Ein Chor-Konzert mit historischen Inhalten und aktuellen Bezügen zur Befindlichkeit gegenüber der Einwanderung.
Mit der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiave tun sich Bund und Wirtschaft, Gewerkschaften und Wissenschaft schwer, und bereits steht die nächste Volksbefragung mit ähnlichem Inhalt an, die so genannte Eco-Pop Initiative. Der Zürcher Chor Kultur & Volk, der vor 40 Jahren im Umfeld der linken politischen Bewegung Zürichs gegründet wurde, versucht immer wieder, aktuelle Themen aufzugreifen und mit den Mitteln eines Laienchors umzusetzen.
Der Chor Kultur & Volk 2013 im Theater Rigiblick © KUV
Diesmal heisst das Programm Canti politici e sociali, Ein italienischer Liederabend. Er findet am 11. April in der Casa d’Italia, dem Schul- und Gesellschaftsbau der italienischen Einwanderer in Zürich statt.
Im Sommer 1914 wurde der erste Weltkrieg mehr oder minder vom Zaun gebrochen. Italien, welches eigentlich mit dem Habsburgerreich verbündet war, erklärte Österreich-Ungarn ein knappes Jahr später den Krieg – mit schrecklichen Folgen für das erst wenige Jahrzehnte alte Königreich. In den Stellungskriegen am Isonzo, in den Dolomiten, am Stilfserjoch wurden zwei Jahre lang praktisch keine Gebietsgewinne gemacht, aber beidseits rund eine Million Menschen vernichtet. Viele Soldaten kamen dabei unter Lawinen, erfroren im für sie ungewohnten Hochgebirgswinter, wurden durch Krankheiten dahingerafft. Stellungen der Gegner auf Berggipfeln wurden von unten her mit Tunnelbau gesprengt – noch heute finden Berggänger in den Dolomiten und im Bergland von Slowenien massenweise Waffenreste oder Bunkerruinen. Einen Eindruck gibt nebst Dokumentar-Aufnahmen der Spielfilm Berge in Flammen, den der heil aus dem Krieg zurückgekehrte, später verfehmte Südtiroler Luis Trenker nach seinem Roman produzierte.
Saisonnier-Unterkunft. Foto: Schaak Lothar, 1973
Hier setzt das Konzert ein – mit einem Lied über einen Kriegsversehrten, der insofern Glück im Unglück hatte, als er, zwar ein Krüppel, überlebte, während die meisten anderen gleich auf dem Kriegsfriedhof auf dem Cimitero della Gioventù gleich hinter der Front landeten. Folge des Kriegs für Italien war unermessliche Armut, der Gegensatz eines feudalen Südens mit fast sklavenartiger Struktur in den Latifundien, und eines industrialisierten Nordens, der die Massen aus dem Süden weder absorbieren noch ernähren wollte und konnte.
Süditalienische Landarbeiter-Versammlung. Foto Giuseppe Cisterna, 2013
Was die italienische Regierung mit dieser Binnenmigration von Süden nach Norden nach dem zweiten Weltkrieg vor hatte, das zeigt der Historiker und Philosoph Angelo Maiolino in seinem Buch Als die Italiener noch Tschinggen waren. Mit einer Vereinbarung zwischen der Schweiz und Italien nahm die Masseneinwanderung der Saisonniers 1947 ihren Anfang. Maiolino referiert als Gast des Chors – ausgehend von den Liedern – über die Folgen der Emigration, die Politisierung der Italiener in der Schweiz, der Kampf gegen die Schwarzenbach-Initiativen aus der Sicht der Einwanderer und zieht eine Linie ins Heute. Zwar sind es nicht mehr die Süditaliener, die als Hilfsarbeiter in unser Land kommen, aber Verelendung, Landflucht, Migration ist in der dritten Welt, in Osteuropa, Afrika, so aktuell wie je. Das internationale Kapital investiert ohne Rücksicht auf die ansässige Bevölkerung, so dass diese ihre Existenz verliert. Dazu gibt es das Lied I soldi dei Padronides Cantautore Fausto Amodei von 1972, aktuell als ob es erst gestern verfasst worden wäre.
Gebeugte Rücken, Hände und Beine im Wasser: die Mondine. Leonardo Bazzaro. © artgate fondazione cariplo
Einen weiteren Schwerpunkt sind Lieder zur Frauen-Emanzipation. Es beginnt mit Mondine-Songs, entstanden auf den Reisfeldern der Poebene, wo junge Frauen jeweils während vierzig Tagen bis über die Knie in den gefluteten Äckern standen, Reis pflanzten und Unkraut jäteten – zunächst von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang – schlecht ernährt, in feuchten Unterkünften, geplagt von der Malaria, später in einem Achtstundentag. Wer erinnert nicht den eindrucksvollen Film Riso amaro mit Silvana Mangano.
Titelfoto: Bauarbeiter. Foto: Thomas Lehmann, 1975