StartseiteMagazinKulturWie die Zeit verrinnt

Wie die Zeit verrinnt

Unter dem Oberbegriff «Zeitspuren – The Power of Now» zeigen drei Museen in der Uhrenstadt Biel aktuelle Kunstwerke, Bilder und Dokumente aus früheren Zeiten.

Unsere Sprache wimmelt von Formulierungen, die einen Aspekt des vergänglichen, stets fliessenden und schwer fassbaren Phänomens ‹Zeit› ausdrücken. Zeit strukturiert den Alltag, ist ein immer wiederkehrendes Thema in Philosophie und Literatur, in den Wissenschaften und den bildenden Künsten. In Biel widmen sich das Centre Pasquart, das Photoforum und das Neue Museum jedes in seiner Art diesem schier unerschöpflichen Thema.

Ausstellungsansicht  © Charlotte Falcy / Photoforum 2018

Perfect Time Ahead – Photoforum

Ein ebenso kluges wie witziges Konzept hat Danaé Panchaud, seit Anfang 2018 Direktorin des Photoforums Pasquart gewählt: Sie schränkt das Thema auf die Werbefotografie der Uhrenindustrie – vorwiegend zweier in Biel ansässiger Uhrenmarken – im 20. Jahrhundert ein. Erkennbar werden dabei die technischen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts, historische Ereignisse wie der erste Weltkrieg oder die Flüge zum Mond. Eine Uhr – besonders eine edle aus dem höheren Preissegment – ist ein Statussymbol und verweist auf die sozialen Verhältnisse. Werbung für Uhren dokumentiert auch ein Stück Geschichte, wenn sie seit den 1970er Jahren zuweilen Themen wie Gleichberechtigung –die moderne Frau trägt im Alltag eine teure Uhr – oder Umweltschutz aufgreift. In gewisser Weise wird die Uhr stets als Statussymbol präsentiert, zusammen mit Berühmtheiten oder Spitzensportlern. Daneben steht die Uhr für technischen Fortschritt, sei es zunächst die wasserdichte Uhr, später die Entwicklung der elektronischen Uhr mit unzähligen Funktionen.

Die Werbekampagnen fielen damals wie heute auf – die Fotografien anzuschauen, wird bei vielen Besucherinnen und Besuchern Erinnerungen wecken. Aus der Distanz von einem oder mehreren Jahrzehnten regen viele Darstellungen, seien es Zeitungsreklamen oder Fernsehbilder, zum Schmunzeln an.

Ausstellungsplakat NMB

Von Zeit zu Zeit – Neues Museum Biel

Stadt- und Sozialgeschichte, ganz besonders Bieler Industriegeschichte, aber auch Archäologie des Seelandes, Kunst des Juraraumes – das Neue Museum hat viele Schwerpunkte. Entsprechend weit gefasst ist dementsprechend der Rahmen dieser Ausstellung. Da hier eben auch die Entwicklung der Uhrenindustrie einen wichtigen Schwerpunkt bildet, sehen wir in der Ausstellung eine Menge alte, neue und avantgardistische Beispiele der Zeitmessung. Wir sollten nicht vergessen, dass eine Bieler Uhrenmarke schon früh als offizielle Zeitmesserin bei internationalen Sportanlässen zum Zuge kam.

Dieser Ausstellungsteil überhäuft uns gleichsam mit Informationen zu zahlreichen Begriffen rund um ‹Zeit›. Neben Informationen und Darstellungen zur Entwicklung der genauesten Uhr, der Atomuhr, wird auch ‹Erinnerung› einbezogen mit einem Madeleine-Gebäck aus dem Jahrhundert-Oeuvre von Marcel Proust und einem kleinen Test zu Kindheitserinnerungen in Form von Gerüchen.

. . .  als die Zielfotos aufkamen. © Patrick Weyeneth, NMB

Wem vor der Vielzahl von Zeitbegriffen der Kopf noch nicht raucht, dem sei ein Interview-Video empfohlen, dessen Bildschirm der Künstler Tim Velten absichtlich in die Rumpelkammer des Museums platziert haben wollte. Hier geht es um ‹Chronobiologie› und um den Prozess des Alterns, dem alles Leben unterworfen ist und den die ästhetische Chirurgie aufzuhalten versucht. In seiner Arbeit Ferdinand hinterfragt Tim Velten den Wert solchen Tuns in einem Gespräch mit einem bekannten Schönheitschirurgen.

Zeitspuren – The Power of Now – Centre Pasquart

Zeitmessung macht sich auch der junge Schweizer Künstler Julian Charrière, geboren 1987, zum Gegenstand seiner Kunst. Er lässt sich vom ältesten andauernden Experiment der Wissenschaftsgeschichte inspirieren: dem Pechtropfenexperiment. Pech, eigentlich steinhart, verändert im Laufe der Jahre seinen Aggregatszustand und tropft wie eine Flüssigkeit. Pitch Dropist eine mannshohe Sanduhr, die oben mit Pech gefüllt ist und wo in ca. zehn Jahren ein Tropfen herabfallen wird – ein Hinweis auf eine für unseren Alltag ungewöhnliche Zeitskala. Zugleich ein Hinweis auf schleichende Umweltverschmutzung, denn das Pech, das den Asphalt zusammenhält, ist hochgiftig.

