StartseiteMagazinKulturZeitlose Ausweglosigkeit

Zeitlose Ausweglosigkeit

Altmeister Werner Düggelin (89) inszeniert zum Saisonauftakt in der Schiffbau-Box des Zürcher Schauspielhauses Georg Büchners einzigen Erzähltext «Lenz».

Die Erzählung «Lenz», erschienen 1839, zwei Jahre nach Büchners Tod, handelt von den Winterwochen, die der psychisch kranke Lenz 1778 bei dem Reformpfarrer Johann Friedrich Oberlin im Elsass verbrachte. Anfangs lindert die Natur und das Wesen des Pfarrers die Leiden Lenz’, der Glauben scheint ihm Halt zu geben, aber nur vorübergehend. Angstzustände, Schuldgefühle und Wahnvorstellungen traktieren ihn, er versucht sich im Brunnen zu ertränken, stürzt sich aus dem Fenster, will ein gestorbenes Kind zum Leben erwecken und wird von der Wucht seiner Ohnmacht niedergedrückt. Büchner schreibt in Seelenverwandtschaft: „Lenz musste laut lachen, und mit dem Lachen griff der Atheismus in ihn und fasste ihn ganz sicher und ruhig und fest.“ Das klingt nach Vernichtung.

Von links: André Jung als Erzähler, Jirka Zett als Pfarrer Oberlin, Jan Bluthardt als Lenz. (Fotos: Yves Binet)

Keine unnötige Dramatisierung

Die Beklemmung steht auf der Bühne, die innere Leere, das mal schmerzvolle, mal schmerzlose Verlorensein. Lenzens Unmöglichkeit, Griffe zu finden, um sich zurück ins Diesseits zu ziehen – Düggelin konzentriert sich ganz auf diesen inneren Kampf. Auf der ganz in Weiss gehaltenen und hell beleuchteten Bühne mit Podestaufbau, bestückt einzig mit Tisch, Bank, Sessel und Bett, nimmt der Erzähler André Jung eine dominante Rolle ein. Ruhig, aber intensiv und spannend bis zum Schluss, schildert er die biographische «Lenz»-Erzählung des nachgeborenen Dichters Büchner, mal ablesend am Tisch, mal frei auf- und abgehend. Zuvor erzählt er die Entstehungsgeschichte von Büchners einzigem Erzähltext, von der brieflich verbürgten Vorgeschichte des Sturm-und-Drang-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 – 1792), die Büchner zum Stoff seiner Erzählung machte. Da kommt keine unnötige Dramatisierung auf. Die beiden Hauptdarsteller (Jan Bluthardt als Lenz und Jirka Zett als Pfarrer Oberlin) wirken wie dazugestellt, spielen lediglich einzelne Passagen der Erzählung, gesellen sich ab und zu zum Erzähler an den Tisch und lesen mit.

André Jung als neutraler Beobachter

Düggelin setzt ganz auf die Wirksamkeit des Textes, verrührt diesen nicht mit spektakulären Einlagen, um die Gespaltenheit des Protagonisten zu demonstrieren. Nüchtern und verhalten wird das von Büchner so schmerzklug dokumentierte Nerven- und Seelenleiden eines wirklichen Menschen wiedergegeben. André Jung wirkt wie ein neutraler, kühler Beobachter, der die Leiden von Lenz scheinbar routiniert und emotionslos nacherzählt.  Jan Bluthardt gestaltet seinen Lenz zurückhaltend und schmerzverzerrt, zeigt das innere Wüten, ohne selbst wüten zu müssen, und bewahrt der ausgelieferten Figur etwas unergründlich Rätselhaftes. Jirka Zett gibt einen väterlichen und etwas hilflosen Pfarrer Oberlin, der tiefes Mitleid für den Kranken empfindet und keine andere Lösung sieht, als Lenz nach Strassburg zu bringen.

Die knapp einstündige Aufführung besticht durch ihre Schlichtheit und Zurückhaltung. Da sind keine Heute-Bezüge, keine raffinierten Textimplantate. Mehr braucht es nicht, um zeitlose Ausweglosigkeit zu gegenwärtigen. Dafür gabs am Premierenabend warmen Applaus.

Weitere Spieldaten: 17., 19., 20., 26., September, 1., 2., 4., 7., 10., 12., 14., 16., 17. Oktober

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