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Weltuntergang zum Lachen oder Fürchten

Naturwissenschaftliche Fakten, künstlerische Phantasien, Endzeitängste und Hollywood-Fiktionen werden im Berner Naturhistorischen Museum nebeneinandergestellt.

«Weltuntergang – Ende ohne Ende», ein Thema, das provoziert, jeden und jede dazu zwingt, Stellung zu beziehen. Ist die Rede vom Weltuntergang nur Panikmache? Steht das Ende unserer Erde kurz bevor? Müssen wir uns darauf vorbereiten und wenn, ja, wie? Das Naturhistorische Museum Bern zeigt Fakten, Konsequenzen und Reaktionen auf und präsentiert damit eine vielschichtige Ausstellung mit einigen Überraschungen.

Das Ende unserer Erde – eine Gewissheit

Der Aufstieg zur Ausstellung ist ungewohnt: Über eine lange Aluminiumtreppe, wie wir sie von Baugerüsten kennen, vorbei an vielen Monitoren mit kurzen Videosequenzen gelangen wir in einen durch Spiegel erweiterten, dreieckigen dunklen Raum, an der Decke Glühbirnen, die in Gelb- und Rottönen aufleuchten und verlöschen – ein faszinierender Anblick. Er symbolisiert das unausweichliche Ende unserer Erde in rund 2 Milliarden Jahren, wenn die Sonne sich zuerst sehr erhitzen und in viereinhalb Milliarden Jahren in einen Roten Riesen verwandeln wird.

Studio TheGreenEyl: Die einzige Gewissheit  © Lisa Schäublin/NMBE

Diese Gewissheit könnte uns fürs Erste beruhigen – wenn es nicht den «ständigen Untergang» gäbe: Die Vorstellungen von einer Endzeit begleiten den Menschen ja seit Urzeiten: Visionen von Propheten, die Apokalypse im Johannes-Evangelium der Bibel sind nur einzelne Beispiele. Das Museum in Bern greift das spätmittelalterliche Tympanon am Eingangsportal des Berner Münsters mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts auf. Gerade in der Zeit, als dieser Bau entstanden ist, waren Endzeitvorstellungen – die Furcht vor einem schrecklichen Ende, aber auch die Hoffnung auf Erlösung – besonders virulent. Dem gegenüber finden die Besucherinnen und Besucher neue Werke, eine Videoarbeit, eine Echtzeit-Medienarbeit oder eine Schau von vierzig Untergangsfilmen aus Hollywood-Studios.

Christoph Beer, Direktor des Naturhistorischen Museums, erklärt, mit dieser Ausstellung werde ein Paradigmenwechsel vorgenommen: Kunst und Gesellschaft sollen in Verbindung gebracht werden, d.h. natur- und kulturwissenschaftliche Aspekte sollen gegenübergestellt werden, eine Betrachtungsweise, welche die heutigen gesellschaftlichen Strukturen prägt. In der Tat durchdringen sich Wissenschaft und Kultur in unserer Gesellschaft mehr und mehr. So hat das kunstvolle Relief des Berner Münsters auch im Naturkundemuseum einen Sinn.

Für die Gestaltung dieser Ausstellung wurde Martin Heller – allen bekannt von der Expo 2002 – und sein Team gewonnen, Kunst und Kultur erhalten somit einen gewichtigen Platz. «Der Weltuntergang geht alle an», stellt Martin Heller fest und fährt fort, dass eine Ausstellung wie diese zwischen fundierter Reflexion und alltäglichen, populären Wahrnehmungen hin- und herpendelt. «Sie darf sich ungeniert mit Trash einlassen und muss doch ernsthaft sein.»

Viele Gefahren bedrohen die Erde

Unsere Erde ist, wie uns allen bewusst ist, auch extraterrestrisch gefährdet: Meteoriteneinschläge können verheerend wirken. Man vermutet ja, dass durch ein solches Ereignis die Dinosaurier ausgestorben sind, aber auch Vulkanausbrüche sind sehr reale und ernstzunehmende Gefahren für das Leben auf unserem blauen Planeten. – Das Foto der Erde, das Astronauten 1972 im Weltall gemacht haben, hängt in diesem Raum. Es ist inzwischen zum Symbol geworden für die Verletzlichkeit der Erde und gilt als Aufruf zu Sorgfalt im Umgang mit unseren Ressourcen und zur Pflege der Umwelt. Die Atombombenabwürfe und -tests dienen da als abschreckendes Beispiel, das nicht wiederholt werden sollte, hoffen wir zumindest!

