Western

Deutsche Bauarbeiter begegnen auf Montage in Bulgarien Männern und Frauen vor Ort. Die deutsche Regisseurin Valeska Grisebach schildert in «Western» einfühlsam, was sich abspielt.

Was passiert, wenn eine Gruppe deutscher Bauarbeiter auf einer Auslandbaustelle auf Montage ist? In der bulgarischen Provinz, wo sie die Sprache der Menschen vor Ort nicht verstehen, obwohl dies für ihren Einsatz nötig wäre. Das Baugelände, auf dem sie sich Tag und Nacht aufhalten, bildet einem geschlossenen Kosmos mit eigenen Spielregeln, in dem Frauen physisch meist abwesend, in der Fantasie jedoch anwesend sind. Mit Meinhard und Vincent im Mittelpunkt und ihren Kollegen schafft die Regisseurin Valeska Grisebach nicht nur eine Annäherung an das Genre des Western. Sie führt dem Publikum auch vor Augen, wie unterschiedlich wir fremden Menschen und Kulturen begegnen und welche Beziehungen daraus entstehen können. Meinhard etwa verkörpert den Helden und ist dennoch atypisch, nicht mehr der Jüngste und nicht der Auffälligste in der Gruppe, welche der Bauführer Vincent um sich versammelt hat. Kaum schlägt man sich auf seine Seite, zeigt er sich von seiner schwachen Seite und umgekehrt. Und so merkt man, dass in dieser Geschichte niemand perfekt ist, was uns den ganze Film sympathisch macht. Nicht zuletzt auch dank der starken Präsenz der Laiendarsteller aus Deutschland und vor Ort.

Eine Frau erzählt Männergeschichten

Männer in der Freiheit, der eine oben, der andere unten

Die Filmemacherin Valeska Grisebach, 1968 in Bremen geboren, der Berliner Schule zugehörig, arbeitet anders als die meisten andern. Für sie beginnt alles mit einer Idee, einem Thema. In diesem Fall wollte sie einen modernen, zeitgenössischen Western machen und darin untersuchen, was passiert, wenn alltägliche, mehr oder meist weniger funktionierende Kommunikation sich in eine Schlägerei, dann in ein Duell verwandelt und schliesslich in einem Dorffest endet. Dafür benötigte sie lange Recherchen, geduldige Erkundungen der Orte und Charaktere. Zu keinem Zeitpunkt gab es ein klassisches Drehbuch, sie arbeitete stets auf der Grundlage eines Treatments, mit einem ausgearbeiteten narrativen Gerüst, mit Leerstellen und offenen Räumen. Das bedeutet bei einem Spielfilm eine Herausforderung für die Entwicklung der Geschichte, die Dreharbeiten und die Finanzierung, an welcher sich auch Maren Ades, die Regisseurin von «Toni Erdmann», mit ihrer Firma beteiligt hat.

Grisebachs drei bisherige Filme zeichnen sich durch Intensität und Einfachheit aus; Komplexität und Vielschichtigkeit liegen unter einer fast archaischen Sprachstruktur. Ihre Helden, respektive Antihelden, werfen uns auf uns zurück und berühren Grundlegendes. Sie arbeitet mit Laien-Schauspielern. Die Bauarbeiter in «Western» sind im wirklichen Leben Handwerker, meist auf dem Bau und mit grossen Maschinen beschäftigt. Im Film sind sie jedoch Schauspieler, für die jede Einstellung geplant ist und jede Szene wiederholt wird, bis die Regisseurin mit dem Ergebnis zufrieden ist. Das Casting dafür hat deshalb mehrere Jahre gedauert: «Wir haben uns über 600 Männer und Frauen angeschaut, bis wir unsere Schauspieler gefunden haben, allen voran die Hauptdarsteller Meinhard Neumann (im Film Meinhard) und Reinhardt Wetrek (im Film Vincent). Die meisten kommen aus dem früheren Ost-Berlin. Für viele war es das erste Mal, dass sie aus Deutschland herausgekommen sind. Die bulgarischen Darsteller und Darstellerinnen kommen von Petrelik und Umgebung, wo der Film handelt.

