StartseiteMagazinKulturDeutscher Expressionismus im Aargauer Kunsthaus

Deutscher Expressionismus im Aargauer Kunsthaus

Werke von Kirchner, Pechstein, Otto Müller aus zwei Sammlungen

Über die einmalige Rundtreppe mit dem eleganten schwarzen Handlauf geht es hoch zum ersten Obergeschoss direkt Back to Paradise. So heisst die Sommerausstellung des Aargauer Kunsthauses, die den deutschen Expressionismus mit einer Auswahl hochkarätiger Werke aus zwei Sammlungen präsentiert, nämlich der Sammlung Häuptli aus Aarau und der Sammlung Osthaus Museum Hagen.

Max Pechstein: Liegendes Mädchen, 1910. Aargauer Kunsthaus Aarau © Pechstein Hamburg/Toekendorf/2017 ProLitteris

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts denken sich Künstler einen Gegenpol zur bürgerlich-wilhelminischen Gesellschaft und zur Industrialisierung aus, die zu sozialem Elend der einen, zu unermesslichem Reichtum der andern und letztlich zur Hochrüstung für den Krieg führt. In ihrer Ablehnung dieser Gesellschaft suchen die Künstler Wahrhaftigkeit, nicht das Abbild, stellen die Subjektivität ins Zentrum und geben ihrer Vision, ihrem Gefühl in ausdrucksstarke Farben und abstrahierenden Formen eine neue Bildsprache. Es ist die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, die sich auch in ihrer Lebens- und Arbeitsweise ausdrückt: Gemalt wird im Freien, gelebt in Künstlergruppen, gesucht wird der Ausgleich mit der Natur. Max Pechstein: «Wir lebten in absoluter Harmonie, arbeiteten und badeten.»

Ernst Ludwig Kirchner: Bildnis Erich Heckel, 1910. Courtesy Osthaus Museum Hagen & Institut für Kulturaustausch, Tübingen. Foto: Achim Kukulies

Mit der umfangreichen Sammlung von Valerie und Othmar Häuptli kamen 1983 auch rund hundert Werke des deutschen Expressionismus ins Aargauer Kunsthaus. Einige davon, beispielsweise Bilder der Brücke-Maler Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein, Karl Schmitt-Roloff und anderen sind regelmässig in Sammlungsausstellungen zu sehen, auch wenn sie nicht der Sammlungspolitik des Museums entsprechen, nur Schweizer Kunst zu erwerben. Ähnlich aufgebaut ist das nach 1945 entstandene Konvolut in Hagen, dessen Kern herausragende Werke des deutschen Expressionismus sind. Ein damals schon berühmter Schweizer Maler liess sich überzeugen, der Brücke beizutreten, nämlich Cuno Amiet. Er konnte den deutschen Künstlern damals von den Strömungen in der Kunstmetropole Paris berichten.

Beide Sammlungen ergänzen sich auf kongeniale Weise, eine gemeinsame Ausstellung ohne Leihgaben von anderswo ist mehr als eine gute Idee. Das wird in der von Kurator Thomas Schmutz gestalteten Ausstellung für jeden Besucher erfahrbar. Es gibt Räume, wo zusammenkommt, was einst zusammengehörte: So hängen beispielsweise Aargauer Landschaften von Erich Heckel oder Akte von Jugendlichen im Freien von Otto Müller neben gleichartigen aus Hagen. Wer weiss, vielleicht standen diese Bilder einst zusammen in den Ateliers.

Im Obergeschoss des Baus von 1959 sind die Räume gegeben, also ist Malerei in den grösseren, Papierarbeiten, darunter Aquarelle aus der Südsee von Max Pechstein oder Emil Nolde und faszinierende Holzschnitte und Lithos in den kleineren ausgestellt. Hierzulande wohl noch kaum je ausgestellt wurde die Berliner Reise von Max Beckmann: Diese zehn Lithografien aus dem Jahr 1922, die das ganze Leben der Großstadt von der Gosse bis zu den Reichen sowie den politischen Richtungskampf erzählen, sind mir das Hauptereignis der Ausstellung, die doch voller Preziosen ist, beispielsweise Pechsteins Liegendes Mädchen(1910), Kirchners Erna mit Japanschirm (1913) oder sein Porträt von Erich Heckel (1910); ein aussergewöhnliches Format zeigt den Malerfreund im dunklenSonntagsgewand mit überlangen Beinen auf einem hellen Weg ausschreitend.