Der Einfallsreichtum der Ausstellungsmacher zeigt sich in erstaunlichen Gegenständen, beispielsweise einem überdimensionierten Hühnerskelett im 3D-Druck, mit der Idee, dass nämlich zukünftige Archäologen, die nach der Nahrung der Menschen im beginnenden 21. Jahrhundert graben, übermässig viele Hühnerknochen finden werden. – Es darf geschmunzelt werden!

Andreas Greiner: 3D-Druck eines Industrie-Masthuhns. © Lisa Schäublin/NMBE

Durch Naturkatastrophen gab es im Laufe der Erdgeschichte immer wieder Perioden von Massensterben, neben den Dinosauriern urzeitliche Riesenfische, Ammoniten. Der letzte Schaukasten dieser Sequenz zeigt den Schädel eines Nördlichen Breitmaulnashorns, von dem nur noch drei Tiere leben, die beiden Kühe sind unfruchtbar. «Wahrscheinlich erleben wir derzeit das sechste Sterben, ausgelöst durch das Verhalten des Menschen»,heisst es im Museumstext. Davon lesen und hören wir allenthalben, viele Vögel sind schon verschwunden. Gerade kürzlich wurde bekannt, dass die Menge der Insekten in mitteleuropäischen Biotopen um 75% abgenommen hat. Eine alarmierende Nachricht, denn die Konsequenzen gehören auch in den Kontext «Weltuntergang – Ende ohne Ende».

 

 

Der taumelnde Mensch

Der «Weltuntergang» wird im Berner Museum nicht nur als dramatisches, ja tragisches Ende dargestellt, sondern es zeigt auch die fröhlichen, überdrehten, sarkastischen Reaktionen darauf, Zarah Leander singt 1942 «Davon geht die Welt nicht unter». Schliesslich gibt es auch die Gruppen von Menschen, die sich minutiös darauf vorbereiten, bei einer Katastrophe für alle Fälle gerüstet zu sein. Man nennt sie die «Prepper» (‹to prepare›, sich vorbereiten), sie wirken unfreiwillig komisch. Oder diejenigen, die auf einem Vulkan auf Hawaii trainieren, um sich auf eine Auswanderung auf den Mars vorzubereiten.

Ingo Günther: Worldprocessor © Lisa Schäublin/NMBE

Der Gang durch die Räume gleicht wahrhaftig einem «interdisziplinären apokalyptischen Wechselbad», wie Frerk Froböse von Heller Enterprises treffend formuliert. Erfüllt die Ausstellung damit auch die Erwartungen der Besucherinnen und Besucher? Spannend ist der Rundgang allemal, besonders wenn man sich über all die Trivialitäten amüsieren kann. «Weltuntergang» besitzt nun einmal diese Ambiguität. Eine Ausstellung allein zu den nackten naturwissenschaftlichen Fakten wäre wohl für das Publikum, das zum Besuch verlockt werden soll, zu trocken, zu abgehoben – und zu pessimistisch geworden. Dem steht eigentlich eine philosophische Weisheit entgegen: Lebe im Hier und Jetzt. Bazon Brook empfiehlt «apokalyptisches Denken». – Jedoch: Dafür würde wohl niemand eine solche Ausstellung besuchen. So amüsieren wir uns denn über diejenigen, die sich die abstrusesten Vorstellungen machen. Mit der Einschränkung, dass die ernsthafte Information zuweilen zu kurz kommt. So hätte ich mir zu den leuchtenden Globen von Ingo Günther ausführlichere Erklärungen gewünscht und an einigen Orten wäre durch weniger Material mehr Aussage möglich gewesen.

Beni Bischof, Teeth Fist Money © Lisa Schäublin/NMBE

Den Besucherinnen und Besuchern bleibt genug Zeit, alles genauestens zu studieren, denn diese ambitionierte Ausstellung ist auf fünf Jahre angelegt. In jedem Jahr gestaltet ein anderer Künstler den letzten Raum. Den Anfang macht Beni Bischof aus St. Gallen, der ganz im Sinne des Konzepts Banales, Groteskes, aber auch Sympathisches in einer Installation zusammenbringt.

Die Ausstellung «Weltuntergang – Ende ohne Ende» im Naturhistorischen Museum Bern wird bis 10. November 2022 zu sehen sein.

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