Der Western als Lebensform

Handwerker im Privatleben und im Film

Western spielen mehrheitlich draussen, im Freien, in der Freiheit. Auch der Film «Western» hat nur zwei Innenszenen. Der Dreh dauerte 45 Tage, chronologisch gedreht, um den Schauspielern die Möglichkeit zu geben, in ihre Rollen hineinzuwachsen. Der grobe Drehplan ging von drei Phasen der Geschichte aus: Ankunft, Entdeckung, Duell. «In dieser abgelegenen Region von Bulgarien, in der wir während des Drehs lebten, hatte man oft das Gefühl, man befinde sich am Rand der Zivilisation.» Auch das ein klassisches Element des Western. Es bieten sich auch Möglichkeiten, seine Sehnsucht nach Ungebundenheit und Freiheit auszudrücken. «Ich bin mein eigener Held. Kann ich hier ein neues Leben beginnen?» Solche Fantasien schweben über den Handlungen. Die Regisseurin beobachtet intensiv, wie sich die unterschiedlichen Menschen und Kulturen argwöhnisch beäugen, mit machohaften und sexistischen Anspielungen sich zaghaft annähern. Besonders Meinhard, der damit auch immer wieder für Probleme sorgt. Er versucht, auf die Dorfbewohner zuzugehen, sich auch einer jungen Frau zu nähern. Er findet Anerkennung und Freunde, landet aber bei seinen Kollegen auch mal zwischen die Fronten. Der Film pendelt in den Gesprächen zwischen «Wir werden uns schon irgendwie verstehen» und kommunikativen Leerläufen und ungewollten Verwirrspielen. Solche Verhaltensweisen beinhalten oft eine gleichnishafte Bedeutung.

Meinhard, mit einer Einheimischen im Gespräch

Aus einem Gespräch mit der Regisseurin

Was war der Impuls zu dieser Reise?

Es gab unterschiedliche Fährten, die zu diesem Film geführt und sich zu einer Geschichte verknüpft haben. Da war zum einen das Genre Western, mit dem ich vor dem Fernseher in den 70er Jahren in West-Berlin gross geworden bin, und das bis heute ungebrochen eine eigenartig heimelige Faszination auf mich ausübt und den Wunsch ausgelöst hat, dorthin zurückzukehren, wie an einen Ort, an dem man einmal war. Als Mädchen habe ich mich mit dem Helden identifiziert und gleichzeitig für ihn geschwärmt, also war ich auch immer etwas ausgeschlossen. Vielleicht war dieser Zwiespalt auch Teil meiner Faszination, mich diesem männlichen Genre zuzuwenden. Ich wollte den einsamen, überhöhten, oft melancholischen Männerfiguren aus dem Western näherkommen. All das hat korrespondiert mit dem Thema der latenten Fremdenfeindlichkeit. Mich hat dieses Deutsch-Sein interessiert, das sich manchmal in einem diffusen Gefühl der Stärke und der Überlegenheit äussert. Der Impuls, sich oben zu positionieren und abzugrenzen: im Moment, wenn Verachtung an die Stelle von Mitgefühl tritt. Die Idee, eine Gruppe deutscher Männer ins Ausland auf Montage in ein unbekanntes Terrain zu versetzen, wo sie selber fremd und mit ihren Vorurteilen und ihrem Misstrauen konfrontiert sind, gab mir Zugang zum Thema und eine passende Ausgangssituation für die Geschichte.

Inwieweit verkörpern Meinhard und sein Kontrahent Vincent Elemente des Westerns?

Ich hatte Lust auf einen Helden, der nicht mehr ganz jung ist und der das Gefühl hat, dass das Leben ihm noch ein Abenteuer schuldet. Ein Held, der mit seinem Opportunismus und seiner Angst zu kämpfen hat. Ein grosser Mann, dessen Pose und attraktives Äusseres die Blicke auf sich ziehen, der aussieht wie ein Anführer, aber auch den kleinen Mann in sich trägt, der in der Masse verschwinden und nicht auffallen möchte. Jemand, der eingesteckt hat und trotzdem noch träumt. Er ist eine Figur, die auch eine asoziale, narzisstische Seite in sich trägt. Diesem Spannungsverhältnis zwischen dem, wer man sein möchte, und dem, der man dann über seine Taten oder im Affekt ist, wollte ich die Figur aussetzen.

Wie sehen Sie die Konfrontation von Fiktion und Wirklichkeit, von Realismus und Überhöhung?

Die Reise der deutschen Männer auf eine Auslandsbaustelle verstehe ich nicht als eine rein realistische Situation. Mich hat dieses Motiv in seiner Überhöhung interessiert: Die Landschaft sollte auf den ersten Blick fremd und faszinierend wirken, sollte die Männer unmittelbar in Szene setzen. Sie wirken plötzlich anders als zu Hause. Für einen kurzen Moment können sie sich der Illusion hingeben, allein zu sein und die Landschaft durch ihre Entdeckung in Besitz zu nehmen. Über die Inszenierung und Bildgestaltung wollten wir so einen zeitlosen, abenteuerlichen Raum aufmachen, der neben der Arbeit auf der Baustelle vor allem die Fantasiewelten und Projektionen von Meinhard und der Gruppe erzählt.

Titelbild: Meinhard auf dem zugelaufenen Schimmel

Regie: Valeska Grisebach, Produktion: 2017, Länge: 119 min, Verleih: trigon-film.org

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