Alexej von Jawlensky: Mädchenkopf mit rotem Turban und gelber Agraffe, um 1912. Courtesy Osthaus Museum Hagen & Institut für Kulturaustausch, Tübingen. Foto: Achim Kukulies

Eine Ikone der expressionistischen Malerei beherrscht den Raum mit Amiets ebenfalls ikonischer Apfelernte, nämlich Alexej von Jawlenskys Mädchenkopf mit rotem Turban und gelber Agraffe (1912). Während die Bilder aus Hagen kaum je in die Schweiz gereist waren, also für die meisten Besucher neu sind, kann das Aargauer Kunsthaus seinerseits Expressionismus-Malerei der Basler Gruppe Rot-Blau zeigen, die bislang zwar in der Schweiz gesammelt, nicht aber gezeigt wurde; das eine der „Schweizer Fenster“ ist Hermann Scherer gewidmet, das andere Paul Camenisch, von denen bedeutende Konvolute als Dauerleihgabe oder Schenkung unlängst nach Aarau gekommen sind.

Blick in den Hermann-Scherer-Raum. Foto: © E. Caflisch

Paul Camenischs Architektur-Aquarelle aus den frühen 20er Jahren zeigen leuchtend farbige futuristische Hochhäuser-Cities, die in ihrer Verdichtung trotz der sonnigen Farbpalette auch bedrohlich wirken. Das Highlight ist freilich Das Brautpaar von 1928 – zwei traurige, einsame Figuren, die den Betrachter voller Angst anblicken.

Im Scherer-Raum steht die bekannte Holzplastik Mutter von 1924 im Zentrum, drum herum Landschaften und Personendarstellungen in leuchtend-kraftvollen Farben. Der Wahlbasler Scherer begegnete beim Aufbau einer Ausstellung in der Basler Kunsthalle 1923 dem damals bereits in Davos lebenden Kirchner und besuchte ihn mehrmals. Auch Hermann Scherers Atelierbilder mit Selbstporträts zeugen von Unglück und Verzweiflung, Scherer starb an einer Infektion mit 34 Jahren. Das Paradies finden die Expressionisten mitunter nicht im Dasein, sondern in ihren Visionen von einem Leben in Harmonie mit der Natur.

Paul Camenisch: Das Brautpaar (Oblomow und Olga), 1928. Aargauer Kunsthaus, Aarau / Schenkung Martha Camenisch

Aus der Sammlung von Walter Labhart werden in Vitrinen ausserdem Bücher aus der Zeit gezeigt, illustriert mit Grafik die als Originalabzug gleich darüber hängt. Labhart, der eher als Musikalien-Sammler bekannt ist, steuert Ideen für eine Lesung sowie für ein Konzert bei. Der Katalog zur Ausstellung Back to Paradise. Meisterwerke des Expressionismus aus dem Aargauer Kunsthaus und dem Osthaus Museum Hagen ist beim Bildmaterial umfangreicher als die Präsentation; Die Ausstellung wird nach Aarau in Schweinfurt gezeigt, wo der Schweizer Anteil zugunsten des Künstlers Christian Rohlfs verkleinert wird.

26. August bis 3. September
Vernissage: 25. August, 18 Uhr
Angaben zum Rahmenprogramm (Führungen, Konzert, Lesung) finden Sie hier.
Teaserbild: Emil Nolde: Mann und Weibchen, Holzschnitt 1912, Osthaus Museum Hagen

Die grosse Sonderausstellung Swiss Pop Art dauert noch bis zum 1. Oktober

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