan Milsosévic, des serbischen Machthabers in Belgrad, zu verstehen, kam später zur Einsicht: “Im Extremfall wählt eine überwältigende Mehrheit auch einen ausgekochten Schurken und pathologischen Schurken, wie Milososévic.“

 

Warum setzt sich Nádas so sehr mit Populisten auseinander? Die Antwort ist so einfach, wie logisch: Er will den Populismus in seinem Land verstehen, in Ungarn. Er räsoniert darüber, wie es sein konnte, dass Victor Orbán in Ungarn an die Macht kam, wie er die demokratischen Rechte, wie die Pressefreiheit, aushöhlte, die bislang unabhängige Justiz an die Kandare nahm und trotzdem immer wieder gewählt wird. Er legt in einem seiner Essays dar, dass Ungarn eine leidvolle Geschichte hinter sich hat: Besetzt durch Türken, im Machtumfeld Österreichs, im Banne der Nationalsozialisten Deutschlands, unter der Fuchtel Moskaus. Auch der Drang nach Freiheit im Jahre 1956 wurde von sowjetischen Panzern brutal niedergeschlagen. Wieder unter kommunistischer Herrschaft konnte sich nach Nádas eines nicht entwickeln: die Demokratie. Immerhin begann sich die Wirtschaft zu entwickeln. Doch der Modernisierungsschub blieb aus. Zu sehr waren die verschiedenen Bevölkerungsgruppen damit beschäftigt, ihre eigenen Interessen zu wahren. Das Gemeinsame blieb auf der Strecke. Und als 1989 der eiserne Vorhang fiel, ging es erst richtig los: Der Adel versuchte, seinen früheren Besitz zurückzuerobern, die Bauern ihre Höfe, die Sozialisten, die bald an die Macht kamen, verteidigten ihre bereits bekannten Pfründen, verteilten grosszügig Wohltaten an ihre Wähler. Den Rentnern beispielsweise schenkten sie Flugreisen, um sie als Wähler zu gewinnen. Das konnte nur schiefgehen.

 

So kam mit Victor Orbán ein Mann legal an die Macht, der nach Nádas eines kann: Die Interessengruppen gegeneinander ausspielen. Entgegen den eigenen Interessen sei er von der Mehrheit immer wieder gewählt worden. Und was mache ein Demokrat, wenn er das nicht verhindern kann, fragt Péter Nádas?

 

Viele Ungarn, wie Nádas, setzen auf Europa. Die Europäische Volkspartei EVP, der auch die Partei Orbáns angehört, handelte. Sie suspendierte die Partei vorerst, ein Rauswurf steht ihr wohl noch bevor. Vom 23. bis zum 26 Mai wählt Europa ein neues Parlament. Auch die Briten werden trotz Brexit wählen. Der demokratische Vorzeigestaat, in dem seit beinahe 700 Jahren im Unterhaus parlamentarische Debatten stattfinden, der auf seine demokratischen Traditionen stolz ist, nimmt an der Wahl zur EU teil, einer Gemeinschaft, vor der sich zumindest die Hälfte der Briten eigentlich verabschieden wollte.

 

Und was die britische Regierung und das Parlament zurzeit der Weltöffentlichkeit vorführen, lassen einen erschaudern. Weder Theresa May, die Premierministerin, weder Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Unter- noch im Oberhaus vermögen als Demokraten zu überzeugen. Statt als Vorbilder, als demokratischer Vorzeigestaat zu wirken, schrecken sie ab, liefern sie Steilvorlagen für die Populisten in Ungarn, in Polen, in Italien, in Frankreich, von der Türkei mit Recep Taygip Erdogan schon gar nicht zu reden.

 

Und wenn selbst in der Schweiz zum ersten Mal in der Geschichte, zum ersten Mal seit 1848, eine Abstimmung wiederholt werden muss, weil die Regierung nicht sorgfältig genug informierte, so ist das ein Zeichen dafür, dass auch wir immer wieder von Neuem sehr sorgfältig mit dem hohen Gut Demokratie umzugehen haben. Gerade auch deshalb, weil wir, wie die Briten, stolz auf eine lange Geschichte der Demokratie zurückblicken können, im Gegensatz zur jungen Demokratie in Ungarn.

 

Fürwahr:„Eine Demokratie braucht Demokraten“, die eines können: Kompromisse schliessen.

 

Péter Nádas: „Leni weint“, erschienen im Rowohlt-Verlag

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