Von Charrière sehen wir an einem anderen Platz dieser Ausstellung ein weiteres Werk, das die Beziehung von Natur und Mensch in seinem Hang zu industriellen, zerstörerischen Aktionen zeigt, in diesem Fall die Atomversuche auf den pazifischen Atollen in den 1950er Jahren. Die hellen Flecken symbolisieren die atomare Verseuchung.

Julian Charrière, Union – First Light, 2016. Inkjet-Druck auf Hahnemühle Photo Rag, aufgezogen auf Alu-Dibond, furnierter Red Palmira Rahmen, anti-reflexives Glas. 153.8 x 191.3 cm. Courtesy the artist and Galerie Tschudi, Zuoz.  © VG Bild-Kunst, Bonn

David Horwitz, ein Künstler, der gewöhnlich in Los Angeles lebt, dokumentiert in Fotos seinen Alltag in Irland, wo ihm ein Künstleraufenthalt zugesprochen war. Er richtete sich aber nicht nach der Lokalzeit, sondern hielt an ’seiner› kalifornischen Zeit fest, acht Stunden Differenz, was sein Leben äusserst kompliziert gestaltete. Auch von Horwitz sind noch weitere Werke zu sehen.

Der deutsche Maler Peter Dreher, geboren 1932, hat in fast vierzig Jahren immer wieder dasselbe leere Glas gemalt. Das Museum zeigt eine Reihe dieser fast gleichen Gemälde, insgesamt sind es über 5’000 Stück. Indem der Maler immer wieder das Gleiche malt, kann er sich auf Nuancen von Licht und Farbe konzentrieren, je nach Jahreszeit und Sonnenstand. Das Malen versteht er als meditative Reflexion über den Ablauf der Tage und damit unseres Lebens.

Peter Dreher, Tag um Tag guter Tag II, 2011. Ölgemälde auf Sackleinen je 25.1 x 20 cm. Leihgabe aus Privatbesitz. Foto: Anita Vozza

Noch ein Beispiel einer Uhr, die nicht ganz alltagstauglich ist: Das Kollektiv Raqs Media Collective hat eine Uhr konstruiert, die die Zeitintervalle mit Wörtern, Licht und synkopierten Stromimpulsen modifiziert. Dadurch erhält die verstreichende Zeit einen neuen Rhythmus, die gewöhnlichen Ziffern einer Uhr werden überflüssig. Der Titel The Ecliptic bezieht sich auch in diesem Werk auf den Lauf der Sonne und dem Wechsel der Jahreszeiten. – An verschiedenen Orten treffen wir auf diesen uranfänglichen Rhythmus der sich drehenden Erde.

RAQS MEDIA COLLECTIVE, The Ecliptic, 2014. Uhrwerk, Aluminum, Acryl, LED Leuchten 55 x 15 cm Courtesy the artists and Frith Street Gallery, London Fotos: Steve White

Die Ausstellung im Centre Pasquart, kuratiert von der Direktorin Felicity Lunn und Samuel Leuenberger, will visuelle Interpretationen in Bezug auf aktuelle Themen vorführen und die ästhetische, materielle und kulturelle Bedeutung in unserer Gegenwart beleuchten. Die Vielfalt der Installationen, Videos, Fotografien, Performances und Malerei überwältigen uns schier.

Dieser Teil der Zeitspuren versammelt Arbeiten, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind, insgesamt Werke von 34 Künstlerinnen und Künstlern. Werke unterschiedlichster Art, in der Eingangshalle beispielsweise 47 an einer Schnur aufgehängte Bronzeglocken, die aus einer eingeschmolzenen französischen Glocke von 1742 gegossen wurden. Oder drei Metronome nebeneinander, die auf unterschiedliche Taktgeschwindigkeiten eingestellt sind.

Es ist eine Fülle, ja Überfülle, der sich die Besucherinnen und Besucher in dieser Ausstellung gegenübersehen. Dabei könnten Raffinesse und Witz einzelner Werke leicht übersehen werden. Eine letzte Bemerkung: In Biel, der Stadt, die auf ihre Zweisprachigkeit stolz ist, werden drei Ausstellungen gestaltet, die überwiegend Englisch betitelte Werke zeigen, ganz zu schweigen vom Gesamttitel selbst. – Das Französische bleibt vielerorts auf kleine Beschriftungen beschränkt. Schade.

Die Kuratorinnen haben ein umfangreiches Begleitprogramm zusammengestellt.

Die Ausstellungen dauern unterschiedlich lang:
Zeitspuren – The Power of Now (Centre Pasquart) und
Perfect Time Ahead (Photoforum): bis 18. November 2018
Von Zeit zu Zeit (Neues Museum Biel): bis 27. Januar 2019

Rabatt über Seniorweb

Beim Kauf einer Limmex-Notruf-Uhr erhalten Sie CHF 100.—Rabatt.

Verlangen Sie unter info@seniorweb.ch einen Gutschein Code. Diesen können Sie im Limmex-Online-Shop einlösen.

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein